sehepunkte 25 (2025), Nr. 9

Elke Seibert: Prehistoric Pictures and American Modernism

1937 war ausstellungshistorisch ein schillerndes Jahr: Auf der Pariser Weltausstellung konkurrierten das Deutsche Reich und die UdSSR um ideologische und politische Vorherrschaft. In der auftrumpfenden Ästhetik ihrer am Seine-Ufer einander gegenüberstehenden Nationalpavillons wurde ein regelrechter Kulturkampf vorgeführt. Kunst- und architekturgeschichtlich bemerkenswerter war in Paris der Kontrast mit dem spanischen Pavillon, einem hochmodernen Bau, in dem unter anderem Picassos Monumentalgemälde "Guernica" zu sehen war. Das Werk geriet zum Sinnbild faschistischer Brutalität und seine abstrakte Formensprache zum Signum der freien Republik. Letzteres bestätigte in gewisser Weise die nahezu zeitgleich mit der Weltausstellung in München gezeigte Propagandaschau "Entartete Kunst". In der Beschlagnahmung und Verhöhnung moderner Kunst erwiesen sich der autoritäre Charakter des Nazi-Regimes und seine Gesinnungsdiktatur. Ebenfalls 1937, und zwar schon im Frühjahr, machte sich von New York aus eine vom Forschungsinstitut für Kulturmorphologie bzw. Frobenius-Institut in Frankfurt am Main zusammengestellte Wanderausstellung auf den Weg durch die Vereinigten Staaten. Dieser Schau, die den Titel "Prehistoric Rock Pictures in Europe and Africa" trug und der modernen abstrakten Kunst den Rücken stärkte, ist das Buch von Elke Seibert gewidmet.

In den demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika begegnete man der künstlerischen Moderne zunächst mit Skepsis. Die vielfach noch jungen Museen und Ausstellungshäuser und die im Rahmen der New Deal-Politik aufgelegten Kunstprogramme bemühten sich um Vermittlung. Als Gründungsdirektor des ambitionierten, erst 1929 eröffneten Museum of Modern Art brachte Alfred H. Barr, Jr., eine Reihe bahnbrechender Ausstellungen europäischer Avantgardekunst auf den Weg, in deren Kontext auch die außergewöhnliche Präsentation vorgeschichtlicher Fels- und Höhlenbilder 1937 verständlich wird. Wie Seibert überzeugend darlegt, schloss "Prehistoric Rock Pictures" (28.4.-30.5.37) nicht nur zeitlich an die MoMA-Ausstellung "Fantastic Art, Dada, Surrealism" (9.12.36-17.1.37) an. Die Felsbilder-Zeichnungen wurden auch von einer kleinen Auswahl zeitgenössischer Exponate (u.a. von Klee, Arp, Miro, Kandinsky) flankiert, die Barr direkt aus der früheren Schau übernommen hatte. Seiner Auffassung nach zeigte sich in ihnen "a certain similarity to the pictures painted and engraved by prehistoric man". [1] Zu den gut 150 "rock pictures" aus Europa und Afrika gesellten sich außerdem 32 lithographische Farbreproduktionen indianischer Felsbilder, die die amerikanische Künstlerin Lala Eve Rivol 1935-37 im Rahmen eines Federal Art Project in Kalifornien angefertigt hatte. Auch sie sollten, wie Barr betonte, zum Vergleich mit den vorgeschichtlichen Artefakten anregen. Deren Ausstellung in den USA diente somit der anschaulichen Einbettung moderner abstrakter Kunst in ein Raum und Zeit übergreifendes Kontinuum menschlichen Ausdrucks, das zudem auch im Land selbst, im kreativen Schaffen der indigenen Bevölkerung beobachtet werden konnte. Die vorgeschichtlichen Felsbilder zeugten, so Barr, von einem "strenuous Eden where Adam drew the animals before he named them". [2] Es galt, die zeitlose Präsenz und Kraft einer vorsprachlichen, rein bildlichen Ausdrucksform herauszustellen und damit einem modernistischen Kunstbegriff zuzuliefern. Elke Seibert arbeitet vor allem diese Argumentationslinie heraus. Wiederholt spricht sie von einer "avant-garde appropriation of prehistoric art", um auf das kunstpolitische Kalkül und die modernistische Agenda vor allem Alfred H. Barrs hinzuweisen. Die begriffliche Anleihe bei der postkolonialen Kritik, die hinter nahezu allen Kulturkontakten eine Strategie der "Aneignung" vermutet, scheint allerdings etwas überzogen.

Im einleitenden ersten Teil stellt Seibert "Vorgeschichte" und "Primitivismus" als seinerzeit moderne und komplex miteinander verwobene Konzepte vor, die wiederum in den wissenschaftlichen Disziplinen und der praktischen (künstlerischen) Arbeit, in Europa und den USA, durchaus unterschiedlich gedacht wurden. Das Konstrukt "Vorgeschichte" sei sowohl eine Art Filter als auch eine Projektionsfläche für den Umgang mit der modernen Kunst gewesen (15, 20-21). Im umfangreichen zweiten Teil widmet sich die Verfasserin der 1937 realisierten Ausstellung und zieht dabei eine transatlantische Schleife von der Ausgangssituation am MoMA über die ambivalente Figur des deutschen Afrikanisten Leo Frobenius, seine Forschungen, das Frankfurter Institut und die Bewertung seiner Arbeit zurück zur Wanderausstellung der Felszeichnungen in den Vereinigten Staaten.

Im dritten Teil geht es um einen transatlantischen Vergleich hinsichtlich des Kopierwesens. Bei den von Frobenius zur Verfügung gestellten großformatigen Felszeichnungen handelte es sich um Faksimiles von vor Ort im Rahmen der Forschungsreisen erstellten Reproduktionen, die vornehmlich junge Frauen aus dem bürgerlichen Milieu gefertigt hatten. Seibert vergleicht diese archäologische Kopierpraxis mit der graphischen Dokumentation historischer Artefakte für den "Index of American Design" in den Jahren 1935 bis 1942 und kann eine relativ größere Wertschätzung der Kopie in Handarbeit in den USA herausstellen. Inwiefern das für ihre Untersuchung wichtig ist und warum sie nicht die in der Ausstellung 1937 ansichtig gewordene Kopierpraxis von Rivol zum Vergleich heranzieht, wird leider nicht recht klar. Handelt es sich auch hier - beim immer und unausweichlich interpretierenden Abzeichnen älterer Kunstwerke vor allem durch Frauen - um Akte der "Aneignung"? Wie verhält sich das zu ausstellungstechnischen Strategien der "appropriation", wie sie die Ausstellung 1937 vor Augen führte? Der machtkritische Ansatz Seiberts bleibt vage bzw. wird nicht differenziert genug ausgeführt.

Im letzten Teil des Buches wendet Seibert sich einigen US-amerikanischen Künstlern zu, die in den 1930er Jahren mit einer abstrakten Formensprache experimentierten und hierfür auch auf die mittelbare Erfahrung vorgeschichtlicher Bildwerke zurückgriffen. Die Verfasserin spricht hier von "re-appropriation". Im Fokus stehen Vertreter der "American Abstract Artists", einer losen Künstlergruppe, die sich formal 1936 in New York gründete und deren Arbeit - auch aufgrund des Erfolgs des Abstrakten Expressionismus in den 1940er und 1950er Jahren - noch viel zu wenig bekannt ist. Besonders interessant erscheint hier der New Yorker Künstler Louis Schanker (1903-1981), dessen Graphiken vielfältige Berührungspunkte mit der Ästhetik vorgeschichtlicher Felsbilder aufweisen und doch eine ganz eigene, spezifisch moderne und dem "Blauen Reiter" verwandte Anmutung besitzen. Hier wäre es lohnend gewesen, noch genauer hinzuschauen und auch noch mehr Vergleichsabbildungen einzubinden.

Bei allen Verdiensten ist Elke Seiberts Buch auch ausgesprochen ärgerlich. Die Verfasserin ist keine 'native speaker', und manche Passagen kann man nur in Kenntnis der deutschen Sprache entschlüsseln. Offenbar musste der Text für die Publikation auch stark zusammengekürzt werden, denn es gibt immer wieder argumentative Sprünge, unverständliche Kapitelüberschriften und erzählerische Inkonsistenzen, die sich anders nicht erklären lassen. Dem Verlag hätte es auch oblegen, Tippfehler und falsche Abbildungsverweise zu korrigieren. Vor allem der Autorin anzulasten ist aber die mangelhafte Dokumentation der Forschungsleistung. Es wird nicht erkennbar, mit welchen Archivmaterialien Seibert systematisch gearbeitet hat, und man erfährt nichts über den Forschungsstand zum Thema. Das Literaturverzeichnis unterscheidet Bücher, Artikel und Ausstellungskataloge, was maximal unpraktisch ist, zumal im Zusammenspiel mit vielfach abgekürzten bibliographischen Angaben in den Anmerkungen. Nicht-englischsprachige Quellen zitiert Seibert zumeist nicht im Original, sondern in einer von wem auch immer geleisteten Übersetzung. Viele Zitate werden gar nicht nachgewiesen. Die Auswahl der Abbildungen ist häufig nicht nachvollziehbar. Nach der gründlichen Lektüre bleibt der sinnfällige Eindruck eines Steinbruchs von viel Material, interessanten Ideen und durchaus erhellenden Befunden, deren wissenschaftliche Aufbereitung mehr Sorgfalt gebraucht und auch verdient hätten.


Anmerkungen:

[1] Press release MoMA, 28.04.1937, 1. (https://assets.moma.org/documents/moma_press-release_325091.pdf)

[2] Ebd., 2.

Rezension über:

Elke Seibert: Prehistoric Pictures and American Modernism. Abstract Art at MoMA 1937-1939, London: Bloomsbury 2023, xii + 240 S., ISBN 978-1-350-18524-1, GBP 85,00

Rezension von:
Sigrid Ruby
Institut für Kunstgeschichte, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Empfohlene Zitierweise:
Sigrid Ruby: Rezension von: Elke Seibert: Prehistoric Pictures and American Modernism. Abstract Art at MoMA 1937-1939, London: Bloomsbury 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 9 [15.09.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/09/40192.html


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