KOMMENTAR ZU

Wolfgang Behringer: Rezension von: Johannes Burkhardt: Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit, München: C.H.Beck 2009, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 12 [15.12.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/12/15847.html


Von Johannes Burkhardt

Für die schnelle Rezension meines Beck-Wissen-Bändchens durch Wolfgang Behringer bedanke ich mich, muss jedoch einiges grundlegend richtigstellen. Der weltbefahrene Vorspann, der sich dem Thema des Buches recht unwillig nähert, wäre hinnehmbar, und aus dem von Wohlwollen zu durchaus verträglicher Ironie übergehenden Mittelteil kann jeder, der Rezensionen zu lesen versteht, ein erstes Bild gewinnen, was an dem Buch besonders interessant sein könnte. Nicht akzeptabel ist jedoch, wenn der Rezensent dann dem Buch, wenn auch nur in Anführungszeichen, "Etikettenschwindel" unterstellt und gar unseren gemeinsamen Verlag vor mir in Schutz nehmen will, weil ich gar keine "Geschichte der Frühen Neuzeit" haben schreiben wollen. Das wollte ich in der Tat nicht, aber auf dem Titelblatt steht doch unmissverständlich: "Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit". Und genau die ist auch drin und entspricht dem Verlagsprogramm. Wie in jeder anderen europäischen Nationalgeschichte das politische System den Rahmen bildet, kann das hier nur das Reich deutscher Nation sein, nicht ohne seine verschiedenen Ebenen und die geschichtsbildprägendsten Ereignisse und Personen, die das Publikum wiederzufinden erwarten darf.

Das kann natürlich nicht alles sein und ist es auch nicht, aber der mir hier entgegengehaltene Erweiterungskatalog ist weder mit dem Thema, noch überhaupt mit dem Format dieses Bändchens vereinbar. So will der Rezensent im Ernst - oder von der Lust an Namensspielereien fortgetragen? - amerikanische Soziologen berücksichtigt wissen, die doch um die deutsche Geschichte einen großen Bogen machen, oder die Leser noch mit Sombart behelligen, der sie notorisch gegen die Quellen interpretiert. Ja, er wirft diesem Buch einen Mangel an "Theorien und Epistemen" vor, deren ich doch selbst eine ganze Reihe zur Epochenmentalität, zur Ökonomie, Religion und Politik entwickelt habe - leicht nachzulesen in meiner Festschrift, an der Behringer selbst inspiriert mitgearbeitet hat - und sie auch in dieser deutschen Geschichte nutzen konnte. Was soll man aber dazu sagen, dass eine ganze Reihe konkreter Anmahnungen in Wahrheit in diesem Bändchen schon untergebracht sind? Ein vermeintliches Desiderat Behringers ist zum Beispiel die Entwicklung zu "weltanschaulicher Toleranz" (Burkhardt, S. 42-49, S. 52, S. 59, S. 66, S. 73 und vor allem S. 75-78). Die vermisste "Wissenschaftsrevolution" erscheint als "Neue Wissenskulturen" schon als Überschrift (S. 44). Von der Veränderung der "Medialität" ist weit und breit die Rede, auch von der "periodischen Presse" (S. 101) und von der "Raum- und Zeitwahrnehmung" (S. 94 und S. 120f.), aber in anderen Zusammenhängen, als der Rezensent sie sucht. Natürlich ist die zugleich auswärtige Herrschaftsstellung Karls V. und der Habsburger einbezogen (S. 18f., S. 54), auch die nicht gefundenen Menschen (S. 63-67) und ebenso die Wirtschaft, nicht mit anderswo abrufbaren Daten, sondern mit der Kennzeichnung ihres wichtigsten Wandels (S. 90). Selbst Elias' Zivilisationstheorie fehlt im Text nicht (S. 93). Das alles und mehr ist offenbar so gelungen in die angeblich reine Reichsgeschichte integriert, dass es der Rezensent nicht gefunden hat.

Wenn Behringer gar behauptet, es finde sich "wenig von dem, was die Fachwelt in den vergangenen 30 Jahren bewegt hat", dann ist das, bei aller Hochachtung vor seinen Werken, eine mehr als einseitige Wahrnehmung. Haben die deutschen Frühneuzeitler in dieser Zeit nicht die Konfessionalisierung, der ich allein anderthalb Kapitel widme, als geradezu fachtypisches Paradigma erschlossen und über drei Generationen ausdifferenziert? Werden nicht gerade Krieg und Frieden, die einen Schwerpunkt des ganzen Buches bilden, unter  neuen Perspektiven erforscht? Herrschafts- und Staatsbildung analytisch durchdrungen? Und kann es dem Rezensenten entgangen sein, dass wir Frühneuzeitler gerade über das rahmengebende Reich deutscher Nation am meisten geforscht, über seine Interpretation am qualifiziertesten gestritten haben und hier eine vieles integrierende erneuerte Gesamtperspektive vorgelegt wird?  

Nein, ich wollte keinen Gemischtwarenladen der Epoche aufmachen, sondern Geschichte schreiben. Wenn man deutsche Geschichte ernst nimmt und nach einem einheitlichen und für sie charakteristischen Merkmal fragt, dann kann man ein solches von ihren Anfängen bis in die Gegenwart in ihrer Föderalismusfähigkeit erkennen, die lange als Kleinstaaterei denunziert wurde und in der Frühen Neuzeit auf allen Ebenen, auch der gesamtstaatlichen, den entscheidenden organisatorischen Ausbau erlebte. Ein Epochenkennzeichen der Neuzeit in ganz Europa aber ist die Entwicklung einer neuen Medien- und Kommunikationslandschaft. Diese beiden Entwicklungslinien, die durchgehende deutsche und die epochale gesamteuropäische, verbanden und ergänzten sich in Deutschland seit der Wormser Reichsreform. Das ist nicht "angepappt", sondern ein in der Einleitung hergeleitetes, in jedem einzelnen der zehn Kapitel verfolgtes und am Ende resümiertes Wechselspiel der föderalen deutschen Diskursgemeinschaft. Diese mediengestützte föderale Perspektive auf das politische System, das in anderer Beziehung sicher das "Alte Reich" blieb, erlaubt es, auch sein innovatorisches Potential besser zu erkennen.

Der Rezensent will davon nichts wissen und verkehrt am Ende den Sinn des ganzen Buches.  "Niemand wollte zu Beginn der Neuzeit etwas Neues" (S. 21), zitiert er einen Kapitelanfang, weist das zurück, unterschlägt jedoch gerade die ins Kapitelthema führende Pointe - "es sei denn auf dem Felde von Medien und Kommunikation" (S. 21). "Grundfalsch" ist hier gar nichts, sondern falsch zitiert, ja ich muss mir vermeintliche Gegenbeispiele aus dem von mir selbst als bereits innovationsbewusst gekennzeichneten Felde entgegenhalten lassen. Aber auch die neuerungsfremde Ausgangsnorm, zu der ich zusammen mit Reinhart Koselleck Studien in verschiedenen Bereichen vorgelegt habe, ist zu Beginn der Frühen Neuzeit nicht zu bezweifeln. Der springende Punkt ist dabei doch, dass de facto gerade in Reich und Religion viel Neues geschah, aber die Innovationsakzeptanz sich erst einmal als Rückkehr zum Alten legitimieren musste, bis sich im 18. Jahrhundert die Zeitrichtung und Bewertung umkehrten und prompt der Reichsreformdebatte neuen Aufwind gaben (S. 120-126). Der Rezensent aber begnügt sich mit den üblichen Verdächtigen der Innovation und Modernisierung und expediert mit diesem Numerus clausus und einem gegen den Sinn des Buches gebrauchten  Zitat des Autors das Reich mitsamt dem progressiven föderalem Potential der deutschen Geschichte auf die alte Seite zurück.    

So muss ich trotz einiger abfedernder Freundlichkeiten des Rezensenten gegenüber Person und Stil des Autors doch feststellen: Diese Rezension von Wolfgang Behringer verstellt das Verständnis dessen, was meine bislang konziseste Geschichtserzählung gewagt und unternommen hat. Ich kann nur an die Leserinnen und Leser appellieren, sich davon zu überzeugen, dass dieses Buch, so wie es vorliegt, ein neues Verständnis der deutschen Geschichte in der Frühen Neuzeit ermöglicht.