Die Erforschung von Grabdenkmälern und frühneuzeitlicher Erinnerungskultur hat mit dem Forschungsprojekt 'REQUIEM - Die Papst- und Kardinalsgrabmäler der Frühen Neuzeit' vor einigen Jahren einen neuen Ausgangspunkt gefunden, der sich als wissenschaftlicher Mittelpunkt der Grabmalforschung etabliert hat. In der vergangenen Dekade konnten zahlreiche Publikationen vorgelegt werden, die den ursprünglich italozentristischen Blick des Projektes stärker auf eine europäische Vergleichsebene lenkten; ein wichtiger Schritt, durch den die teilweise divergierenden Wege der Forschung viel stärker repräsentiert sind. Die aus mehreren Tagungen resultierenden Sammelbände sind dabei vergleichsweise selten auf das reine Objekt bezogen, die Grabmäler bilden stattdessen eher Anknüpfungspunkte, um gesellschaftliche Strukturen in der Frühen Neuzeit transparent zu machen. Dass bei einer Konzentration auf den repräsentativen Charakter von Grabmälern die geistlich-memorialen Aspekte unter den Tisch fallen können, wurde der Herangehensweise vor einigen Jahren zum Vorwurf gemacht. [1] Das Risiko besteht nach wie vor, der methodische Ansatz ist dennoch ein probates Mittel zur übergreifenden Analyse des Phänomens.
Diesen Parametern folgt der vorliegende neueste Sammelband, basierend auf einer Berliner Tagung vom Mai 2009. Aus der Gruppe möglicher Repräsentanten an einem Grabdenkmal haben sich die Autorinnen und Autoren einen historisch gut erforschten Personenverband herausgesucht, der von der Kunstgeschichte jedoch bislang wenig beachtet wurde und nach dessen konstituierender Rolle im Bereich der Sepulkralkultur bisher noch überhaupt nicht gefragt wurde - den Günstling. Jene kaum klar umrissene, gleichwohl loyal dienende und ohne sonstige Bindung ganz auf den Machthaber fixierte Gruppe, die - mal als Günstling, mal als Favorit bezeichnet - stets dem Risiko des hohen Falls unterworfen war, veranschaulicht den Souveränitätsanspruch des absoluten Herrschers wohl deutlicher als andere, ihren Dienst verrichtende Protagonisten am Hofe.
Insgesamt 14 Einzelstudien sowie eine thematische Einführung des Herausgebers Arne Karsten und ein offen gehaltenes Resümee von Birgit Emich haben so den Weg in den Sammelband gefunden. Geografisch deckt man mit Fallstudien zu Frankreich (Christine Tauber, Gabriela Reuss, Sigrid Ruby, Julian Blunk), dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Inga Brinkmann, Philipp Zitzlsperger, Mark Hengerer), Rom und Italien (Thomas Pöpper, Peter Stephan, Almuth Klein, Arne Karsten) sowie der oft unterrepräsentierten iberischen Halbinsel (Judith Ostermann, Hillard von Thiessen, Katrin Zimmermann) weite Teile des frühneuzeitlich relevanten Europa ab. Sicherlich wären weitere Beispiele denkbar gewesen (so zu dem mehrfach erwähnten englischen Herzog von Buckingham), doch ist die ausgewogene Auswahl durchaus gerechtfertigt. Der zeitliche Rahmen - im Titel als frühneuzeitlich deklariert - spannt sich vom hohen Mittelalter (um 1400) bis ins 18. Jahrhundert, mit Exkursen sogar bis in die Gegenwart. Ohne die Beiträge einzeln zusammenfassen zu wollen, sei darauf verwiesen, dass manche auf jüngst erschienenen Dissertationen basieren oder das Ergebnis langjähriger Beschäftigung mit dem Thema darstellen, die inhaltliche Qualität ist jedenfalls durchweg auf sehr hohem Niveau.
So informativ die Einzelbeiträge auch sind, sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auswahl über den Status des Verstorbenen nur bedingt funktioniert. In seinem einführenden Essay gibt Arne Karsten daher auch weniger eine typologische Klassifizierung des Günstlings-Grabmals, sondern steckt die Rahmenbedingungen im Sinne einer memorialen Selbstreflexion ab. Seinen bisherigen Forschungen kann er nicht entkommen, das Tertium Comparationis mit den Kardinals- oder Papstgrabmäler ist die Nicht-Vererbbarkeit, welche die Visualisierung des sozialen Aufstiegs umso wichtiger machte. Hingegen schafft die Vergleichbarkeit der folgenden Einzelstudien Probleme. Die einzelnen Protagonisten lassen sich nur schwerlich einander gegenüberstellen. Es stellt sich ohnehin die Frage, wie weit manche der behandelten Persönlichkeiten tatsächlich dem Günstling gängiger Definition entsprechen. Einige hätten sich selbst wohl eher als Verwaltungsbeamte im Umkreis des Herrschers verstanden. Auch muss die gelehrte Studie von Peter Stephan einen akademischen Winkelzug vollbringen und die Päpste zu 'Günstlingen Gottes' erklären.
Analog dazu entstanden die besprochenen Grabdenkmäler in recht unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen, aber auch sozialen Rahmenbedingungen. In der Gesamtschau des Bandes entsteht so ein heterogenes Bild vom Günstlings-Grabmal, ohne formalen oder ikonografisch fest umrissenen Typus. Durch die einzelnen Fallbeispiele anhand eines Fragerasters zu einem Kriterienkatalog zu gelangen, der das Günstlings-Grabmal konstituiert, wäre vermessen gewesen. Die einzelnen Beiträge lassen kaum einen gemeinsamen Nenner hinsichtlich der Ausgestaltung der Denkmäler erkennen. Das spricht primär für die komplexe Struktur des Themas, das sich einer allzu schematischen Klassifizierung entzieht. Nahezu übereinstimmend kommen alle Autorinnen und Autoren zu dem zwar unspektakulären, jedoch keineswegs unwichtigen Fazit, dass die Darstellbarkeit obrigkeitlicher Gunst im Medium Grabdenkmal problembehaftet war. Der weit gefasste Untersuchungsraum und Zeitrahmen kann jedoch nicht der Hinderungsgrund für die Ausbildung einer spezifischen Typologie sein. Der Band zeigt erwiesenermaßen kongruente Grundstrukturen bei der Frage, wie sich die Günstlinge und Favoriten post mortem inszeniert wissen wollten. Die Orientierung am Formenkanon herrschaftlicher Denkmäler als Ausweis eigener Partizipation an der höfischen Lebenswelt scheint dabei ein nicht unerhebliches Movens zu sein, obwohl hier die allgemeine Genese der Gattung als Rahmenbedingung gleichwohl berücksichtigt werden sollte.
Auch wenn das Grabmal des Günstlings also per se nicht zu existieren scheint, darf die Auseinandersetzung mit dem Thema keineswegs als gescheitert angesehen werden. Die hohe inhaltliche Qualität und der wissenschaftliche Ertrag der einzelnen Beiträge trösten weit darüber hinweg, dass am Ende keine klare Definition oder gar ein fest umrissener Typus vorliegt. Die vielschichtigen Fragen, die hier gestellt werden, leisten einen wichtigen Beitrag für die Memorialforschung. Sicherlich wäre eine Integration weiterführender, zeremonieller oder liturgischer Aspekte wünschenswert gewesen, doch bleiben die Ergebnisse spannend. Dies gilt nicht nur für die dezidierte Einzelforschung, sondern auch für das daraus konstruierte Gesamte. Der Band vermittelt gerade durch die Unterschiedlichkeit der Fallbeispiele ein differenziertes Bild der höfisch-herrschaftlichen Strukturen im frühneuzeitlichen Europa. Das dazu immens wichtige Objekt- und Personenregister - bei Sammelbänden inzwischen eine rühmliche Ausnahme - ist vor diesem Hintergrund um so mehr zu begrüßen.
Anmerkung:
[1] Damian Dombrowski: Rezension zu: Arne Karsten / Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar [u.a.] 2004, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), 461-465.
Arne Karsten (Hg.): Das Grabmal des Günstlings. Studien zur Memorialkultur frühneuzeitlicher Favoriten (= humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte; XV), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2011, 352 S., ISBN 978-3-7861-2644-7, EUR 59,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.