Rezension über:

Rodney Castleden (ed.): Mycenaeans, London / New York: Routledge 2005, xiv + 282 S., ISBN 978-0-415-24923-2, GBP 55,00
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Rezension von:
Georg Nightingale
Fachbereich Altertumswissenschaften - Alte Geschichte, Altertumskunde und Mykenologie, Paris-Lodron-Universität Salzburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Georg Nightingale: Rezension von: Rodney Castleden (ed.): Mycenaeans, London / New York: Routledge 2005, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/10120.html


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Rodney Castleden (ed.): Mycenaeans

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Rodney Castleden legt mit diesem handlichen Buch eine umfassende Darstellung der Kultur und Geschichte der mykenischen Griechen der späten Bronzezeit vor. Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert und enthält fünf Anhänge mit einer anatolischen Chronologie, Königslisten der griechischen Mythologie und eine Zusammenfassung des epischen Kyklos nach Proklos.

Nach einer Einleitung im ersten Kapitel widmen sich die weiteren Kapitel den "Städten und Königreichen" und den "Menschen", handeln "vom Leben auf dem Land und vom Leben in den Städten" und von der "Religion". Danach folgen Kapitel zum "mykenischen Seereich", zum "troianischen Krieg" und zum "Fall von Mykene", gefolgt von einem abschließenden Kapitel zur "Wirkungsgeschichte der mykenischen Welt". Ergänzt werden die Kapitel durch Anmerkungen, eine umfangreiche Bibliographie, einen Index und zahlreiche schwarz-weiß-Abbildungen, Pläne und Zeichnungen.

Das Buch präsentiert sich als Handbuch mit wissenschaftlichem Anspruch; so wird es auch vom Verlag Routledge beworben. Castleden stellt in der Einleitung die homerischen Epen in den Mittelpunkt. Diese würden ein Bild der Bronzezeit in Griechenland überliefern "...epic poems that provide a vivid image of bronze age Greece, [...] in a mix of bronze age proto-history and fictional embellishment that is very hard to disentangle." (1). Homer habe laut Castleden nur dann einen historischen Wert, wenn er durch archäologische Funde korrigiert oder belegt wird. Die Verbindung von Homer, archäologischen Funden und orientalischen Quellen bilden nach Castleden die Basis für dieses Buch (1).

Tatsächlich hält sich Castleden nicht an seine eigene Vorgabe und behandelt die homerischen und mythologischen Erzählungen weitgehend als historische Quellen. Davon ausgehend erklärt er archäologische Befunde, mykenische Kultur und Geschichte, bzw. illustriert mit archäologischen Befunden nur ein schon vorhandenes, aus den Überlieferungen abgeleitetes Bild der griechischen Frühzeit.

Vorsichtige Formulierungen im Text werden von einer wesentlich eindeutigeren Beschriftung der dazugehörigen Abbildungen begleitet. Zusammen mit den Aussagen der Abbildungen entsteht so beinahe ein Paralleltext mit anderer Ausrichtung. Die Vorlagen für die Abbildungen wurden von Castleden zumeist bearbeitet, vereinfacht und dadurch teilweise verfälscht; hinzu kommen Verfälschungen oder Unkenntnis von Fakten.

In die Bibliographie wurde zwar Spezialliteratur aufgenommen, zugleich fehlen jedoch Hinweise auf einführende und grundlegende Werke (z.B. Preziosi, D. - Hitchcock, L.A., Aegean art and architecture, Oxford history of art, Oxford [u.a.] 1999; Cullen, T. (ed.), Aegean prehistory. A review, AJA Supplement 1, Boston, Mass. 2001; die Kongresspublikationen der Aegeum-Reihe). Die Zahl der Anmerkungen täuscht über deren schwankende Qualität hinweg - eine Folge der Lücken der Bibliographie. Viele wichtige Thesen belegt Castleden entweder gar nicht oder nur durch Eigenzitate seiner früheren Werke. Sehr bedauerlich sind die unvollständigen oder fehlenden Herkunftsangaben für die Abbildungen, sowie die mangelhaften Bildbeschreibungen.

Als Beispiele hierfür können vier Karten in Abbildung 7.4 (192) mit Indikatoren für das mykenische Kernland und für spätbronzezeitliche Herrschaftsgebiet dienen: Verteilung von Linear B-Schriftzeugnissen, kyklopischem Mauerwerk, mykenischen Palästen und Vasen. In allen vier Plänen fehlt Kreta (mykenischer Staat, Linear B-Texte); es wird nicht zwischen Texten auf Tontafeln (nur in Palästen) und Linear-B-Aufschriften auf Vasen (auch an anderen Orten) unterschieden; die Verteilungskarte der Paläste unterscheidet nicht zwischen echten Palästen (mit entsprechender Architektur und einer Linear B-Verwaltung) und anderen hochrangigen Anlagen (z.B. Gla/Böotien, Akropolis/Athen). Die neue, wohl tatsächlich als Palast zu bezeichnende Anlage von Dimini/Thessalien (mit einem ersten Linear B-Fund) kennt Castleden nicht. Die Verteilung der Keramik zeigt vier Fundpunkte für importierte kanaanäische Amphoren, tatsächlich sind es heute bereits mehr als 15.

Zugehörig ist die Beschreibung der mykenischen Landschaften (Kapitel 2, 54-65) und Abb. 2.2 (10) mit möglichen bronzezeitlichen Königreichen auf Basis des Schiffskatalogs der Ilias Homers, Abb. 2.3 (11). Außer in der Argolis, Messenien, Zentral- und eventuell Westkreta sowie Böotien konnten keine Königreiche nachgewiesen werden. Castledens Konzentration auf Homer verdeckt die andersartige Situation dieser nicht-palatialen Regionen.

Die Erforschung dieser mykenischen Peripherie ist eine Hauptrichtung der jüngeren Forschung, ihre Ergebnisse schlagen sich in Castledens Buch jedoch nicht nieder. Die aktuelle Forschung zu den sogenannten dunklen Jahrhunderten vom Untergang der mykenischen Paläste um 1200 bis in die homerische Zeit um 700 v.Chr. fehlt ebenfalls. Die teils revolutionären Erkenntnisse erzwingen jedoch eine neue Sicht auf die homerische und mythische Überlieferung. Geradezu abenteuerlich ist Castledens falsche Vermutung im Kapitel zum Fall Mykenes (219), die Slawen wären in der Übergangszeit nach dem Fall der mykenischen Paläste bis in die Peloponnes vorgedrungen, ja die Dorier wären womöglich selbst Slawen gewesen.

Einige Bespiele für Fehler in den Abbildungen sind: Abbildung 2.7 mit einem Plan des Palastes von Pylos, der Haupt- und Umbauphase nicht unterscheidet, falsche Raumnummern aufweist und die Räume hinter dem Megaron als Lagerräume für Geschirr anspricht, tatsächlich sind sie aber Lagerräume für Öl. Abbildung 5.8 zeigt laut Bildunterschrift "Das Sphingentor von Pylos". Diese Zeichnung basiert auf Freskenfunden aus Pylos, deren Umzeichnung jedoch verfälscht und falsch ergänzt wurde und weder dem Freskofragment noch dem tatsächlich gefundenen Tor entspricht.

In der Interpretation der mykenischen Paläste nimmt Castleden wieder seine in früheren Büchern zur minoischen Kultur vorgelegte Interpretation der Paläste als Tempel (temple-palace) auf, die er nun auf die mykenischen Paläste ausweitet. Wie schon früher wird Castleden auch hier auf Widerspruch treffen. Die Paläste waren nach Ausweis der Funde und der Linear B-Texte sehr wohl auch Verwaltungs- und Herrschaftszentren.

Der besondere Reiz des Buches und seine größte Stärke liegen im Versuch einer umfassenden Darstellung der mykenischen Welt, wie sie in anderen einführenden Werken zur mykenischen Periode in dieser Weise selten zu finden ist. Gerade der engagierte und flüssige Stil lassen eine weite Verbreitung dieses Werkes erwarten; die angeführten Eigenheiten und Schwächen dieses Buches erlauben jedoch nur eine eingeschränkte Empfehlung des Werkes als Einführung in die mykenische Welt.

Georg Nightingale