Rezension über:

Matthias Thumser (Hg.): Epistole et dictamina Clementis pape quarti. Das Spezialregister Papst Clemens’ IV. (1265-1268) (= Monumenta Germaniae Historica. Briefe des späteren Mittelalters; IV), Wiesbaden: Harrassowitz 2022, 3 Bde., X + 1065 S., ISBN 978-3-447-11748-7, EUR 268,00
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Rezension von:
Agostino Paravicini Bagliani
Université de Lausanne
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Agostino Paravicini Bagliani: Rezension von: Matthias Thumser (Hg.): Epistole et dictamina Clementis pape quarti. Das Spezialregister Papst Clemens’ IV. (1265-1268), Wiesbaden: Harrassowitz 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 11 [15.11.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/11/37428.html


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Matthias Thumser (Hg.): Epistole et dictamina Clementis pape quarti

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Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich Matthias Thumser mit den Briefen Papst Clemens' IV. (1265-1268). [1] Nun legt er in drei Bänden eine meisterhafte kritische Edition der Epistole et dictamina Clementis pape quarti vor, also des Spezialregisters dieses zweiten französischen Papstes des 13. Jahrhunderts.

Das Papstregister selbst gilt als verloren, aber von diesem Spezialregister sind nicht weniger als achtzehn Textzeugen erhalten, die insbesondere im 14. Jahrhundert im Süden Frankreichs entstanden sind und weite Verbreitung fanden. Nur einer dieser 16 Textzeugen geht auf das 15. Jahrhundert zurück (Milano, Biblioteca Nazionale Braidense, AE.XII.21). Sechs Handschriften stammen aus alten französischen Handschriftensammlungen, die heute in Pariser Bibliotheken aufbewahrt sind: fünf in der Bibliothèque nationale de France, eine in der Bibliothèque de l'Arsenal. Sechs andere Textzeugen sind im Archivio Apostolico Vaticano überliefert. Die anderen Handschriften befinden sich in Budapest, El Escorial, Grenoble, Florenz, Mailand und Troyes. Diese letzte Handschrift (Troyes, Médiathèque, Ms. 719) ist womöglich die älteste: das Kolophon besagt nämlich, dass sie in Orange und Avignon im Monat November 1322 abgefasst worden ist.

Nahezu alle Textzeugen geben den Text des Spezialregisters Clemens' IV. weitgehend in seiner ursprünglichen Form wieder. Nur zwei Kodizes (Budapest, Országos Széchényi Könyvtár, Cod. lat. 73; Archivio Apostolico Vaticano, Reg. Vat. 36) präsentieren eine Briefreihung, die von dem gewohnten Bild grundsätzlich abweicht.

Schon im 17. Jahrhundert hat dieses Spezialregister das Interesse der Historiker und Gelehrten (Alfonso Ciaconius, Papire Masson u.a.) geweckt. 1717 haben Edmond Martène und Ursin Durand in ihrem Thesaurus novus anecdotorum (1717) mehr als 711 Briefe Clemens' IV. ediert, auf Grundlage der Handschrift aus Troyes und der heutigen Handschriften BnF, lat. 4040, 4041, 12547. 541 dieser Briefe entstammten dabei den Epistole et dictamina. Eine Handschrift jüngeren Datums aus der Bibliothek des Bischofs von Montpellier Jean-Joachim Colbert, eines Neffen des berühmteren Jean-Baptiste Colbert, lässt sich nicht mehr nachweisen. Als verloren gelten muss ein Kodex aus Limoges, der ebenfalls noch bei Martène und Durand Beachtung gefunden hatte. Wichtig sind auch die Regesten und Textauszüge, die Edouard Jordan 1912 im Rahmen der Papstregisteredition der École Française de Rome herausgab, allerdings nur auf der Basis der vier vatikanischen Handschriften Reg. Vat. 30 und 33-35. [2] 1992 wurden 38 Briefe an den Kardinallegaten Raoul Grosparmi von Edith Pásztor ediert, wofür sie ausschließlich eine Handschrift aus dem Archivio Apostolico Vaticano (Reg. Vat. 34) heranzog. [3]

Von den 556 Briefen dieses Spezialregisters befinden sich 95 auch in der Sammlung von Papstbriefen des sogenannten Pseudo-Marinus von Eboli, die man nun dank einer Konkordanz genau identifizieren kann. Elf davon sind hier in einem Anhang ediert (zehn zum ersten Mal).

Sehr wichtig ist das Spezialregister, weil es Briefe enthält, die aus der politischen und persönlichen Korrespondenz des Papstes stammen, und somit auch für das Gesamtbild des Papstes unerlässlich sind. Einige Briefe sind an Roger Bacon und Thomas von Aquin adressiert.

Ein Brief schließt die Epistole et dictamina auf seltsame Weise ab und spielt eine besondere Rolle für das Bild des Papstes (Nr. 556, III, S. 949-951). Der Brief ist sehr wahrscheinlich am 7. März 1265 datiert worden, also kurz nach der Papstwahl Clemens' IV. (Perugia, 5. Februar 1265). Seine Bedeutung liegt zunächst darin, dass es sich wohl um den Erstbeleg für einen mit Wachs, also mit dem sigillum piscatoris, gesiegelten päpstlichen Brief, handelt, auch wenn, wie Matthias Thumser unterstreicht, sich hier eine Praxis widerspiegelt, die noch älter sein dürfte. Wenn dieser Brief für die Papsthistoriker von Bedeutung ist, dann deshalb, weil in ihm der Papst seinem Neffen Pierre Foucois aus Saint-Gilles Anweisungen erteilt, wie er und die Mitglieder seiner Familie sich nach der Papstwahl zu verhalten haben. Der Papst bittet sie eindringlich, seine Wahl zum Papst nicht zur eigenen Bereicherung zu missbrauchen und verbietet ihnen, ihn ohne besonderen Auftrag zu besuchen, da ihre Hoffnungen sonst enttäuscht würden.

Matthias Thumser hat seine kritische Edition dieses einmaligen Spezialregisters Clemens' IV., die als mustergültig gewertet werden muss und für die jeder Papsthistoriker, der sich mit dem 13. Jahrhundert beschäftigt, dankbar sein wird, sowohl mit einer ganzen Reihe von Indizes (Namen, Wörter, Initien, Empfänger, Stellen aus der Bibel und aus wichtigen Autoren) ausgestattet, als auch mit einer Chronologie der Briefe und Konkordanzen (mit der Edition von Martène-Durand und den Regesten von August Potthast und Édouard Jordan).


Anmerkungen:

[1] Matthias Thumser: Zur Überlieferungsgeschichte der Briefe Papst Clemens' IV. (1265-1268), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 51 (1995), 115-168; Ders.: Zurück zu Lachmann? Alte und neue Wege bei der Edition der Epistole et dictamina Clementis pape quarti, in: Editionswissenschaftliche Kolloquien 2003/2004. Historiographie - Briefe und Korrespodenzen - Editorische Methoden, hgg. v. Dems. / J. Tandecki, unter Mitarbeit von A. Thumser. Torun 2005, 215-231; Ders.: Les grandes collections de lettres de la curie pontificale au XIIIe siècle. Naissance, structure, édition, in: Le dictamen dans tout ses états. Perspectives de recherche sur la théorie et la pratique de l'ars dictaminis, hgg. von B. Grévin / A.-M. Turcan-Verkerk, Turnhout 2015, 209-242.

[2] Les registres de Clément IV (1265-1258), 4 Bde., hgg. v. J. Guiraud / S. Clémencet; Paris 1893-1945 (Bibliothèque des écoles Françaises d'Athènes et de Rome, 2e série, 11).

[3] Edith Pásztor: Per la storia degli angoini ed il papato, in: Umiltà politica e differenze regionali nel regno di Sicilia. Atti del Convegno internazionale di studio in occasione dell'VIII centenario della morte di Guglielmo II, re di Sicilia (Lecce - Potenza, 19-22 aprile 1989), hgg. von C. Damiano Fonseca / H. Houben / B. Vetere, Galatina 1992, 205-245.

Agostino Paravicini Bagliani