Rezension über:

Jack J. Lennon: Dirt and Denigration. Stigma and Marginalisation in Ancient Rome (= Approaches to Ancient History; 1), Tübingen: Mohr Siebeck 2022, X + 250 S., ISBN 978-3-16-161707-2, EUR 99,00
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Rezension von:
Jean Coert
Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Jean Coert: Rezension von: Jack J. Lennon: Dirt and Denigration. Stigma and Marginalisation in Ancient Rome, Tübingen: Mohr Siebeck 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/38019.html


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Jack J. Lennon: Dirt and Denigration

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Anders als die meisten Bücher, die zur Römischen Geschichte erscheinen, setzt sich Jack Lennons Monographie "Dirt and Denigration" nicht primär mit den großen, angesehenen Personen der römischen Oberschicht auseinander, sondern mit ebenjenen Gruppen, die wortwörtlich als "Schmutz" der römischen Gesellschaft galten und bereits von ihren Zeitgenossen in diversen Formen herabgewürdigt wurden. Gemeint sind u.a. Zuhälter, Sexarbeiter, Schauspieler, Gladiatoren, Bestatter, Henker und Fremde, denen in verschiedenen Graden Unreinheit und Inferiorität in der römischen Literatur (2. Jahrhundert vor bis 2. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung) attribuiert wurde. [1] Ziel des Autors ist es, am Beispiel der genannten Gruppen herauszuarbeiten, inwiefern die Verunglimpfung als "unrein" bzw. "dreckig" als Instrument genutzt wurde, um die Marginalisierung gewisser Gruppen bzw. die Diffamierung und Exklusion einzelner Individuen sowie die daraus resultierende soziale Hierarchisierung innerhalb der römischen Gesellschaft zu rechtfertigen (5). So möchte er zugleich untersuchen, ob die römische Schmutzrhetorik sowohl der Stigmatisierung, Ausgrenzung und Definition von Devianz als auch der sozialen Distinktion sowie der Stärkung der Identität der als rein geltenden Gruppen Roms diente.

Nach einem einleitenden Kapitel (1-30), in dem er die geschilderte Fragestellung und den Forschungsstand zu Konzepten von (Un)Reinheit in Rom, mit ausgeprägtem Bezug zu den Theorien von Mary Douglas [2], beschreibt, beginnt er sein erstes Untersuchungskapitel zu pimps im republikanischen und kaiserlichen Rom (31-65). Gut belegt kann Lennon in diesem Abschnitt veranschaulichen, dass über Jahrhunderte hinweg Zuhälter in Rom als unrein, verdorben und geldgierig charakterisiert wurden und ihnen damit verknüpft soziales Ansehen abgesprochen wurde. Obwohl nicht wenige Personen aus dem Rotlichtgewerbe vermögend waren und auch nicht zu verachtenden Einfluss besaßen, wurde ihnen durch diese Stigmatisierung der Zugang zu politischen Ämtern sowie die Partizipation in anderen gesellschaftlichen Bereichen verwehrt. Vertreter der römischen Oberschicht hatten ein reges Interesse an dieser Exklusion potentieller Neuaufsteiger und nutzten bisweilen selbst den verrufenen Status dieser Personengruppe, um ihre eigenen politischen Konkurrenten zu diffamieren. [3] So wird in dem Kapitel deutlich, dass der generelle Kontakt mit Zuhältern rufschädigend sein und genutzt werden konnte, um Politiker öffentlich zu desavouieren sowie zu diskreditieren (56).

Im zweiten Kapitel (67-98) weitet Lennon seine Überlegungen zur Sexarbeit aus und untersucht die Gruppe der Prostituierten. Anders als bei den Zuhältern, ist deren Bewertung durch die Zeitgenossen durchaus ambivalent gewesen. Je nach spezifischer sexueller Tätigkeit und Kundenkreis wurde solchen Sexarbeitern in verschiedenen Graden Unreinheit zugesprochen, die jeweils zu Formen gesellschaftlicher Exklusion führten. Zugleich existierte der Gedanke, dass sich Freier beim Umgang mit Prostituierten kontaminieren konnten. Besonders rufschädigend waren Sexualpraktiken mit direktem Flüssigkeitskontakt, wie Oralverkehr, und jene, die man als eine Inversion von sozialen Hierarchien interpretieren konnte. Solche als "schmutzig" klassifizierten Sexualerlebnisse boten Angriffsfläche und wurden daher auch in der Rhetorik verwendet, um aristokratische Bordellbesucher anzugreifen.

Im dritten Abschnitt (99-133) setzt sich der Autor mit dem Widerspruch auseinander, dass Schauspieler, Gladiatoren und lanistae wie die vorigen Gruppen als unrein galten, obwohl viele von ihnen durchaus Beliebtheit in Rom genossen. Lennon kann hier Parallelen zu den vorigen Kapiteln ziehen und zeigen, dass lanistae wie Zuhältern zugeschrieben wurde, mit dem Verkauf von menschlichem Fleisch Gewinne zu erzielen und Schauspielern und Gladiatoren, ähnlich wie Prostituierten, der Verkauf des eigenen Körpers vorgeworfen wurde. Er wertet dies als eine Reaktion der römischen Elite darauf, dass von diesen populären, öffentlichen Personen die immanente Gefahr der Kritik und Herabwürdigung ausging. So sei durch die Behandlung dieser Gruppen als inhonesti ihr Einfluss auf politische Prozesse sowie die Möglichkeit, wirksam Vertreter der Oberschicht verbal zu attackieren, geschmälert und zugleich auch ambitionierten Konkurrenten die Option genommen worden, effektiv mit solchen Personen die eigene Karriere voranzutreiben (132f.).

Das vierte Kapitel (135-164) beleuchtet den Status jener Personen, die mit dem Tod ihr Geld verdienten, wie Bestatter und Henker. Hier wiederholt sich das Muster, dass der Geldgewinn mit menschlichen Körpern als schmutzig wahrgenommen wurde. Zusätzlich wurde der Kontakt mit toten Körpern als unrein klassifiziert und folglich auch die damit zusammenhängen Berufsgruppen. Im letzten Untersuchungskapitel (165-199) behandelt Lennon den Einsatz der Schmutzrhetorik gegenüber anderen Kulturen und Ethnien. Deutlich wird hier, dass insbesondere Gruppen, mit denen Rom schwere militärische Konflikte, wie Karthagern oder Persern, oder religiöse und kulturelle Probleme hatte, wie Ägyptern und Juden, als unrein sowie schmutzig und damit gezielt als Alterität charakterisiert wurden. In Abgrenzung zu diesen Gruppen wurde, insbesondere in Krisenzeiten, die eigene Reinheit definiert und die Einheit untereinander gestärkt.

In Gänze kann Lennon facettenreich Modi der Marginalisierung und Exklusion zeigen, die mit der Attribuierung von (Un)Reinheit verknüpft waren. Deutlich wird aus der Studie, dass es sich hierbei nicht nur um Chauvinismus handelte, sondern die behandelten Formen der Verunglimpfung vielmehr ein Instrument der römischen Elite waren. Diese konnte in Abgrenzung ihren eigenen Status, ihre Superiorität und die gesellschaftliche Hierarchie definieren sowie begründen und damit verbunden ebenjenen als unrein geltenden Gruppen in diversen Bereichen Partizipation und Aufstieg verbieten. Akteure dieser Gruppen, die durch ihren Reichtum oder ihre Popularität potentiell konkurrenzfähig waren, konnten dadurch klein gehalten werden. Zugleich boten die geschaffenen Normen auch Möglichkeiten sowohl die soziale Ordnung zu stabilisieren als auch innerhalb der Elite Devianz angreifbar zu machen.

Damit kann Lennons Studie überzeugen und leistet viel, in manchem Pionierarbeit. Es ist wahrscheinlich die Kürze des Buches und der Umfang der teilweise schnell behandelten Quellen, die es nicht an jeder Stelle des Werkes ermöglichen, das volle Potenzial der Studie zu entfalten. So wäre das Herausarbeiten der spezifischen Charakteristika und Entwicklungslinien der einzelnen Literaturgattungen von Vorteil gewesen. Z.B. wird an den Skandalkaisern Caligula, Nero, Domitian und Elagabal, denen jeweils zu viel Umgang mit unreinen Menschen zugeschrieben wurde, deutlich (46-47; 104), dass dies ein wichtiges Bewertungs- und Charakterisierungskriterium für Caesaren in der politischen Biographie war, wie es auch für die Kategorien Sexualität und Physiognomie erarbeitet wurde. [4] Auch wäre der Blick über den römischen Tellerrand auf die griechische Literatur, obwohl sich das Buch auf Rom konzentriert, an mancher Stelle fruchtbar gewesen, da sich hier die Ursprünge von und Parallelen zu einigen der behandelten Phänomene finden lassen. Der Vorwurf, dass Politiker durch käuflichen Sex unrein und ungeeignet für ihren Status seien, ist eine Diffamierungsform, die bereits in der attischen Rhetorik üblich war. [5] Ebenso ist der Rückschluss auf die (Un)reinheit einer Person und ihres Charakters über Körperflüssigkeiten und Praktiken beim Koitus ein Erbe griechischer, medizinischer Schriften. [6]

Zusammenfassend ist Jack Lennons Buch ein wertvoller, lesenswerter Forschungsbeitrag zur Geschichte der Stigmatisierung und der Dynamiken der Herabsetzung und Ausgrenzung in Rom, der zusätzlich die Bedeutung von häufig vernachlässigten Randgruppen für die römische Gesellschaft angemessen aufarbeitet.


Anmerkungen:

[1] Auch wenn nicht stark in der Forschung vertreten, gibt es gleichwohl bereits Vorarbeiten zu diesen Gruppen, wie jene von Robert Knapp, die auch Lennon aufgreift. Z.B. Robert Knapp: Invisible Romans, Cambridge 2011.

[2] Die Studien von Mary Douglas zu Konzepten von Reinheit und Beschmutzung in menschlichen Gesellschaften sind nach wie vor maßgebend für dieses Forschungsfeld und werden trotz des Alters zurecht von Lennon als Grundlage herangezogen. Vgl. Mary Douglas: Purity and danger: an analysis of concepts of pollution and taboo, London 1966.

[3] Auch Annabelle Thurn hat in ihrer Dissertation zu Diffamierungsstrategien bei Cicero, die von Lennon nicht berücksichtigt wird, zeigen können, dass der zu enge Kontakt oder generelle Verbindungen zu solchen devianten Personengruppen Angriffsfläche in der römischen Oberschicht bot und daher häufig in der römischen Invektive aufgegriffen wurde. Vgl. Anabelle Thurn: Rufmord in der späten römischen Republik. Charakterbezogene Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen, Berlin / Boston 2018, 115- 235.

[4] Vgl. Werner Krenkel: Sex und politische Biographie, in: Naturalia non Turpia. Sex and Gender in Ancient Greece and Rome, hg. von Werner Krenkel, Hildesheim 2006, 233-264 und Gian Franco Chiai: Good emperors, bad emperors: The function of physiognomic representation in Suetonius' De vita Caesarum and the common-sense physiognomics, in: Physiognomy and Ekphrasis: The Mesopotamian Tradition and its Transformation in Graeco-Roman and Semitic Literatures, hgg. von Alessandro Stravru / J. Cale Johnson, Berlin 2019, 203-226.

[5] Siehe z.B. Aeschin. 154-163.

[6] Vgl. z.B. Aristot. probl. 4, 26-30.

Jean Coert