Rezension über:

Helen Geyer / Marita Liebermann / Michael Matheus (Hgg.): Deutsches Studienzentrum in Venedig. 50 Jahre Wissenschaft und Kunst - Brücken am Canal Grande, Regensburg: Schnell & Steiner 2023, 448 S., 99 Farb-, 23 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-3774-9, EUR 69,00
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Rezension von:
Tobias Daniels
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Daniels: Rezension von: Helen Geyer / Marita Liebermann / Michael Matheus (Hgg.): Deutsches Studienzentrum in Venedig. 50 Jahre Wissenschaft und Kunst - Brücken am Canal Grande, Regensburg: Schnell & Steiner 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/38950.html


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Helen Geyer / Marita Liebermann / Michael Matheus (Hgg.): Deutsches Studienzentrum in Venedig

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Unter den deutschen Auslandsinstituten nimmt das durch das Staatsministerium für Kultur und Medien und die Fritz Thyssen Stiftung geförderte Studienzentrum in Venedig aufgrund seiner hier besonders gepflegten Disziplinenvielfalt eine Sonderstellung ein. Das Jubiläum zu seinem 50-jährigen Bestehen im Jahr 2022 gab Anlass zu diesem opulent ausgestatteten Band, der ein Stück der jüngeren deutsch-italienischen Wissenschaftsgeschichte dokumentiert und zugleich an die im Jahr 2023 verstorbenen Venedigforscher Klaus Bergdolt und Uwe Israel erinnert, die dem Institut eng verbunden waren.

Wer diesen Band in Händen hält, den ziehen zunächst die qualitätsvollen, großformatigen Fotografien von Julia Schambeck in den Ort des Geschehens hinein: den Palazzo Barbarigo della Terrazza am Canal Grande. Sie und weitere Bilder aus dem Institutsarchiv dokumentieren die vielfältigen deutsch-italienischen Initiativen und Begegnungen, die dort stattgefunden haben und stattfinden, ebenso wie die engen Verbindungen des DSZV mit Venedig, unter anderem mit der Università Ca' Foscari.

Im Reigen der Publikationen, insgesamt sind es 32 Kurzbeiträge, wird der Gehalt des Bandes vielleicht am besten durch den Titel des Aufsatzes von Barbara Kuhn verdeutlicht, der in Anlehnung an ein Diktum des Giordano Bruno lautet: "Unendliche Welten im Universum Venedig" (312-324).

Die Geschichte des Instituts, des Palazzo, dessen Name unter anderem mit Tizian und seiner Gemäldesammlung verbunden ist [1] und dessen gemeinschaftsstiftende Architektur nicht nur in der großen Terrasse, sondern auch in Gestalt von Bibliothek und selbst Küche zum Ausdruck kommen, aber auch jene der mannigfachen Forschungsprofile und der Kunstförderungen durch Stipendien werden in dem Band in vier Großsektionen abgehandelt; abgerundet wird er von Beiträgen einiger Ehrengäste des Instituts und durch einen Anhang mit einer Auflistung von Gremienmitgliedern, Stipendiatinnen, Stipendiaten und Gästen, die bis zum Jahr 2023 am DSZV gewirkt haben. Eine Bibliographie der hier entstandenen Studien zeigt einen breit gefächerten, ansehnlichen wissenschaftlichen Output (Einordnung bei Albrecht Cordes, 328) und lädt zum Weiterlesen ein.

Die - archivalisch erarbeitete - Darstellung der Institutsgeschichte führt über einen Gründungsversuch durch den hessischen Kunsthistoriker Gustav Ludwig (1854-1905), der auch an einer Konkurrenz mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz scheiterte; er arbeitet ferner die Geschichte eines nationalsozialistisch geprägten Deutschen Instituts in Venedig (1944/45) auf, gibt Einblick in die Gründungsphase, die auch mit der verheerenden Flut von 1966 und der Idee verbunden war, Venedig zu bewahren, oder auch in die Etablierung des DSZV und Richtungsentscheidungen seit den 1970er Jahren, die dazu führten, dass das Institut eben nicht ein lediglich kunsthistorisches oder historisches geworden wäre, sondern eines ist, unter dessen Dach gerade die Vielfalt Raum hat. Auch Krisen in den Jahren 1975 und 2004/05, die unter anderem mit institutioneller Verortung, Kompetenzstreitigkeiten und der Vergabepraxis der Stipendien zu tun hatten, werden nicht unter den Tisch gekehrt.

Die Vielfalt der Zugriffe - die natürlich auch durch die Vielfalt Venedigs bedingt sind - wird durch Beiträge von Spezialistinnen und Spezialisten für die Bereiche der Byzantinistik, Kunstgeschichte, Bau- und Architekturgeschichte, Geschichtswissenschaften, Musikgeschichte, Literatur-, Sprach- und Theaterwissenschaften sowie so genannte "kleinere Fächer" (wie etwa Medizingeschichte) dargestellt, die unter anderem auf Hybridität, Interkulturalität, Transregionalität, Grenzüberschreitungen, Inszenierung, Nostalgie und viele Aspekte mehr abheben. In der historischen Betrachtung wird deutlich, welch eine longue durée die Venedigforschung hat, wie viele deutsche Gelehrte mit Venedig in Berührung gekommen sind und sich von der Lagune inspirieren ließen, wobei u.a. die immense Anziehungskraft des Mythos Venedig seit dem 19. Jahrhundert als "die mittelalterlichste aller Städte" ins Auge springt (Claudia Märtl, 275). Nicht ohne Schmunzeln mag man bei der Lektüre nachvollziehen, wie die einzelnen Autorinnen und Autoren ihre jeweiligen Disziplinen als besonders bedeutsam im Rahmen der Venedigforschung am DSZV hervorheben: Gerade aus diesem Zusammenspiel und der produktiven Reibung entsteht das beeindruckend breite Gesamtpanorama. Im Hinblick auf die Forschungsprofile lassen sich - durch die abwechselnden Direktorinnen und Direktoren - Schwerpunkte erkennen, die aber doch meist in unterschiedlicher Weise die Funktion Venedigs als Drehscheibe oder Brücke zwischen den Kulturen würdigen. Bei aller Vielfalt wird durch Verweise auf Forschungsdesiderate für die Zukunft auch klar, dass noch sehr viel zu tun bleibt und 50 Jahre im Palazzo Barbarigo della Terrazza nur einen Anfang bilden.

Bemerkenswert ist auch die Vielfalt der künstlerischen Projekte, die im Palazzo angesiedelt waren, ihn mitgestaltet oder als Bühne verwendet haben (bis hin zu Donna Leon und ihrem Commissario Brunetti) bzw. durch das Institut in kreativen Dialog mit der Stadt getreten sind, u.a. auf der Biennale.

Wer schon Gelegenheit hatte, am DSZV zu forschen, zu lehren, sich inspirieren zu lassen, der wird dem Beitrag von Anette Hüsch sicher zustimmen: "Ein guter Ort" (350f.); und wer ihn noch nicht kennen gelernt hat, dem sei dies ans Herz gelegt. Gewöhnen kann man sich an Venedig sicher nicht, wie der aktuelle Vorstand in seinem Geleitwort mit einem Zitat von Diego Valeri betont (20), allerdings zeigt der Band, dass Institute wie dieses nur durch Unterstützung, Begeisterung und Engagement aus ihrer Geschichte heraus in die Zukunft blicken können, und dass es wichtig ist, Orte wie diesen zu schützen, zu pflegen und mit Leben zu füllen.


Anmerkung:

[1] Siehe auch: Ines Lamprecht: Der Palazzo Barbarigo della Terrazza zu Venedig, München 2014 (Studi. Schriftenreihe des Deutschen Studienzentrums in Venedig; 11); sowie den Kunstführer von Romedio Schmitz-Esser: Palazzo Barbarigo della Terrazza: Das Deutsche Studienzentrum in Venedig, Regensburg 2015.

Tobias Daniels