Rezension über:

Mihkel Mäesalu / Stefan Pajung (eds.): Danish-Estonian Relations in the Middle Ages (= Studies from The Museum of National History at Frederiksborg; Vol. 6), Museum of National History, Frederiksborg 2022, 363 S., ISBN 978-87-93049-47-5, DKK 249,00
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Rezension von:
Juhan Kreem
Tallinn University
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Juhan Kreem: Rezension von: Mihkel Mäesalu / Stefan Pajung (eds.): Danish-Estonian Relations in the Middle Ages, Museum of National History, Frederiksborg 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/39129.html


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Mihkel Mäesalu / Stefan Pajung (eds.): Danish-Estonian Relations in the Middle Ages

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Es bestand nie ein Zweifel, dass der 800. Jahrestag der dänischen Nationalflagge Dannebrog groß gefeiert sein muss. Nach einer im 16. Jahrhundert etablierten Legende fiel diese Flagge während der Schlacht im Jahre 1219 genau dort, wo später Reval entstand, im entscheidenden Moment vom Himmel und verhalf den Dänen zum Sieg gegen die heidnischen Esten. 2019 fanden in Dänemark und Estland zahlreiche Festakte und Ausstellungen statt, zudem erschienen Bücher und Sammelbände, mal mit einem größeren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, mal mit dem Ziel, ein breiteres Publikum anzusprechen. [1] Zudem schrieb die Carlsberg-Stiftung für einen dänischen und einen estnischen Historiker ein zweijähriges Postdoc-Forschungsstipendium aus, um sich eingehend mit den dänisch-estnischen Beziehungen im Mittelalter zu beschäftigen. Das Ergebnis liegt uns jetzt mit dem hier zu besprechenden Buch vor.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät dessen zweifaches Ziel. Erstens wird ein Überblick über die Zeiträume und Ereignisse gegeben, bei denen Estland und Dänemark aufeinandertrafen. Die eigentliche Dänenherrschaft in Estland bestand von 1219 bis 1346 (unterbrochen 1227-1238), im Buch jedoch wird das gesamte Mittelalter der Region bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts abgedeckt und in äußerst knapper Form auch die Zeit bis zum Ende der dänischen Besitzungen im Baltikum (1645) skizziert. Übersichtlichkeit wird zudem durch eine Analyse der Forschungsgeschichte gewährleistet und mit Landkarten und chronologischen Tabellen zusätzlich unterstützt. Zweitens wurden in das Buch Fallstudien über solche Wendepunkte oder Themen aufgenommen, die aus den Forschungsinteressen der Autoren erwachsen sind. Die dem Buchtitel inhärente Gefahr, einem methodological nationalism zu erliegen, wissen die Autoren zu vermeiden. Es gab im Mittelalter weder Dänemark noch Estland in der uns heute bekannten territorialen Form. Der dänischen Monarchie waren große Ländereien in Norddeutschland unterstellt, und sie stand zeitweilig auch der Kalmarer Union der drei skandinavischen Königreiche vor; die Provinz Estland war hingegen ein integraler Bestandteil Alt-Livlands. Die im Band erfasste Region erweitert sich daher gelegentlich auf den gesamten Ostseeraum.

Das in der älteren Geschichtsschreibung entstandene Bild einer relativ eigenständigen Überseekolonie Estland, die nur bedingt als "dänisch" bezeichnet werden könne und sich eher an die anderen Landesherrschaften Alt-Livlands als an die Krone Dänemarks gehalten habe, war von langer Dauer. Mit Recht heben die Autoren die maßgeblich von Niels Skyum-Nielsen geprägte Wende der 1970er Jahre hervor, der in seinen Werken den dänischen Charakter der Verfassung der Provinz Estland betont hat. Ein neuerer historiografischer Trend, der viel zum Verständnis der dänisch-estnischen Beziehungen im 13. Jahrhundert beigetragen hat, ist die Kreuzzugsforschung der letzten Jahrzehnte, die die Rolle Skandinaviens bei der Christianisierung Alt-Livlands stärker in den Vordergrund gestellt hat als zuvor. Im weiteren Rahmen der mittelalterlichen Ostseegeschichte haben die 1970er Jahre wichtige Erkenntnisse erbracht: Das von Mihkel Mäesalu und Stefan Pajung oft benutzte Stichwort infiltration verweist auf Hain Rebas und dessen Charakterisierung der Beziehungen Skandinaviens zum Ostbaltikum im 15. Jahrhundert. [2] Die Lektüre des Bandes bekräftigt die Überzeugung der Forschung, dass der skandinavische Faktor in der Gesichte Livlands nicht übersehen werden darf, aber gleichzeitig auch nicht immer leicht zu fassen ist.

Die Fallstudien des Bandes konzentrieren sich auf die politische Geschichte. Pajungs Hauptinteresse gilt dem Klerus. Betrachtet man die Verbindungen der Geistlichkeit von Estland und Dänemark über einen längeren Zeitraum, zeigt sich, dass ungeachtet der großen räumlichen Distanz estländische Geistliche im politischen Leben des Königreichs eine wichtige Rolle als Vertreter der Provinz Estland und als Vermittler in den Konflikten zwischen König und Kirche gespielt haben. Pajungs Studie über Albert Suerbeer, päpstlicher Legat und Erzbischof von Riga, behandelt die Verbindungen dieses wichtigen Prälaten nach Dänemark und zeigt zugleich die Verwobenheit der kirchlichen Strukturen des Ostseeraumes im 13. Jahrhundert. Mäesalu seinerseits kann beweisen, wie abhängig die estländischen Vasallen von der dänischen Monarchie waren und welche Anstrengungen sie für die Steuerzahlungen unternehmen mussten. Zudem interessiert Mäesalu die Kommunikation der dänischen Könige mit dem Deutschen Orden vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Während im 13. Jahrhundert die Könige als Unterstützer und Donatoren des Ordens hervortraten, verkomplizierten sich die Beziehungen im 15. Jahrhundert aufgrund der veränderten Machtverhältnisse im Ostseeraum - insbesondere, als der Orden seine frühere Rolle als Anführer der Kreuzzugsbewegung einbüßte und die livländischen und preußischen Ordenszweige eigene landesherrliche Interessen entwickelten.

Der schöne Gesamteindruck des reich bebilderten Bandes wird durch die editorischen Mängel etwas getrübt. Auch wenn das Buch formal gesehen irgendwo zwischen Monografie und Sammelband angesiedelt ist, hätte man im Text entscheiden können, ob man die Abschnitte des Buches als chapter oder article bezeichnet. In der Einführung wird auf Kapitelnummern verwiesen, die aber im Inhaltsverzeichnis und in den Kapitelüberschriften fehlen. Vier Kapitel von insgesamt elf sind bereits an anderer Stelle erschienen, was zu einigen unnötigen Wiederholungen (86-88 / 106 folgend; 129 / 132; 131 folgend / 303 folgend) führt. Mal werden die Anmerkungen als notes, mal als noter (292, 261, 325) bezeichnet. Die Personennamen sind nicht immer nach einem einheitlichen Muster gestaltet (zum Beispiel, "Heinrich der Löwe" vs. "Erik IV Ploughpenny"), Unstimmigkeiten finden sich auch beim Gebrauch von baltischen Ortsnamen: Ermes und Valga stehen nebeneinander (323) - konsequent wäre entweder Ermes und Walk oder Ērģeme und Valga gewesen; anstelle von Merjuwa müsste es Merjama (estn. Märjamaa) heißen (129, 302). Diese Fehler sind mit dem Zeitdruck bei solch befristeten Projekten zu erklären.

Zusammenfassend muss man jedoch betonen, dass die Publikation einen guten Einstieg in das Thema sowie einige interessante neue Forschungsergebnisse bietet.


Anmerkungen:

[1] Zum Beispiel: Jens E. Olesen: Denmark and Estonia 1219-2019, Greifswald 2019; Marika Mägi u.a.: Da danskerne fik Dannebrog. Historien om de dansk-estiske relatoiner omkring år 1200, Tallinn 2019.

[2] Hain Rebas: Infiltration och handel. Studier i semmedeltida nordisk balticumpolitik i tiden omkring 1440-1479, Göteborg 1976.

Juhan Kreem