Rezension über:

Susanna Burghartz: Zeiten der Reinheit - Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn: Ferdinand Schöningh 1999, 330 S., ISBN 978-3-506-71821-1, DM 92,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Joachim Eibach
Forschungszentrum Europäische Aufklärung, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Eibach: Rezension von: Susanna Burghartz: Zeiten der Reinheit - Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn: Ferdinand Schöningh 1999, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 1 [15.01.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/01/2369.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Susanna Burghartz: Zeiten der Reinheit - Orte der Unzucht

Textgröße: A A A

Das Wortspiel im Titel von Susanna Burghartz' Monographie greift zwei zeitgenössische Begriffe auf, die dichotomisch aufeinander bezogen sind. Seit der Reformation stellten 'Reinheit' und 'Unzucht' diskursleitende Begriffe dar, die das Denken über und damit auch die Praxis sexueller Beziehungen wirkungsmächtig strukturierten. 'Rein' war die Sexualität nur im Rahmen der Ehe. Alle Formen von Sexualität, die vor oder außerhalb der Ehe praktiziert wurden, figurierten als 'Unzucht'. An diese hochgradig normative Konstruktion knüpfte sich ein Disziplinierungsprogramm. Über den inhaltlichen Ansatz dieses Disziplinierungsprozesses dürfte mittlerweile in der Forschung weitgehend Einigkeit herrschen. Dies gilt indessen nicht unbedingt für das Wie, die faktischen Grenzen und die Sichtweisen der beteiligten Akteure: d.h. die Erfahrung der involvierten Männer und Frauen, sodann die Perspektiven der verschiedenen weltlichen und geistlichen Obrigkeiten.

Die Habilitationsschrift von Susanna Burghartz geht das Thema anhand der Ehegerichtsprotokolle der Stadt Basel an, einer seriellen Quelle, die von der Einrichtung des Ehegerichts im Jahr 1529 bis zu seiner Auflösung Ende des 19. Jahrhunderts fast lückenlos überliefert ist. Die Gliederung der Studie in acht Teile ist stringent. Im ersten Teil referiert die Autorin die Forschungslage, stellt den Entstehungskontext des Basler Ehegerichts - die Reformation mit ihrer Neubewertung der Ehe und ehelicher Sexualität - sowie die konstitutiven Diskurse vor: Am Beginn stand zum einen den Reinheitsdiskurs der Theologen, zum anderen der Ordnungsdiskurs der städtischen Zünfte und Obrigkeiten seit dem 15. Jahrhundert. Ihr konzeptuelles Profil bezieht Burghartz' Studie durch die Verbindung anthropologischer Forschungen zum Prinzip Reinheit (Mary Douglas) mit dem Interpretament der Konfessionalisierung (Heinz Schilling). Teil zwei geht näher auf die Vorstellungen der Reformatoren zur Ehe als erstem Stand Gottes und zur Reinheit innerehelicher Sexualität ein. Am ausführlichsten wird hier die Ehelehre Heinrich Bullingers, des Nachfolgers Zwinglis in Zürich, untersucht, wobei auch Aspekte der Hausherrschaft und der Generationenordnung zur Sprache kommen. Teil drei ist der Entwicklung der Rechtsnormen gewidmet, mittels derer nicht nur ein Rahmen für die Tätigkeit des Ehegerichts, sondern auch, wie Burghartz aufzeigt, eine "eindeutig asymmetrische Geschlechterordnung fixiert" wurde (78).

In den zentralen Kapiteln vier bis sieben wendet sich die Autorin der Praxis des Basler Ehegerichts in der Zeit zwischen Reformation und Orthodoxie bzw. Frühaufklärung zu. Die Justizpraxis eines derartig langen Zeitraums kann arbeitstechnisch nur durch die Bildung von Fallsamples bewältigt werden, ein sinnvolles und in der Forschung mittlerweile etabliertes Verfahren. Es handelt sich hier um vier Fünf-Jahres-Erhebungen im Abstand von jeweils etwa einem halben Jahrhundert. Hinsichtlich des Aussagegehalts der Basler Ehegerichtsakten ist es relevant zu vermerken, dass man es nicht mit ausführlichen Vernehmungsprotokollen zu tun hat, in denen die Aussagen von Beschuldigten und Zeugen minuziös notiert wurden, sondern mit kurzen, summarischen Sitzungsprotokollen. In den Quellen dominiert also trotz der immer wieder vermerkten Aussagen von Akteuren eindeutig die Wahrnehmung der Obrigkeit. Dieser perspektivischen Brechung ist sich die Autorin stets bewußt und vermag sie produktiv umzusetzen, indem sie einen starken Akzent ihrer Ausführungen auf den gerichtlichen Diskurs über Ehe und Sexualität setzt. Die systematische Erhebung von gerichtlichen Verfahrensweisen, Konflikttypen und Urteilen erlaubt es zudem, auch quantitativ zu argumentieren. Im Einzelnen wird die Praxis des städtischen Ehegerichts im Hinblick auf strukturelle Entwicklungen sowie inhaltsbezogen auf Eheversprechen, Scheidungen und Unzuchtsvergehen hin untersucht.

Die Ergebnisse der Studie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: In der ersten Phase seiner Tätigkeit, nach Einführung der Reformation, erfüllte das Basler Ehegericht noch vor allem eine sozialpolitisch integrative Funktion. Formal dominierte der Verfahrenstyp der Klage, inhaltlich dominierten strittige Eheversprechen. Klägerinnen und Kläger hatten dabei durchaus Aussichten, ihre Interessen vor den Schranken der Justiz durchzusetzen. Auch Scheidungsklagen wurden in dieser Frühphase häufig behandelt, während Urteile wegen Unzucht Ausnahmecharakter hatten. Dies änderte sich dann bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als an die Stelle des Prinzips der Integration "zunehmend eine Politik der Ausgrenzung und Bestrafung" trat (105). Prozesse ex officio lösten diejenigen aufgrund Klagen von Betroffenen als dominierender Verfahrenstyp ab. Auf der Agenda des Gerichts standen immer häufiger Unzuchtsvergehen und Strafen. Die Politik der Repression gegen alle außerehelichen Formen von Sexualität wurde im 17. Jahrhundert fortgesetzt und intensiviert. Damit hatte sich ein langfristig wirksames Wahrnehmungsmuster vor Gericht durchgesetzt. Falsch wäre es, die Disziplinierungsversuche des Gerichts als einen Prozeß der Ordnung von Ungeordnetem, der Zivilisierung von Unzivilisiertem zu begreifen, wie es manchen modernisierungstheoretischen Theoremen entsprechen würde. Demgegenüber stellt die Autorin im Schlussteil völlig zu Recht fest, dass man es vielmehr mit einer Verschiebung und Überlagerung der alten Ordnungskriterien zu tun habe. Mit Blick auf den Wandel der Praxis des Basler Ehegerichts, das Umkippen von Integration hin zu Ausgrenzung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, überzeugt es, die Konfessionalisierung als einen entscheidenden Faktor anzusehen. Die aus der Opposition von Integration und Ausgrenzung bestehende Logik des Reinheitsdiskurses erhielt ihre besondere Dynamik aus der Konkurrenzlage der Konfessionen.

Gleichwohl ist es diskutabel, die Funktion des Ehegerichts - nach seiner Anlaufphase - in erster Linie als eine seitens der Obrigkeit ausgeübte 'Repression', als Selbstinszenierung reformierter Justiz und das Vorgehen gegen vor- und außereheliche Sexualität als 'Pönalisierung' zu beschreiben. Möglicherweise wird, dies gilt auch allgemeiner für Teile der Devianzforschung, der Konsens zwischen Obrigkeit und Bürgern über das Richten unterschätzt. Fest steht, dass auch aus den Reihen der städtischen Einwohnerschaft Anzeigen erfolgten und weiterhin versucht wurde, die Justiz für die eigenen Interessen, sei es Ausgrenzung anderer, sei es Schutz der eigenen Person, zu nutzen. Die gängige Sanktion für Unzuchtsvergehen bestand in Basel aus Geldstrafen, derjenigen Sanktion, die am wenigsten ehrenrührig und punitiv war. Anders als etwas das Prangerstehen oder Schandkarrenziehen ließen sich Geldbußen ohne Ehrverlust begleichen, grenzten nicht aus und taugten auch nicht als öffentliche Inszenierung, die ja im Allgemeinen ein grundlegendes Charakteristikum der alten Justiz war. Diese für die weitere Diskussion der Thematik gedachten Hinweise sollen den Ertrag der Langzeit-Untersuchung von Burghartz nicht schmälern. Besonders beeindruckend ist die geglückte Verbindung von Diskursgeschichte und Strukturgeschichte, wodurch zahlreiche praxisrelevante Aspekte der Ehegerichtsbarkeit erhellt werden. Nicht zuletzt ist dieses Buch gut lesbar.

Joachim Eibach