Andrew Pettegree (ed.): The Reformation World, London / New York: Routledge 2000, 576 S., ISBN 978-0-415-16357-6, GBP 120,00
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Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.
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Studien zur Reformation haben nach wie vor Konjunktur. Während sich die deutsche Historiographie in den letzten zwanzig Jahren vor allem am Konfessionalisierungsparadigma abgearbeitet hat, stand im Mittelpunkt der anglo-amerikanischen Forschung besonders die von Bob Scribner angestoßene Frage nach "popular religion" und deren Verhältnis zur Elitenkultur. Diffusions- und Transformationsprozesse der Reformation mit Hilfe der neuen Printmedien, Erziehung und ihre Auswirkungen auf die Geschlechterrollen spielten hierbei eine ebenso wichtige Rolle wie die Neubewertung der katholischen Kirche vor und im Reformationszeitalter. Andrew Pettegree, Direktor des St. Andrews Reformation Studies Institute, eines der wichtigsten Zentren für Reformationsstudien in Großbritannien, weist zu Recht darauf hin, dass sich die reformationsgeschichtliche Forschung des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts seit Geoffrey Eltons "Reformation Europe" von 1963 mit seinen großen Kontrahenten Martin Luther und Karl V. enorm verbreitert hat. Zum einen ist "Reformation Europe" nun tatsächlich "Reformation Europe" und beinhaltet also weit mehr als nur die Ereignisse in Deutschland, Genf und Großbritannien, zum anderen geht es schon lange nicht mehr nur um die Auseinandersetzungen und Diskussionen theologischer und politischer Leitfiguren im Ringen um religiöse Wahrheit, sondern um die Implikationen der Reformation als Fundamentalprozess für die Lebenswelt ihrer Zeitgenossen.
Der vorliegende Band deckt diese Felder mit 30 Artikeln ab, die zu einem beträchtlichen Teil von jungen Wissenschaftlern aus dem Umfeld von St. Andrews verfasst worden sind. Das Resultat ist teilweise erfrischend, teilweise enttäuschend. Zwar sind einige der Arbeiten, wie etwa die Diskussion um eine spezielle Reformationsarchitektur, um die Rolle von Theologie und Wissenschaft und die Frage nach dem Verhältnis von Reformation und Volkskultur interessant und stimulierend. Der Großteil der Artikel, vor allem diejenigen, die den Bereich der Reformation außerhalb ihrer großen Gravitationszentren behandeln, bewegt sich jedoch auf wohlbekanntem Gelände. Die Studien zu Osteuropa, Skandinavien, der Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien, England, Schottland und den Niederlanden sind überzeugend und solide, bieten aber wenig Neues, zumal in den letzten Jahren gerade zu diesem Thema eine Reihe von Sammelbänden, unter anderem auch unter der Herausgeberschaft von Andrew Pettegree, vorgelegt wurden. [1] In den thematischen Kapiteln überwiegt nach wie vor eine Untersuchung der Verhältnisse in Deutschland, katholische Reform und Gegenreformation haben keinen Platz in der "Reformation World". Die Illustrationen, auf die sowohl der Klappentext als auch die erste Seite des Buches hinweisen, bewegen sich ebenfalls im Rahmen des Bekannten: Albrecht Dürers "Philip Melanchthon" und Hans Baldun Griens "Luther als Augustinermönch" gehören zum Standardrepertoire jeder Einführungsveranstaltung zum Thema. Für £120 hätte man auch ein bisschen Farbe in Hochglanz erwarten können.
Man könnte all dem entgegenhalten, dass das Buch sich selbst als Überblickswerk versteht. Der stolze Preis macht es allerdings unerschwinglich für den Leserkreis, der davon am ehesten profitieren würde, nämlich die Studierenden, und wird auch die meisten potenziellen Leser mit einem akademischen Gehalt vom Kauf abschrecken. Es bleibt abzuwarten, ob Routledge eine "benutzerfreundlichere" und preiswertere Paperback-Ausgabe vorlegen wird.
Anmerkung:
[1] Siehe beispielsweise Andrew Pettegree (ed.): The Early Reformation in Europe, Cambridge 1992; ders. / Alastair Duke / Gillian Lewis (eds.): Calvinism in Europe, 1540-1620, Cambridge 1994.
Raingard Eßer