Peter Hoffmann: Anton Friedrich Büsching (1724-1793). Ein Leben im Zeitalter der Aufklärung (= Aufklärung und Europa. Schriftenreihe des Forschungszentrums Europäische Aufklärung e.V.), Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2000, 322 S., ISBN 978-3-8305-0022-3, DM 67,99
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Die Biografie hat wieder an Reputation und Konjunktur in der Geschichtswissenschaft gewonnen - man denke nur an Margit Szöllösi-Janzes preisgekrönte Arbeit über den deutschen Chemiker Fritz Haber. Die Monografie von Peter Hoffmann über den Aufklärer Anton Friedrich Büsching ist jedoch, mit Verlaub, eine Biografie alten Schlages. Der Autor interessiert sich für eine Einzelperson, das biografisch Individuelle, weniger für die Handlungskontexte.
Hoffmanns Zugang ist direkt, fast theorie- und methodenlos. Er baut keine Distanz zu seinem Gegenstand auf - und kann sich ihm daher in scheinbar paradoxer Weise auch nicht nähern. Büsching ist demnach ein unabhängiger Geist, "ein gradliniger Charakter" (116), ein gehorsamer Untertan, der das Antichambrieren aber verabscheut, ein innovativer Gelehrter, ein großes Organisationstalent, der seine Zeit bestens einzuteilen weiß, sowie ein stets streb- und arbeitsamer Pädagoge. Einzig ein gewisser Hang zur Eigenliebe ist auf der Sollseite zu verbuchen. Die meist positiven Urteile von Zeitgenossen oder aus Rezensionen von Nicolais "Allgemeiner deutscher Bibliothek" über Büsching werden weder hinterfragt noch kontextualisiert. Auch Selbstzeugnisse Büschings, vor allem aus seiner Schrift "Eigene Lebensgeschichte" von 1789, werden allzu unkritisch als Belege angeführt. So entsteht ein Amalgam aus Büschings Selbstdarstellung und Hoffmanns Projektion eines aufrechten Aufklärers.
Die Autopoiesis der Aufklärer kann so nicht sichtbar werden. Vieles von dem, was Hoffmann als bare Münze akzeptiert, ist topisch, etwa die Klage über die knappe Zeit beziehungsweise die große Arbeitsbelastung (127 und öfter). Im Hinblick auf Fragen der bürgerlich-aufgeklärten Selbststilisierung beziehungsweise des "self-fashioning" würde Büsching wohl ein ergiebiges Studienobjekt abgeben.
Die Motivation des Autors sich mit Büsching zu beschäftigen - er begann damit vor 40 Jahren - ist eine andere. Hoffmann will einem zu Unrecht (halb) vergessenen Aufklärer wieder die nötige Aufmerksamkeit verschaffen. Leitmotivisch zieht sich die Rede durch die Arbeit, dass Büsching "zu wenig beachtet worden ist" (222).
Sicherlich, es liegen nur wenige Untersuchungen zu Büsching vor. Wenn aber in der Bibliografie in der zweiseitigen Rubrik "Forschungsliteratur" die Hälfte des Raumes von Arbeiten des Autors eingenommen wird, so mutet dies doch etwas eigentümlich an. Auch wirkt seine Auseinandersetzung mit den vorliegenden Arbeiten mitunter kleinlich und besserwisserisch. Die anderen haben sich, folgt man dem Autor, entweder zu wenig mit Büsching beschäftigt oder die Schwerpunkte falsch gesetzt, und können "dem wirklichen Wollen und Wirken Büschings nicht gerecht werden" (263).
Hoffmanns Buch gliedert sich in zwei Teile, in "Biografie" und "Werk". Die Lebensstationen Büschings weisen ihn als einen "typischen" Aufklärer aus: Kindheit im westfälischen Stadthagen, Lateinschule und Theologiestudium in Halle, danach Hauslehrer und Theologieprofessor in Göttingen. Von 1761-1765 ist er Prediger und Schulleiter an der Petersschule in Sankt Petersburg, ab 1766 fungiert er als Direktor des Gymnasiums zum Grauen Kloster und Oberkonsistorialrat in Berlin. Dieser erste Teil ist recht langatmig und kommt oft nicht über eine Aneinanderreihung von Quellenbelegen hinaus.
Interessanter fällt der zweite Teil aus, in dem die einzelnen Interessens- und Arbeitsgebiete Büschings abgehandelt werden. Wenn überhaupt ist Büsching, wie Hoffmann unablässig moniert, heute nur noch als Geograf und Autor der mehrbändigen, mehrfach erweitert aufgelegten, aber unvollständig gebliebenen "Neuen Erdbeschreibung" bekannt. Hoffmann sucht aber etwa auch die Bedeutung Büschings für die Aufklärungshistoriographie und die Statistik herauszuarbeiten. Dabei muss er aber selbst einräumen, dass Büsching "seine Aufgabe im Sammeln und Systematisieren der Fakten, weniger in der Zusammenschau" (170) sah und bereits von Zeitgenossen als faktenhuberischer Besserwisser abgestempelt wurde. Hoffmanns Rettungsversuch im Bereich der Statistik läuft darauf hinaus, dass Büschings umfangreiche Publikationen entsprechender Tabellen zumindest kurzfristig einen Neuigkeitswert besaßen, wenn diese auch bald wieder als ein Zuviel an Zahlenmaterial abgetan wurden. In diesem Kontext hätte man gerne mehr über die Art und Weise erfahren, wie Quantitäten erfasst und repräsentiert wurden.
Recht erfolgreich war Büsching als Herausgeber des "Magazin für die neue Historie und Geografie" (1767-1788) und der "Wöchentlichen Nachrichten von neuen Landkarten, geografischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen" (1773-1787). Das "Magazin" würdigt Hoffmann insbesondere als wichtige Quellensammlung zur russischen Geschichte: Büsching habe das deutsche Russlandbild in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wesentlich geprägt. Damit versucht er Büsching auch gegenüber dessen in den Augen der Nachwelt bedeutsameren Göttinger Konkurrenten August Ludwig Schlözer zu rehabilitieren.
Der Pädagoge Büsching beginnt bereits in seinen Hallenser Studienjahren zu unterrichten, führt in seiner Berliner Zeit den Fachunterricht ein und fördert damit die Spezialisierung der Lehrer. Was seine Kritik am Auswendiglernen und geistlosen Repetieren angeht, so ist Büsching sicher nur Teil einer sehr viel breiteren pädagogischen Bewegung der Aufklärung, die die Schüler zum Selbstdenken anregen und auf ihre individuellen Anlagen eingehen möchte.
Als Theologe ist Büsching durch den Hallenser Pietismus geprägt, lässt sich aber dessen rationalistischen und neologischen Fortentwicklungen zuordnen, wie etwa seine Streitschriften in verschiedenen Debatten unter anderem mit dem Hamburger Pastor Johann Melchior Goeze zeigen. Büschings Plädoyer für religiöse Toleranz schließt sich der Autor an, anstatt es zu historisieren.
Nicht, dass sich Hoffmann nicht um eine Kontextualisierung Büschings bemüht. Der skizzierte Hintergrund bleibt aber lediglich das Relief, vor dem sich der Wirkungskreis Büschings entfaltet. Hoffmanns Augenmerk gilt "dem wirklichen Wollen und Wirken Büschings", sehr viel weniger dessen Interaktion mit seiner Umwelt. Querverbindungen zwischen den einzelnen Interessens- und Tätigkeitsgebieten Büschings werden kaum hergestellt. Der Versuch, Büsching gegen den Vorwurf, er sei ein "oberflächlicher Vielschreiber" gewesen, in Schutz zu nehmen, verkehrt sich daher mitunter geradezu ins Gegenteil.
Mit Blick auf die Erschließung von Quellen und deren Zusammentragung ist die detailreiche Darstellung von Leben und Werk Büschings verdienstvoll. Hoffmann ist im Gegensatz zu Büsching des Russischen mächtig, was ihm erlaubt die entsprechende Sekundärliteratur mit einzubeziehen. Auffallend ist aber, dass ansonsten nur deutschsprachige Forschungsliteratur herangezogen wird. Ansätze aus dem westeuropäischen bzw. anglo- amerikanischen Raum werden nicht aufgenommen. Mit Blick auf Fragen der Produktion und Repräsentation von Wissen ist dies im Falle Büschings besonders bedauerlich. Es scheint nach wie vor eine ältere Aufklärungshistoriographie zu geben, die ihren angestammten Gegenstandsbereich noch nicht verlassen und auch methodisch noch nicht zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Der Hoffnung des Autors, dass seine Arbeit weitere Forschungen zu Büsching anregen wird, darf man sich anschließen. Nur wäre zu wünschen, dass dies mit mehr methodischer Reflexion geschieht und von einem stark verbreiterten Erkenntnisinteresse getrieben wird, das sich nicht auf die Person Büschings versteift.
Oliver Hochadel