Barbara Marx (Hg.): Elbflorenz. Italienische Präsenz in Dresden 16.-19. Jahrhundert, Dresden: Verlag der Kunst 2000, 240 S., 30 Farb-, 60 s/w-Abb., ISBN 978-90-5705-150-0, DM 86,00
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Elbflorenz - bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts schwebt dieser Nimbus über der albertinischen Residenzstadt und manifestierte sich im 18. Jahrhundert mit Herders "Adrastea" zum verbalen Logo Dresdens. Doch woran lässt sich die glanzvolle Entwicklung der nordischen Metropole an der Elbe als "altera florentina" festmachen und wie wurde dieses italienische Image durch den Dresdner Hof etabliert, gepflegt und bewahrt? Ein faszinierendes Thema, das in der Dresden-Forschung bislang nur beiläufig berührt wurde. Der von Barbara Marx herausgegebene Sammelband "Elbflorenz: Italienische Präsenz in Dresden 16. - 19. Jahrhundert" versucht darauf Antworten zu geben. Anhand von Beispielen aus Architektur, Skulptur und Kunsthandwerk, aber auch der Literatur, Musik und Philologie untersucht eine fachkundige Autorenschaft die Bedeutung und den Transfer italienischer Kunst und Kultur an den Dresdner Hof. Eine besondere Rolle spielt dabei auch die politische Integration und die damit verbundenen diplomatischen Beziehungen der Albertiner zu den europäischen und explizit zu den italienischen Herrscherhäusern.
Der zeitliche Rahmen des Bandes ist weit gesteckt, er reicht vom Beginn der jungen Residenzstadt unter den Albertiner Herzögen und späteren Kurfürsten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Höhepunkt der urbanen Entwicklung als Hauptstadt des Königreichs Sachsen im frühen 19. Jahrhundert. "Elbflorenz" vereint insgesamt vierzehn Aufsätze, die auf Forschungsergebnisse mehrerer Projekte zurückgehen. Es handelt sich um die Tagungsberichte des interdisziplinären Deutsch-Italienischen Kolloquiums "Italiener in Elbflorenz", das im Mai 1997 in Dresden stattfand, um Beiträge des 1996-1998 durchgeführten Forschungsprojekts "Vergleichende Hofkultur Dresden - Ferrara" und Untersuchungen, die im Rahmen des Sonderforschungsbereiches "Institutionalität und Geschichtlichkeit" seit 1997 an der Technischen Universität Dresden erarbeitet werden. Das letztgenannte Projekt, unter der Leitung von Barbara Marx, untersucht die ästhetische Kanonbildung am sächsischen Kurfürstenhof im 16. und frühen 17. Jahrhundert, die sich auf der Grundlage des Kulturtransfers zwischen Dresden und nord- und mittelitalienischen Fürstenstädten entwickelte. Der sehr lesenswerten und hervorragend illustrierten Publikation sind ein umfangreiches Quellenverzeichnis und Personenregister beigefügt. Die Beiträge wurden nach historischen Gesichtspunkten gegliedert. Auf Grund der Fülle des Materials wäre eine thematische Gliederung für den Nutzer vermutlich vorteilhafter gewesen.
Einführend macht die Herausgeberin auf das Anliegen und die Schwerpunkte der Veröffentlichung aufmerksam. Im ersten Beitrag untersucht Marx das italienische Moment in der Dresdner Hofkultur des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Die Autorin belegt, dass sowohl in der Architektur, im Kunsthandwerk, in der Einrichtung von Kunstkammern, aber auch in der Musik und Festkultur sowie in der ritterlichen Turnierübung eine sehr frühe Anlehnung des Dresdner Herrscherhauses an das italienische Kulturmodell erfolgte. Anhand ausgewählter Beispiele wird dargestellt, wie dieser Kulturtransfer zwischen Sachsen und Italien in materieller und personeller Form verlief und wer die politischen Protagonisten sowie die an den Dresdner Hof berufenen italienischen Künstler waren. Marx zieht dabei auch parallele Entwicklungen an anderen deutschen Höfen, so unter anderen den bayerischen oder hessischen, zum Vergleich heran.
Dem politischen Bund zwischen den Herrscherhäusern von Ferrara und Dresden in der Mitte des 16. Jahrhunderts widmet sich der Beitrag von Evelyn Korsch. Beide Höfe werden vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Karl V. und König Heinrich II. von Frankreich vorgestellt. Der Aufsatz bietet zudem Einblick in die politisch brisanten Verknüpfungen Moritz von Sachsens mit dem türkischen Sultanat, welche darauf zielten, Moritz als König von Ungarn unter türkischer Oberhoheit einzusetzen - ein Vorhaben, das Kursachsen einen bedeutenden Platz unter den Mächtigen Europas gesichert hätte.
Dem Kosmopoliten am Dresdner Hof, Gian Lodovico Bianconi, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Leibarzt König Augusts III., aber auch als Kunsthändler und Sächsischer Gesandter beim päpstlichen Stuhl in Rom wirkte, ist der Aufsatz von Giulia Cantarutti gewidmet. Die Autorin untersucht Bianconis politische Leistungen für das polnisch-sächsische Königshaus, beschreibt aber auch das private Leben des Diplomaten. Dabei bleibt Bianconis Teilnahme an der 1753 erfolgten Überführung von Raffaels "Sixtinischer Madonna" nach Dresden nicht unerwähnt.
Aus kunsthistorischer Sicht sind die Beiträge von Damian Dombrowski, Marcus A. Castor und Konstanze Rudert hervorzuheben. Damian Dombrowski untersucht die italienischen Tendenzen in der höfischen Kommunikation zwischen Dresden und Prag um 1600. Prag als Residenz der Habsburger war Zentrum einer an Italien orientierten, höfischen Prachtentfaltung und sollte vorbildhaft für die Entwicklung der Dresdner Metropole werden. Der rege Kulturtransfer zwischen beiden Residenzen fand seinen Niederschlag im Austausch italienischer Künstler und Kunstgegenstände, stilistischen Anregungen bei Bauprojekten und der Gestaltung von Interieurs. Für beide Höfe galt italienische Kunst als Garant für Exklusivität und Modernität.
Marcus A. Castors Beitrag widmet sich dem bedeutendsten sächsischen Festungsbaumeister der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Rocco di Linar. Der Autor untersucht die Entwicklung der Dresdner Festungsarchitektur und vergleicht die Befestigungssysteme von Caspar Vogt von Wierandt aus der ersten Jahrhunderthälfte mit der regulativen Fortifikation in italienischer Manier eines Rocco di Linar ab der Jahrhundertmitte. Als Spross einer adligen italienischen Familie wird Linar nicht nur als Architekt, sondern auch als Mathematiker, Schriftsteller und politische Präsentationsfigur des sächsischen Hofes vorgestellt.
Konstanze Rudert zeichnet in ihrem Aufsatz die letzten Schaffens- und Lebensjahre des aus Vicenza stammenden Bildhauers Lorenzo Matielli als führendem sächsischen Hofbildhauer im Dresden der 1740er-Jahre nach. Der künstlerischen Meisterschaft Matiellis, zu dessen Hauptwerk die monumentalen Skulpturen der Dresdner Hofkirche zählen, steht sein selbstherrliches Auftreten gegenüber seinen Mitbürgern und Kollegen entgegen.
Auf der Grundlage erhaltener Inventare bietet Gregor J. M. Weber eine Rekonstruktion der ursprünglichen Hängung und repräsentativen Inszenierung der italienischen Gemälde in der Dresdner Galerie im Jahr 1754.
Die Präsenz des Italienischen am Hofe Augusts des Starken und seiner Söhne beleuchtet Maria Liebner kaleidoskopartig an Einzelbeispielen aus den Bereichen Kirche, Politik, Architektur, Dichtung und Kunsthandel. Dieser Aufsatz leitet über zu Fabio Marris Würdigung des in Dresden tätigen italienischen Dichters Stefano Benedetto Pallavacini - einem Poeten, "der sich nicht allein damit zufrieden gab, die hoch geschätzte toskanische Sprache zu verbreiten, sondern darüber hinaus davon träumte, ins kalte Sachsen auch den Lebensstil seiner weitentfernten Heimat zu bringen" (168). Ruhm erlangte Pallavacini als Dichter von Opernlibretti, zu seinen Hauptwerken gehören die Libretti von "Antiope", "Alfonso" und "Teofane".
Die Oper "Teofane" von Antonio Lotti und Stefano Benedetto Pallavacini steht ebenfalls im Mittelpunkt des Aufsatzes von Michael Walther. Das anlässlich der Hochzeit des Kurprinzen Friedrich August von Sachsen und der österreichischen Erzherzogin Maria Josepha 1719 uraufgeführte Werk markiert den Beginn einer Neuorientierung des Dresdner Hofes an italienisch geprägter Musik, wie sie traditionell am Hof der Habsburger gepflegte wurde. Diesem Kontext schließt sich thematisch der Beitrag von Cecilia Campa an, die in einer breiteren Schau den Einfluss der italienischen Oper im Deutschland des 18. Jahrhunderts untersucht.
Ein Markenzeichen italienischer Präsenz am Dresdner Hof bedeutete die Tradition des Karwochenoratoriums, der im Aufsatz von Gerhard Poppe nachgegangen wird. Für den Zeitraum von 1725 bis 1810 versucht der Autor, die Entwicklung und Pflege des Oratoriums als Höhepunkt des katholischen Hofgottesdienstes in der Karwoche aufzuzeigen.
Der abschließende Beitrag von Ingo Zimmermann würdigt König Johann von Sachsen als kritischen Übersetzer von Dantes "Göttlicher Komödie". Mit der 1856 unter dem Pseudonym Philalethes erschienenen Gesamtausgabe des Werkes erwarb sich König Johann als bedeutendster sächsischer Monarch des 19. Jahrhunderts einen Platz in der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte. Die Reihe der Italienverehrer im sächsisch-albertinischen Herrscherhaus fand damit ihren Höhepunkt.
Der interdisziplinär angelegte Sammelband "Elbflorenz" zeigt facettenreich, wie der sächsische Hof zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert von der Italianità in allen kulturellen, naturwissenschaftlichen aber auch politischen Bereichen Besitz ergriff und Dresden zu einer Art nordischer Adaption der toskanischen Metropole formte. So bietet das Buch sowohl dem Kunsthistoriker, dem Historiker, dem Musikwissenschaftler, dem Germanisten, dem Soziologen aber auch dem Politikwissenschaftler interessante Neuansätze und schafft somit die Grundlagen für eine noch stärkere Beschäftigung mit Dresdens "italienischer Kulturgeschichte". In diesem Zusammenhang darf man auf die in Kürze erscheinende Publikation speziell zu kunst- und kulturgeschichtlichen Aspekten des Dresdner Renaissancehofes gespannt sein.
Anke Neugebauer