Maike Christadler: Kreativität und Geschlecht. Giorgio Vasaris 'Vite' und Sofonisba Anguissolas Selbstbilder, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2000, 284 S., 56 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01221-4, DM 104,00
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Im Mittelpunkt der 1999 an der Universität Tübingen abgeschlossenen Dissertation steht ein Corpus von Selbstbildnissen, das Joseph Leo Koerners Thesen zum "moment of self-portraiture" in der Renaissance zu bestätigen, wenn nicht zu radikalisieren scheint. Wie Koerner darlegt, "erfindet" Albrecht Dürer nicht nur das autonome Künstlerselbstbildnis, sondern macht das Selbstportrait auch zum Maßstab der Interpretation des Gesamtwerks: "(...) self-portraiture elicits a mode of interpretation that will always move from image to person, work to artist, so that any further production can appear as some form of "spiritual self-portrait" (Koerner: "The Moment of Self-Portraiture in German Renaissance Art", Chicago / London 1993, 32). In der kunsthistorischen Rezeption Sofonisba Anguissolas lässt sich dieser Effekt besonders eindrucksvoll beobachten: Die über ein Dutzend Selbstbildnisse der Malerin haben im Laufe der Jahrhunderte ihr restliches Werk gleichsam verschlungen. Das Antlitz Anguissolas hat sich in eine Synekdoche ihres Œuvres verwandelt, das trotz einer beachtlichen Anzahl von Portraits und religiösen Bildern nur das Image der Malerin zu wiederholen scheint und damit das Werk vollständig mit dem Leben der Künstlerin identifiziert.
Es ist das Verdienst Maike Christadlers, diesen (freilich im Werk angelegten) Mechanismus der Identifikation von Biografie und künstlerischer Produktion konsequent als eine Folge von Vasaris Vorstellungen von weiblicher Kreativität gedeutet zu haben. Mit einem gelungenen analytischen Kunstgriff wendet die Autorin die Chronologie der Ereignisse: Am Anfang ihrer Arbeit steht nicht das Werk Anguissolas, sondern die kunstkritische - und wie die Autorin nachweist - implizit geschlechtsspezifische Rezeption ihres Werks in den 'Viten' Vasaris. Während im ersten Teil die Frage nach der strukturellen Funktion der Geschlechterdifferenz in Vasaris Text und seiner Nachwirkung in der Kunstgeschichte bis in die Gegenwart gestellt wird, zeichnet der zweite Teil die Selbststilisierung der Künstlerin in ihren Portraits nach. Die Verkehrung von Produktion und Rezeption hat den wesentlichen Vorteil, dass sich deutlich abzeichnet, wie Sofonisba der kunstkritischen Reaktion zuarbeitet, aber ihr auch immer schon "widerspricht". Die Malerin antizipiert laut Christadler "malerisch ihre eigene Transformation in eine Vorstellung, die sie ausstellt und so 'entnaturalisiert'" (163). Zu diesem Zweck analysiert die Autorin sowohl die (wenigen) Lebensbeschreibungen von Künstlerinnen in Vasaris Text, als auch die geschlechtsspezifische Beugung der kunstkritischen Terminologie selbst. Ersteres erlaubt ihr, den kunsttheoretischen Ort weiblichen Kunstschaffens in der Renaissance zu bestimmen, zweiteres entwirft den Plan jener Grenzen und Bedingungen, denen die zeitgenössische Wertschätzung Sofonisbas folgen musste.
Vasari widmet Anguissola keine eigene Vita, im Rahmen einer Sammelbeschreibung der Cremoneser Kunst findet sich allerdings eine kurze, durchwegs panegyrische Charakterisierung ihrer Malerei. Zu Recht betont Christadler, dass der Malerin eine besondere Nähe zur Natur unterstellt wird. Vasari lobt Sofonisba fast ausschließlich für ihre hervorragenden Fähigkeiten in der Naturwiedergabe, ihre Portraits "paiono veramente vive, e (...) non manchi loro altro che la parola". In einem die Beschreibung ihres Werks abschließenden Bonmot bezieht der Aretiner diese "animistische" Qualität der Portraitkunst Sofonisbas direkt auf ihr biologisches Geschlecht: "se le donne (...) sanno fare gli uomini vivi, che maraviglia (...) che sappiano anche fargli (...) dipinti?" (zitiert nach Seite 41). Die Lebendigkeit des Bildnisses resultiert hier aus der Fähigkeit der Frau, "lebende Menschen" zu gebären.
Zu Recht stellt Christadler Vasaris Metapher ins Zentrum ihrer Überlegungen, zeichnet sich doch hier besonders deutlich ab, wie das Werk der Malerin als direkte Konsequenz ihres Geschlechts inszeniert werden kann; es bliebe allerdings zu fragen, ob sich der kunstkritische Einfall Vasaris tatsächlich ausschließlich im Sinne einer Festschreibung weiblichen Kunstschaffens auf scheinbar kunstlose Reproduktion verstehen lässt; erstens weil das Portraitieren, auch wenn der Aretiner die Begriffe 'ritrarre' und 'imitare' deutlich von einander absetzt, den Regeln des 'decorums' unterworfen bleibt und damit stets naturverbessernde Verfahren impliziert (worauf die Autorin selbst zu einem späteren Zeitpunkt durchaus zu sprechen kommt; vgl. 241ff.); zweitens, weil es sich auch bei dem Begriff der "Lebendigkeit" um eine genuin ästhetische Kategorie handelt, die ihr hyperbolisches Ziel in der Überwindung des Lebens selbst findet, wie die typische Lobformel der Portrait-Epigramme "lebendiger als das Leben selbst" beweist (John Shearman: "Portraits and Poets", in: ders.: "Only connect ... Art and the Spectatorin the Italian Renaissance", Princeton 1992, 108-148); und drittens weil die 'Viten' nicht nur den Vergleich von weiblichem Kunstschaffen und potenzieller Mutterschaft kennen, sondern Vasari auch den männlichen Künstler gerne als Vater auftreten lässt (vergleiche den berühmten Witz Michelangelos, der die Kunst als seine Ehefrau und die Produkte dieser Verbindung als seine Kinder bezeichnet; Giorgio Vasari: "Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister", übersetzt von Ludwig Schorn und Ernst Förster, neu herausgegeben von Julian Kliemann, Darmstadt 1983, Band V, Seite 28; zur Familien-Struktur der 'Viten' siehe Paul Barolsky: "Warum lächelt Mona Lisa? Vasaris Erfindungen", Berlin 1995; derselbe: "Giottos Vater. Vasaris Familiengeschichten", Berlin 1996).
Christadlers Interesse an Vasaris kunstkritischer Begrifflichkeit gilt vor allem ihrer dichotomischen Struktur, die sich auch an der Bildung von "Künstlerpaaren" zeigt - so stilisiert der Aretiner analog zur Geschlechterdifferenz einen effeminierten Raffael als Gegenpart eines "maskulinen" Michaelangelo. Die Analyse der geschlechtsspezifisch konnotierten Dichotomien - von 'ritrarre' und 'imitare', 'natura' und 'ars', 'disegno' und 'colore' et cetera - verleiht Christadlers Argumentation Anschaulichkeit und Prägnanz; sie hat aber unter anderem auch zur Folge, dass die Interaktion verschiedener Mechanismen von Inklusion und Exklusion zwar erwähnt, aber nicht eigentlich in ihrer Funktionsweise vorgeführt wird. Nicht allein das natürliche Geschlecht bestimmt die Position Sofonisba Anguissolas innerhalb der Kunstgeschichte Vasaris, sondern auch ihre Zugehörigkeit zur oberitalienischen Kunstlandschaft, ihre Spezialisierung auf die Gattung Portrait, ihre aristokratische Herkunft und der soziale Aufstieg zur Hofmalerin. Erst wenn diese verschiedenen Kategorien der Hierarchisierung in ihrer Zusammenarbeit und ihren Interferenzen analysiert werden, lässt sich eine verbindliche Aussage über Stellenwert und Funktion der Kategorie "Geschlecht" in den 'Viten' gewinnen.
Die Selbstportraits Anguissolas werden im zweiten Teil der Arbeit (durchwegs überzeugend) als Antwort auf ein von Männern entworfenes Frauen-Bild verstanden. Die Einzelanalysen der verschiedenen Präsentationsformen Sofonisbas zeigen sehr anschaulich, wie dichotomische Vorstellungen von weiblicher und männlicher Kreativität die Selbstbildnisse prägten. Die Autorin rechnet auch dann, wenn die Malerin "männliche" Perspektiven übernimmt, mit Verschiebungen, die "die potenzielle Reflexion der Reifizierungsstrategien unterlaufen" (208). Allerdings vermag Christadler bei aller analytischen Präzision und Anstrengung über weite Strecken nicht, Anguissola und ihre Werke dem gesetzgebenden Vater (Vasari) zu entziehen. Das künstlerische Projekt der Malerin verbleibt, gerade weil es als Kritik der Festschreibung weiblicher Kreativität verstanden wird, im Bann des hegemonialen Systems.
Einen Ausweg scheint allein die Malerin selbst zu weisen, wenn sie - wie die Autorin am berühmten Sieneser Selbstbildnis ausführlich nachweist - das scheinbar fest gefügte System in seiner tatsächlichen Fragilität sichtbar macht. Das Portrait zeigt Sofonisbas Lehrer Bernardino Campi vor der Staffelei bei der Arbeit an ihrem Portrait. Auf den ersten Blick scheint die geschlechtsspezifische Ordnung gewahrt. Campi fällt die Rolle des aktiv Schaffenden zu, während die schöne Edelfrau im Bild das Begehren des Betrachters wecken soll. Ein verräterisches Detail stellt allerdings die Frage der Autorenschaft (des Bildes im Bild) nachdrücklich in Frage: Wie jüngst im Rahmen einer Restaurierung des Gemäldes entdeckt wurde, befand sich Anguissolas rechte Hand ursprünglich nicht am unteren Bildrand, sondern lag auf ihrer Brust direkt unter der Hand Campis und griff somit unmissverständlich nach dem Malstock. Als 'mise en abyme' verwies dieses auffällige Motiv auf die jenseits der Bildgrenzen tätige Malerin. Das Selbstportrait treibt sein gewitztes Spiel mit dem verdoppelten Rahmen: Während es innerbildlich die Rollen von Maler und Modell affirmiert, lenkt es den Blick in einen Raum jenseits des Bilderrahmens, wo Anguissola und Campi in ein Austauschverhältnis treten, das die Hierarchie zwischen Mann und Frau, Aristokratin und Bürger, Lehrer und Schülerin auf geistreiche Weise vertauscht. Wer wollte abstreiten, dass sich hier ein äußerst produktiver kultureller Spielraum im Geschlechterverhältnis öffnet?
Barbara Wittmann