Rezension über:

Richard Blanke: Polish-speaking Germans? Language and National Identity among the Masurians since 1871 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart; 24), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, IX + 372 S., ISBN 978-3-412-12000-9, EUR 39,90
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Rezension von:
Andreas Kossert
Deutsches Historisches Institut, Warschau
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Kossert: Rezension von: Richard Blanke: Polish-speaking Germans? Language and National Identity among the Masurians since 1871, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 4 [15.04.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/04/3230.html


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Richard Blanke: Polish-speaking Germans? Language and National Identity among the Masurians since 1871

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Seit Max Toeppens 1870 publizierter "Geschichte Masurens" fehlte ihre Fortsetzung im 19. und 20. Jahrhundert: jenes Kapitel masurischer Geschichte, das in die Zeit des unseligen deutschen und polnischen Nationalismus fiel. Auf einen besonderen Aspekt dieser Zeit - Sprache und nationale Identität - konzentriert sich die neue Studie von Richard Blanke.

Der Verfasser, Historiker an der University of Maine, legt eine umfassend recherchierte Arbeit vor. Für ihn stellen die Masuren das eindrucksvollste und bestdokumentierte Beispiel einer europäischen Ethnie dar, die ihre nationale Identität entgegen ihrer Muttersprache ausbildete. Daher - und das ist Blankes Leitfrage - geht es darum, wie es zu dieser bemerkenswerten Ausnahme kam und welche äußeren und internen Umstände diesen Prozess förderten. Schon mit der Frage "polnischsprachige Deutsche?" im Titel wird der scheinbare Widerspruch verdeutlicht, den zu klären sich der Autor zum Ziel gesetzt hat.

Faktenreich und nachvollziehbar untersucht Blanke die verschiedenen Kulminationspunkte im Assimilationsprozess. Vom Sprachenstreit im 19. Jahrhundert über den Beginn einer polnischen Masurenbewegung richtet er sein Hauptaugenmerk auf die Volksabstimmung, die für ihn die eindeutige Zäsur im Identitätsbildungsprozess darstellte. Unabwendbar hatten sich die Masuren seitdem auf einen deutschen Kurs festgelegt, der von den Nationalsozialisten nur noch dankbar aufgegriffen werden musste. Die nach 1945 in ihrer Heimat verbliebenen Masuren wurden durch die polnische Verifizierungspolitik noch einmal instrumentalisiert. Dem polnischen Werben antworteten sie mit innerer Emigration und verharrten in ihrer deutschen Identität, bis ihnen die Ausreise nach Deutschland möglich wurde.

Zweifellos sind Blankes Argumente schlüssig und daher auch seine Schlussfolgerungen nachvollziehbar. Ein Problem seiner Darstellung birgt die weitgehend unkritische Rezeption der deutschen und polnischen Forschungsliteratur bis 1989, die fast ausnahmslos im Zeichen einer einseitigen Legitimationsforschung stand. Wertungen aus dieser Zeit, aber auch die dort angeführten Zahlen, bedürfen grundsätzlich einer kritischen Interpretation, da ihnen häufig bereits eine einseitig nationale Wunschvorstellung vorausging.

Umstritten bleibt das positiv gezeichnete Bild des Assimilierungsprozesses, bei dem der Autor weder ein aktives Eingreifen staatlicher Behörden noch der evangelischen Kirche erkennen mag. Vielmehr - so der Verfasser - begleiteten diese die von den Masuren stets subjektiv begrüßte Assimilierung nur mit flankierenden Maßnahmen, nicht aber mit repressiven Methoden. Das ist sicherlich eine Interpretationsfrage. War nicht die kleindeutsche Reichsgründung mit ihrem Wunschbild eines ethnisch homogenen Nationalstaats die treibende Kraft für eine rigorose, alle regionalen Spezifika ignorierende Germanisierungspolitik? Blanke berücksichtigt äußere Einflüsse auf den masurischen Assimilierungsprozess nicht genügend, obwohl doch spätestens mit Wojciech Ketrzyńskis Appell "O Mazurach" 1872 eine deutsch-polnische Dimension und damit ein binationaler Dauerstreit über die ethnische Zugehörigkeit Masurens ausgelöst worden war. Dabei spielte weniger die aktive polnische Masurenarbeit eine Rolle, die - wie der Autor zu Recht unterstreicht - völlig unbedeutend war. Vielmehr boten die polnischen Aktivitäten dem preußisch-deutschen Staat die Möglichkeit, mit vermeintlich "präventiven" Maßnahmen ihre "Grenz- und Volkstumspolitik" zu rechtfertigen, die den Masuren in Wirklichkeit keine reale Option bot. Denn in Masuren besaßen deutsche Behörden - ob in Gestalt des Landrats, des Lehrers oder des Pfarrers - immer das uneingeschränkte Monopol, auch auf die Meinungsbildung. Das zeigt auch die Omnipräsenz der Heimatvereine zur Zeit der Abstimmung.

Aus den polnischsprachigen Masuren sind in der Tat Deutsche geworden, doch zu einem hohen Preis, denn die ethnische Selbstnegation war der Tribut, den die Masuren an den deutschen Nationalismus zahlten. Der verinnerlichte Makel, Deutsche zweiter Klasse zu sein, der durch die deutsche Propaganda und Politik immer wieder unterstrichen wurde, ließ sie dankbar den "slawischen Makel" abstreifen. Daher ist zu fragen, ob der Assimilierungsprozess tatsächlich derartig "stark, beharrlich, freiwillig" und schließlich "authentisch" verlief. Am Ergebnis ändert dies nichts: Die Masuren gibt es nicht mehr - als Ergebnis des deutschen und polnischen Nationalismus, das nicht nur der freiwilligen "authentischen" Entscheidung der Masuren gegen ihre ethnische Herkunft zuzuschreiben ist.

Streitbar und von bester Kenntnis der Geschichte Masurens zeugend, hat Blanke insgesamt einen gewichtigen, methodisch inspirierenden und zugleich erfrischend lesbaren Beitrag zur Geschichte Masurens und zum Diskurs über die Ethnien in Ostmitteleuropa vorgelegt.


Andreas Kossert