Rezension über:

Anna Rapp Buri / Monica Stucky-Schürer: Burgundische Tapisserien, München: Hirmer 2001, 488 S., 335 Abb., ISBN 978-3-7774-9260-5, EUR 86,00
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Rezension von:
Katja Schmitz-von Ledebur
Deutsches Historisches Museum, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Katja Schmitz-von Ledebur: Rezension von: Anna Rapp Buri / Monica Stucky-Schürer: Burgundische Tapisserien, München: Hirmer 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 5 [15.05.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/05/3177.html


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Anna Rapp Buri / Monica Stucky-Schürer: Burgundische Tapisserien

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Das Historische Museum Bern zählt zu seinem Sammlungsbestand eine Reihe qualitätsvoller Tapisserien aus der Zeit zwischen 1440 und 1515. Darunter befinden sich Teppiche aus der 1476 in der Schlacht bei Grandson eroberten Burgunderbeute, Tapisserien aus dem Besitz des Berner Münsters sowie aus der Kathedrale von Lausanne. Diese Wandteppiche bilden den Ausgangspunkt der umfangreichen, in vier Abschnitte gegliederten Publikation über burgundische Tapisserien von Anna Rapp Buri und Monica Stucky-Schürer.

In chronologischer Folge werden die Tapisserien nacheinander einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dabei folgen die Autorinnen einem einheitlichen Schema. Einer kurzen Motivbeschreibung, die auf langatmige Passagen verzichtet, folgen präzise Angaben zur Komposition, zum Kolorit, zu Figuren und Landschaft, zum Auftrag und Bestimmungsort der Behänge. Einzig die ikonographischen Ausführungen würde man sich bisweilen etwas ausführlicher wünschen.

Die Autorinnen beginnen diesen ersten Teil ihrer Publikation mit dem Dreikönigsbehang, einer von ursprünglich vier Tapisserien mit Szenen aus dem Marienleben. Die Serie geht auf Georges de Saluces, ehemals Bischof von Lausanne, zurück und war für den Chor der Kathedrale bestimmt. Überzeugend wird der Entwurf des überlieferten Behangs Jacques Daret in Tournai zugeordnet. In einer dort ansässigen Wirkerei könnte das Stück zwischen 1440 und 1450 auch hergestellt worden sein.

Ebenfalls im Auftrag Georges de Saluces wurden der Trajan- und der Herkinbaldteppich (nach 1440) gewirkt. Beide Behänge tragen das Familienwappen des Bischofs. Die Autorinnen weisen nach, dass als Vorlage die Gerechtigkeitsbilder des Rogier van der Weyden dienten, die dieser 1435-1439 für das Brüsseler Rathaus fertigte. Trotz dieser klar erkennbaren Anlehnung weisen die Behänge individuelle Züge auf, die dem speziellen textilen Medium und dem Entwurfszeichner zuzuschreiben sind. In letzterem vermuten die Autorinnen wiederum Jacques Daret.

Das Leben des römischen Feldherrn Julius Caesar wird in vier Tapisserien geschildert, die das Wappen des Guillaume de La Baume-de Montrevel tragen. Die Behänge wurden vermutlich zwischen 1465 und 1470 in Tournai produziert. Vor allem die genaue Beobachtungsgabe und der Sinn für Details führt die Autorinnen zu interessanten Ergebnissen. So belegen sie anhand des Kolorits, der Textur und stilistischer Eigenheiten, dass die Caesarteppiche in drei unterschiedlichen Ateliers gefertigt worden sein müssen, obwohl sie zur selben Serie gehören.

Es folgt die Besprechung der Verdure Philipps des Guten (1466), die mit dem Emblem des Ordens vom Goldenen Vlies verziert ist. Ebenso wie die burgundischen Wappenteppiche gehörte diese prunkvolle Millefleurstapisserie ehemals zum Besitz Karls des Kühnen, den dieser 1476 in der Schlacht bei Grandson an die Eidgenossen verlor. Ein Vergleich der Wappenteppiche mit Figurenteppichen des 15. Jahrhunderts führt zu einer Datierung um 1479. Die Lokalisierung nach Tournai liegt nahe, kann aber nicht explizit nachgewiesen werden.

Interessant sind die Ausführungen zu "drei lavierten Federzeichnungen auf Pergament" (158), die Alexander den Großen auf seinen Orientfeldzügen zeigen. Es handelt sich um Entwürfe für Wandteppiche. Anhand des stilistischen Vergleichs dieser Federzeichnungen mit den Alexanderbehängen aus dem Palazzo Doria Pamphilj in Rom wird das Verhältnis von Entwurf (petit patron) und fertig gestellter Tapisserie erörtert. Eine schlüssige Argumentation führt die Autorinnen zu der Annahme, dass sowohl die Federzeichnungen als auch die Tapisserien aus Rom auf denselben Künstler zurückgehen, der um 1460 in Tournai ausschließlich für die Produktion von Tapisserien arbeitete.

Um 1515 werden die Wandbehänge mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Vinzenz, dem Patron des Berner Münsters, datiert. Die textilen Arbeiten wurden von dem Berner Chorherrn Heinrich Wölfli gestiftet, der sich selbst in einem der Behänge porträtieren ließ. Die Autorinnen weisen erstmals auf die Darstellung eines Seidenstoffes hin, der als "Wandbespannung" (198) eines Kirchenraums in einem der Teppiche zu erkennen ist. Es handelt sich um einen Seidendamast, wie er üblicherweise in Lucca im 14. Jahrhundert produziert wurde. Die gleiche Darstellung dieses Stoffes wurde bereits in anderen, aus Brüssel stammenden Tapisserien nachgewiesen. Die Autorinnen liefern eine einleuchtende Interpretation, indem sie das "Zitat der Luccheser Seide in der ersten Szene des ersten Vinzenzbehanges als Erkennungsmerkmal für die Brüsseler Provenienz" (200) dieser Tapisserien werten.

Der nun folgende zweite Teil des Buches ist verwandten Tapisserien des 15. Jahrhunderts gewidmet. Nach dem gleichen Schema wie die Berner Tapisserien werden die einzelnen Behänge, die teilweise bereits im ersten Teil des Buches zu Vergleichszwecken herangezogen werden, besprochen. Zwei Behänge mit Szenen der Passion Christi (1445-1455; Rom, Vatikanische Museen / Brüssel, Museés Royaux d'Art et d'Histoire) sind in der Darstellung der Figuren und Blumentuffs vergleichbar mit dem Trajan- und dem Herkinbaldteppich der Berner Sammlung. Die Taten Alexander des Großen (um 1460; Rom, Palazzo Doria Pamphilj) bieten den direkten stilistischen Vergleich mit den ebenfalls Alexander gewidmeten Federzeichnungen aus Bern an. Zwei Behänge mit Szenen aus der Geschichte des Königs Chlodwig (1460-1465, Reims: Kirchenschatz der Krönungskathedrale) stehen kompositionell den Caesarteppichen des Historischen Museums in Bern nahe. Weitere Stücke aus Privatbesitz, aus Glasgow, Krakau, Paris, Rouen und Wien folgen.

Ein dritter, den burgundischen Tapisserien der Fürstenhöfe und des Klerus gewidmeter Teil rundet die Publikation ab. Den burgundischen Herzögen in ihrer Funktion als Förderer der Tapisserieproduktion, den Produzenten und Händlern, den Themen aus dem religiösen und profanen Bereich, den Produktionsorten und dem Verwendungszweck von Tapisserien sind jeweils eigene Ausführungen gewidmet. Schließlich gewähren die Autorinnen in einem vierten Teil Raum für einen Appendix, in dem Tituli der Behänge sowie Archivalien (Zahlungsbelege, Inventare und Korrespondenz) ediert werden.

Die Autorinnen verfügen über profunde Kenntnisse und langjährige Erfahrung im Tapisseriebereich. Bereits 1990 legten sie eine ausführliche Publikation über Basler und Straßburger Bildteppiche des 15. Jahrhunderts vor. Ein Verdienst ihrer jüngsten Publikation ist ohne Zweifel die Zusammenstellung der burgundischen Tapisserien des Historischen Museums mit den ihnen verwandten Behängen sowie die gründlichen, wissenschaftlichen Einzelstudien der Behänge. Zudem ist die Sichtung des umfangreichen Archivmaterials zu würdigen. Es liefert wertvolle Detailinformationen, die weit über die im Buch erwähnten Teppiche hinaus für die Tapisseriekunde von Interesse sind. So ist ihnen etwa die Kenntnis zu entnehmen, dass die Entwürfe und Kartons der Tapisserien von den Auftraggebern oftmals gekauft wurden. Sie sicherten sich so die Einmaligkeit ihrer Behänge, wohingegen es zu späterer Zeit, vor allem im 16. Jahrhundert, durchaus üblich war, Tapisserieserien in mehrfachen Auflagen zu fertigen. Berühmtestes Beispiel sind wohl die nach Entwürfen Raffaels gefertigten Aposteltapisserien für die Sixtinische Kapelle in Rom.

Über die Wandbehänge des Philippe le Hardi erfahren wir zudem, dass sie von speziell für ihre Pflege eingestellten gardes de la Tapisserie betreut wurden. Auch ein Jahresgehalt dieser namentlich bekannten Personen lässt sich mittels der Archivalien rekonstruieren. Wünschenswert wäre bisweilen eine intensivere Deutung dieser und ähnlicher Beobachtungen, die Rückschlüsse auf die Tapisseriebestände und deren Wertschätzung durchaus zulassen.

Dass dem Leser bei der Lektüre des Buches das Bild einer Epoche lebendig vor Augen steht, verdankt er der gekonnten Einbettung der einzelnen Berner Behänge in einen kulturhistorischen Kontext. Auch der Umstand, dass der Publikation gezielt Informationen zu einzelnen Tapisserien entnommen werden können, ist löblich. Allerdings bleibt eine abschließende Zusammenführung der gewonnenen Erkenntnisse und eine Einschätzung der burgundischen Tapisserien im allgemeinen aus.

Sechs Jahre haben Anna Rapp Buri und Monica Stucky-Schürer an diesem informativen Werk gearbeitet, das durch eine Vielzahl qualitätsvoller Abbildungen dem Leser die Tapisserien eindrucksvoll nahe bringt. Es wird als Standardwerk zu den burgundischen Wandteppichen ohne Zweifel einen Platz in der neueren Tapisserieforschung einnehmen.


Katja Schmitz-von Ledebur