Christoph Kösters (Hg.): Caritas in der SBZ/DDR 1945-1989. Erinnerungen, Berichte, Forschungen, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001, 257 S., 4 Tab., ISBN 978-3-506-74791-4, EUR 15,80
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Christoph Kösters: Staatssicherheit und Caritas 1950-1989. Zur politischen Geschichte der katholischen Kirche in der DDR, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001, 228 S., ISBN 978-3-506-74792-1, EUR 15,80
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Katrin Hammerstein / Ulrich Mählert / Julie Trappe et al. (Hgg.): Aufarbeitung der Diktatur - Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit, Göttingen: Wallstein 2009
Wolfgang Mühl-Benninghaus: Unterhaltung als Eigensinn. Eine ostdeutsche Mediengeschichte, Frankfurt/M.: Campus 2012
Will man als Institution in der Geschichtsforschung ernst genommen oder gar gewürdigt werden, empfiehlt sich die Offenlegung von Archivmaterialien für alle interessierten und qualifizierten Historiker. Der Deutsche Caritasverband (DCV), der große Wohlfahrtsverband der deutschen katholischen Kirche mit über hundertjähriger Tradition, hat sich für andere Maximen entschieden, um seine Geschichte in der SBZ/ DDR erforschen zu lassen. Er legte diesbezügliche Akten sehr spät und dann nur für einen ausgewählten Historiker offen. Damit werden sie eigentlich erst jetzt mit der Veröffentlichung der oben genannten Publikationen theoretisch zugänglich, laut aktueller Auskunft des Caritasarchivs allerdings mit einer in der DDR-Forschung eher unüblichen 30-Jahres-Sperrfrist. Letztere hat jedoch für die Monografie von Christoph Kösters ausweislich seines Quellenverzeichnisses offenbar nicht gegolten.
Es klingt wie eine Parodie, wenn in der Einführung zu seinem Sammelband im März 2001 der "augenfällige Rückstand an wissenschaftlichen Untersuchungen zur Geschichte der Caritas in der SBZ/ DDR" mit der "komplizierten Quellenlage" begründet wird, weil die kirchliche Aktenüberlieferung "gegenwärtig erst aufbereitet" und "deshalb nur eingeschränkt nutzbar" sei. Wer die Hintergründe kennt, weiß, dass die Akten der Hauptvertretung Berlin des DCV und der Caritas in der DDR in den Neunzigerjahren so "aufbereitet" waren, dass sie für verschiedene Forschungsarbeiten, die in der zweiten Hälfte jenes Jahrzehnts erarbeitet wurden, ohne weiteres nutzbar gewesen wären. Der DCV zog es allerdings aus institutionellem Souveränitätsdenken und Angst vor möglichen Enthüllungen vor, Antragstellern ablehnende Bescheide zur Akteneinsicht zu erteilen und dafür Begründungen anzugeben, die, nun ja, nicht vollständig der Wahrheit entsprachen.
Es blieb 1997 einer Initiative des amtierenden DCV-Präsidenten Hellmut Puschmann, der selbst aus der ehemaligen DDR stammt, vorbehalten, diese Blockade zu durchbrechen und mit einem Auftrag zur Erforschung der Beziehungen zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und der Caritas in der DDR auch die Caritasgeschichte insgesamt unter Herbeiziehung kirchlichen Materials untersuchen zu lassen. Mit diesem Auftrag wurde die von der Deutschen Bischofskonferenz finanzierte Kommission für Zeitgeschichte betraut, deren Mitarbeiter Christoph Kösters nun nach überaus gründlichem Aktenstudium in staatlichen und kirchlichen Archiven die beiden oben genannten Publikationen vorgelegt hat.
Der Sammelband "Caritas in der SBZ/ DDR 1945-1989" fasst Ergebnisse einer Klausurtagung der Kommission für Zeitgeschichte in Berlin zusammen, zu der 1998 kirchliche Zeitzeugen und ausgewählte Historiker eingeladen wurden. Bis auf einen stimulierenden Einführungsvortrag von Hans Günter Hockerts zur "Caritas in der Fürsorgediktatur", der Rahmenbedingungen caritativen Handelns in der DDR reflektiert und weiterführende Forschungsfragen formuliert, bieten die dort wiedergegebenen Erfahrungsberichte leitender Caritasmitarbeiter aus West und Ost wenig Neues außer nützlichen statistischen Angaben und stellenweise interessanten atmosphärischen Eindrücken. Lesenswert ist dagegen der 50-seitige Beitrag von Christoph Kösters selbst, in dem er seine Erkenntnisse zu "Staatssicherheit und Caritas 1950-1989" zusammenfasst. Da er aber zum exakten Thema zeitgleich mit dem Sammelband eine 200seitige Monografie vorgelegt hat, empfiehlt sich primär deren Lektüre.
In seiner soliden und hervorragend gegliederten Darstellung legt Kösters zunächst aus seiner Sicht den sogenannten "Grundkonflikt" zwischen kirchlicher Caritas und sozialistischer Diktatur dar, bevor er eine Bestandsaufnahme der Überwachungstätigkeiten und konspirativer Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit vornimmt. Die "Phasen und Spannungslinien" in den Beziehungen zwischen Staatssicherheit und Caritas unterteilt Kösters in drei große historische Abschnitte, die zutreffend charakterisiert werden: Gewaltsame Repression (1950-1961), pragmatische Koexistenz (1961-1968) und partielle Kooperation (1968/71-1989). Jeder Abschnitt enthält eine kurze Zusammenfassung, und besonders für die Zeit nach 1961 liefert der Autor viele lesenswerte Details zu Gegenständen allgemeinen Interesses wie "Devisentransfers", "Häftlingsfreikauf", "Familienzusammenführungen", "Grundstücksgeschäfte" und "Ausreiseangelegenheiten". Eine resümierende Bewertung, eine Benennung von Forschungsperspektiven und ein nützlicher Anhang zu den "Funktionstypen inoffizieller Mitarbeiter", inklusive eines aufschlussreichen detaillierten Quellenverzeichnisses, rundet diese gelungene Monografie ab.
Und doch: Die Caritas war für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR weder generell noch im Kontext der Überwachung und Zersetzung der katholischen Kirche ein bevorzugtes Feindobjekt. Insofern widmet das vorliegende Buch von Christoph Kösters, das sich vor allem auf beeindruckende Recherchen im Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stützt, der Institution der Caritas und ihren Aktivitäten im Gefüge der Staat-Kirche Beziehungen in der DDR ein überproportionales Maß an Aufmerksamkeit. Von der Phase vor 1961 abgesehen, in der auch auf diesem Gebiet krude Verschwörungstheorien die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit charakterisierten, gab die Arbeit des katholischen Wohlfahrtsverbandes in der DDR und seine Ost-West-Brückenfunktion der herrschenden SED wenig Anlass zum politischen Kopfzerbrechen (im Gegenteil). "Inoffizielle Mitarbeiter", die konspirativ für das Ministerium für Staatssicherheit arbeiteten, waren innerhalb der Caritas dünn gesät. Es ist aber auch nicht bekannt, dass sich das Ministerium für Staatssicherheit in diesem Bereich übermäßig um die Einschleusung und Werbung von Inoffiziellen Mitarbeitern bemühte.
Dagegen waren die Kontakte, die hochrangige Geistliche als Gesprächsbeauftragte von Bischöfen zum Ministerium für Staatssicherheit enthielten, ambivalent und je nach Person des kirchlichen Partners distanziert bis konvergent. Die Konzentration der Darstellung auf die Caritas entlarvt im vorliegenden Buch die dilatorischen MfS-Gespräche zweier Prälaten (Theodor Hubrich/1988-92 Bischof in Schwerin; Norbert Kaczmarek), doch dadurch werden die hochproblematischen Staatskontakte der eigentlichen kirchlichen Machtträger zwischen 1974 und 1989 ausgeblendet (Paul Dissemond; Gerhard Lange inklusive seiner Verbindungen mit Heinz-Dietrich Thiel von der DCV-Hauptvertretung in West-Berlin und dem Ost-Berliner Anwalt Manfred Wünsche). Das Ausmaß einer gewissen Korrumpierung bestimmter kirchlicher Funktionäre in den beiden letzten Dekaden der DDR bleibt damit ausgespart.
Christoph Kösters hat das bestmögliche Buch vorgelegt, das zu dieser Thematik veröffentlicht werden konnte. Nur dieser Autor konnte neben den offenen staatlichen Quellen bisher präzedenzlos kirchliche Akteneinsichten erhalten, die, nach seinen Fußnoten zu urteilen, allerdings kaum "vollständig" gewesen sein können. Es ist nach wie vor erstaunlich, wie vieles im Dunkeln bleibt und wohl auch dem Autor verborgen blieb. Allein, wenn man beispielsweise die im kirchlichen Raum reiche mündliche Überlieferung zum 1995 verstorbenen Stasi- wie Kirchen-Vertrauensanwalt Manfred Wünsche und seinen kirchlichen Partnern kennt, ist es bezeichnend, wie wenig der Autor davon zu erzählen weiß (152-155).
Ohne die Anfragen an die Caritas, die sich aus den Archivbeständen der Staatssicherheit ergaben, wäre die partielle Offenheit des kirchlichen Verbandes kaum erfolgt. Zudem wurde durchaus registriert, dass restriktive Archivpolitik die Caritas in den ersten größeren Publikationen zur Geschichte der katholischen Kirche in der SBZ/DDR nicht oder nur am Rande vorkommen ließ. Aber es bliebe noch vieles zu erfahren und zu analysieren, wenn der katholische Wohlfahrtsverband bereit wäre, seine gesamten Aktenbestände in die Erforschung der geraden und krummen Wege der innerdeutschen Beziehungen zwischen Mauerbau und Mauerfall einzubringen. Hier hätte der DCV einiges an spannendem Material zu bieten. Die gelegentlich hysterischen frühen Neunzigerjahre mit dem Prozess gegen den Ostberliner Anwalt Wolfgang Vogel und den Durchsuchungsbefehlen gegen das protestantische "Diakonische Werk" sind längst passé. Insofern läuft Offenheit nicht mehr das Risiko öffentlicher Selbstbeschädigung.
Bernd Schäfer