Gerd Althoff (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter (= Vorträge und Forschungen; Bd. 51), Ostfildern: Thorbecke 2001, 494 S., 4 Abb., ISBN 978-3-7995-6651-3, EUR 55,00
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"Kommunikation ist unwahrscheinlich!", soweit in eingängiger Verkürzung die ernüchternde Erkenntnis des Soziologen Niklas Luhmann. Innerhalb komplexer sozialer Systeme sei es nicht zuletzt die Individualisierung der Sinnbezüge, die einer erfolgreichen Anschlusskommunikation hemmend entgegen stünde. Gefragt werden müsse daher nach Art und Beschaffenheit der Medien, mit deren Hilfe sich die Erfolgswahrscheinlichkeit des Verstehens steigern lasse. Genau hier setzt der von Gerd Althoff initiierte und herausgegebene Sammelband über "Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter" an. Indem er die Beiträge zweier Reichenau-Tagungen der Jahre 1996/7 präsentiert, widmet er sich den verbalen und nonverbalen Ausdrucksformen, welche die Interaktion in der politischen Öffentlichkeit des Mittelalters maßgeblich bestimmten.
Ins Zentrum ihrer Untersuchungen hat die Mehrzahl der Autoren dabei unverkennbar das weite Spektrum der Zeichen, Gesten und rituellen Handlungsweisen gerückt, galt doch als leitendes Paradigma der Tagung, "daß bei öffentlichen Akten des Früh- und Hochmittelalters (...) mehr gezeigt als geredet oder gar diskutiert wurde" (Zusammenfassung Johanek, 473). Mithin dort, wo sich vor dem Angesicht von Herrscher, Fürsten und Volk ein vom "normalen Leben" abgegrenzter Kommunikationsraum konstituierte, habe dies nach einer gewissen Theatralik durch gekonnte Inszenierungen verlangt. Hier galt es, Herrscherautorität und gesellschaftliche Hierarchiefolgen affirmativ zur Darstellung zu bringen, aber auch gewandelte Ordnungszustände allen Beteiligten sinnfällig vor Augen zu führen.
So war es keinesfalls ein sinnentlehrtes Schauspiel, das sich dem zeitgenössischen Betrachter im Umkreis königlicher Hoftage, kirchlicher Hochfeste und adeliger Festgesellschaften darbot: Öffentliches und Nichtöffentliches, so veranschaulicht der Beitrag von Horst Wenzel, äußerer Schein, heimliches Handeln und aufrechte Gesinnung der Akteure hatten im Idealfall stets Balance zu halten, wollte man nicht einer Erosion der bestehenden Herrschaftsordnung Vorschub leisten. So wurden tränenreiche Bekenntnisse, kniefällige Bitten und barfüßige Bußprozessionen zum Signum der Aufrichtigkeit; sie vor allem anderen boten Gewähr für ein gegenseitiges Verstehen.
Der Wert der öffentlichen Geste - so zeigt der Beitrag von Knut Görich am Beispiel Friedrich Barbarossas - war selbst mit Geld schwerlich aufzuwiegen. Hingegen banden symbolische Handlungen Akteure und Zuschauer gleichermaßen und verwiesen sie unmissverständlich auf ihren Platz innerhalb der dargestellten sozialen, religiösen oder rechtlichen Ordnung.
Klaus Schreiner kann dies am Beispiel der Barfüßigkeit mit zahlreichen Belegen untermauern. Zugleich verweisen seine Beobachtung auf die enge Verzahnung von sakraler Sphäre und politischem Zeichen, ohne deren Berücksichtigung sich das zeitgenössische Verständnis vieler ritueller Handlungssequenzen kaum jemals erschließen lässt.
Doch auch die rein diesseitigen Konsequenzen dieses Verpflichtungscharakters verdienen Beachtung: Im symbolischen Handeln wird nicht allein das Machtpotenzial der Handelnden deutlich, es ist zugleich selbst ein Akt der Machtausübung, wie Hermann Kamp am Geschichtswerk Dudos von Saint-Quentin exemplarisch verdeutlicht. Der öffentlich vollzogene Fußfall etwa generiert eine Bringschuld, die - im Fall der Mönche von Jumièges sogar durch göttliche Strafsanktionen unterstützt - eine angemessene Gegenleistung abnötigt.
In aller Öffentlichkeit vergossene Tränen, so konnte Matthias Becher überzeugend nachweisen, bezeugten nicht nur die Aufrichtigkeit des Unterlegenen eines Konflikts. Als Zeichen des Einvernehmens formulierte das Weinen des Siegers zudem ein Integrationsangebot an die Gefolgschaft des einstigen Gegners. Zwar rückt die eingängige Mahnung Verena Epps, "daß die Macht der Zeichen nur soweit reicht, wie es der politischen Intention entsprach", die hier und da überspannten Interpretationen zeichenhafter Handlungsketten wieder ins rechte Licht, doch auch sie muss durchaus einzuräumen, dass "ein Widerspruch von Zeichen und bezeichneter Handlungsdisposition" nicht geduldet werden konnte (jeweils 20). In ihrem Beitrag zur frühmittelalterlichen "amicitia" unterstützt sie damit die Sichtweise des Herausgebers, der den scheinbaren Antagonismus von "richtiger Politik" und Repräsentationshandeln dadurch aufgehoben sieht, dass "die Machtausübung mittelalterlicher Könige (...) ganz wesentlich aus solchen Akten der Repräsentation bestand" (8).
In welcher Form sich allerdings Rituale von den Zeitgenossen "utilitaristisch-rational" (159) einsetzen und nach politischem Kalkül modellieren ließen, wird vermutlich über die beiden Tagungen hinaus für Diskussionsstoff sorgen. In diesem Zusammenhang erscheint das von Timothy Reuter vorgetragene Verständnis ritueller Akte als Elemente einer politischen Metasprache hilfreich, da hier eine regelhafte Grammatik der Zeichen und Gesten impliziert wird, die der scheinbaren Beliebigkeit des von Gerd Althoff postulierten "Baukastenprinzips" klare Grenzen setzt. Die Vorstellung einer Sprache beinhaltet die Möglichkeit, an die jeweilige Situation angepasst neue "'symbolische' Sätze" (203) zu formulieren, schließt aber zugleich eine willkürliche Aneinanderreihung ritueller Handlungselemente als syntaktisch unverständliche Konstrukte aus. Am Beispiel des Konfliktes zwischen König Heinrich II. und Erzbischof Thomas Becket führt Reuter aus, wie weit politische Intentionen und Ziele ihrerseits von den Regeln öffentlicher Kommunikation geformt und beeinflusst wurden.
Doch nicht nur Gesten und Zeichen, auch der öffentliche Sprechakt erweist sich bereits von den ersten Worten an als sensibler Gradmesser für politische Beziehungen, wie Thomas Behrmanns Blick auf die Anredeformen im Spätmittelalter darlegt. Auch zeigt sich, dass die mündliche Diskussion im öffentlichen "conseil" zumindest in der Darstellung der Dichtung des 12. Jahrhunderts ausgesprochen kontrovers und emotional sein konnte. Dies dokumentiert Dietmar Rieger am Beispiel der Chanson de geste "Girart de Roussillon" - ein weitab des allgemeinen Tenors liegender Befund, der umso nachdenklicher stimmen muss. Immerhin, so wurde an verschiedenen Stellen das Bandes deutlich, wurden auch verbale Äußerungen vielfach durch Gestus und Körperhaltung wirkungsvoll unterstützt, wenn nicht gar übertroffen.
Vollends zu eigenem Gewicht gelangte das Wort unverkennbar im Gefolge der zunehmenden Schriftlichkeit. Der vermehrte Einsatz der Schrift im Spätmittelalter bereicherte das Bild öffentlicher Kommunikation nicht lediglich in seinen Nuancen, er schuf eine dem Ritual vielfach überlegene Form von Verbindlichkeit. Durch die von Birgit Studt nachgewiesene Bedeutung von Aufrufen, Vollmachten und Traktaten im Umfeld der Hussitenkreuzzüge etwa, aber auch die von Karl Heinz Spieß konstatierte "präzise Auflistung der einzelnen Lehnsobjekte" (282) ergänzend zum öffentlichen Belehnungsakt oder durch die von Dieter Mertens im Zusammenhang mit der Klosterreform thematisierte schriftliche Fixierung des modus reformationis, wurde jener Deutungsspielraum ambivalenter Rituale empfindlich beschnitten, der die Akteure vordem nicht selten vor einem allzu offensichtlichen Gesichtsverlust bewahrt hatte. Öffentliches Handeln wurde dadurch verlässlicher, die Formen der Konfliktaustragung sicherlich nicht weniger hart.
Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes liegt schließlich auf der Deutung von Emotionen. Hierbei erwies es sich letztlich als wenig sinnvoll, zwischen authentischen Empfindungen und öffentlich gezeigten Gefühlen differenzieren zu wollen. Ob ein König einen Wutausbruch nur heuchelte oder ob sich in der öffentlich in Szene gesetzten "ira regis" auch tatsächlich aufgestaute Affekte Bahn brachen, war für das anschließende Herrscherhandeln von untergeordneter Bedeutung. Der König war zornig, und die unmittelbaren Konsequenzen dieses Zorns dürften für die Betroffenen in beiden Fällen gleichermaßen unangenehm gewesen sein. Schon von daher ist Thomas Zotz' treffendem Resümee zuzustimmen, dass sich die "Differenz 'echt oder gespielt' in dem wichtigeren Anliegen der actio" aufhebe (467) - eine Sichtweise, die sich vermutlich gleichermaßen auf die Darstellung von Historiographie und Dichtung übertrug.
In diesem Kontext dürfte es wohl ebenfalls zu weit gehen, jegliche öffentliche Handlung gleichsam unter "Inszenierungsverdacht" zu stellen und als Produkt detaillierter Vorabsprachen zu interpretieren. Wenn die dargestellten rituellen Kommunikationsformen allgemein bekannten und akzeptierten Regeln folgten, demnach als "Standardsituationen" im Spiel der politischen Kräfte gedeutet werden können, so muss eine vertrauliche Klärung im Vorfeld nicht unbedingt "zwingend vorgeschrieben" (9) gewesen sein. Erst dort, wo die Akteure nicht voll mit den Spielregeln der Interaktion und Kommunikation vertraut waren, dies hat unter anderen Dieter Mertens anschaulich herausgearbeitet, konnte ihnen sehr leicht "Unhöfisches" (419) widerfahren.
Bei anderen (Un-)Fällen fehlte schlicht der Konsens über die rechte Ordnung der Dinge, so etwa, wenn Kaiser Friedrich III. und Karl der Kühne über eine halbe Stunde lang im Streit um das gegenseitige Geleit die Hüte voreinander zogen. Daran lässt sich die Frage anknüpfen, ob hier nicht von Fall zu Fall der Versuch einer Selbstinszenierung nur eines der Akteure vorlag, der damit zugleich eine Selbstvergewisserung über den eigenen sozialen Status intendierte. Das Publikum sollte gezielt zu dem gewünschten Anschlusshandeln gedrängt werden. Hierzu dürfte speziell der Beitrag von Werner Paravicini zum nachgerade egomanen Repräsentationsverhalten Karls des Kühnen wertvolle Hinweise enthalten.
Weniger plausibel erscheint hingegen eine geplante Inszenierung, wenn Friedrich Barbarossa während der Aachener Krönung den Fußfall eines seiner Dienstleute brüsk zurückwies (von Althoff in seinem nunmehr dritten Interpretationsversuch vorgelegt). Solch ein Akt der Demütigung dürfte mit dem honor selbst eines rangniederen "minister" kaum vereinbar gewesen sein, zumal dann nicht, wenn der Abgewiesene dem öffentlich Gezeigten entsprechend nun längerfristig der Huld des Herrschers entzogen blieb und demgemäß weder Lohn noch Lob für sein Tun erwarten konnte. Immerhin verweist die "falsche Hoffnung" (Ligurinus) des Gedemütigten auf die immense Bedeutung, die die Zeitgenossen selbst der handlungsleitenden Macht der Rituale beimaßen. Im gleichen Zug belegt die Episode jedoch auch die Macht der literarischen Inszenierung auf dem Pergament, wo aus einer peinlichen Szene am Ende doch noch die gelungene Demonstration eines gewandelten Herrschaftsverständnisses werden konnte. Unfälle und Pannen waren letztlich unvermeidlicher Bestandteil (nicht nur) mittelalterlicher Repräsentationsakte; sie unter dem Verdikt der Inszenierung mit der ordnenden Hand des Historikers ein zweites Mal bereinigen zu wollen hieße hingegen, sich den Blick auf die Formen und Funktionen der öffentlichen Kommunikation zumindest teilweise selbst zu verstellen.
Diese wenigen kritischen Einwände mögen belegen, dass das hier beschrittene Forschungsfeld - selbst wenn es mittlerweile weniger "relativ neu" (7) als gut etabliert zu nennen ist - auch in Zukunft noch viel Raum für erweiterte Perspektiven und neuerschlossene Fragestellungen lässt. Denn aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz: Ohne den Brückenschlag der communicatio, so wusste mit Bernhard von Clairvaux bereits ein mittelalterlicher Zeitgenosse, "würde zwischen uns Chaos herrschen".
Jan Keupp