Volker Plagemann (Hg.): Die Kunst des protestantischen Barock in Hamburg (= Vorträge der Stiftung Denkmalpflege Hamburg; Bd. 2), München / Hamburg: Dölling und Galitz 2001, 197 S., ISBN 978-3-935549-02-8, EUR 14,80
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Das Aufkommen des Protestantismus und die großen Migrationsbewegungen zu Beginn des konfessionellen Zeitalters führten im Laufe des späten 16. und des 17. Jahrhunderts zu einer grundlegenden Veränderung der künstlerischen Landschaft in Europa. Am Beispiel des lutherischen Hamburg untersucht der vorliegende Band die Folgen der Reformation und der Konfessionsmigration für die lokale Kunstentwicklung. Aus einem breiten Spektrum von überwiegend typengeschichtlichen Analysen zur Hamburger Kunst und Architektur des 16. bis 18. Jahrhunderts heben sich einige Beiträge dadurch ab, dass sie bis in den Mikrobereich einzelner Bauten und Kunstwerke hinein der Frage nach den Zusammenhängen zwischen der Kunstentwicklung und der Konfessionsbildung in der frühneuzeitlichen Hansestadt nachgehen und - zumindest implizit - nach Anhaltspunkten für eine protestantische Ästhetik in der frühen Neuzeit suchen.
In seiner Einführung über "Die Reformation und die Künste" skizziert Rainer Postel zunächst in Grundzügen die Auswirkungen des frühen Protestantismus auf die verschiedenen bildenden und darstellenden Künste in Hamburg. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten in Norddeutschland blieb Hamburg im 16. Jahrhundert von Bilderstürmen verschont. Hier vollzog sich der Wandel der Kunst nicht in radikalen Umbrüchen, sondern in gezielten Modifikationen der bestehenden Bauten, Werke und Traditionen. Ganz allgemein erkennt Postel in der Folge der Reformation eine Säkularisierung der Künste und eine zaghafte Emanzipation der Künstler von der Kirche. Für Hamburg weist er auf den enormen Einfluss der niederländischen Glaubensflüchtlinge hin, die nicht nur in der frühen Phase der europäischen Konfessionsmigrationen, sondern bis weit ins 18. Jahrhundert hinein das kulturelle Leben in Hamburg mitbestimmten.
Ähnlich wie Postel begreift auch Volker Plagemann in seinem Beitrag über "Stadtbefestigung und Stadtbild" den Protestantismus vor allem als auslösendes Moment bürgerlicher und städtischer Emanzipationsprozesse in der frühen Neuzeit. So interpretiert er die neuen Hamburger Befestigungsanlagen des niederländischen Militärarchitekten Johan van Valckenburgh aus dem frühen 17. Jahrhundert und ihre bildlichen Reproduktionen in Karten und Veduten als Ausdruck eines neuen städtischen Selbstbewusstseins, das sich in Abgrenzungsbestrebungen und in der Auseinandersetzungsbereitschaft der Stadt gegenüber dem Kaiser und dem Papst artikulierte. Plagemann zeigt nicht nur, wie sich in der Folge der Reformation das Bild der Stadt veränderte, sondern hebt insbesondere auch die Akzentverschiebungen der zeitgenössischen Architekturtheorie und die Neubewertung der "Architectura militaris" hervor.
Deutlicher als auf dem Gebiet der Befestigungsbauten zeigt sich der von Postel beobachtete modifizierende statt erneuernde Umgang der Künstler und Architekten mit den kulturellen Zeugnissen und Traditionen der Vergangenheit beim Kirchenbau und bei der künstlerischen Ausgestaltung der Kirchen. Ilse Rüttgerodt-Riechmann untersucht in ihrem Aufsatz über "Kanzeln" (des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts in Hamburger Kirchen) die Besonderheiten der protestantischen Predigtstühle. Ihr konfessionelles Profil entfalteten sie in der Anfangszeit vor allem in den Bildprogrammen der applizierten Reliefs. Ihre Form und Architektur dagegen übernahmen sie nahezu unverändert aus der katholischen Tradition. Erst im späten 17. und 18. Jahrhundert wurde mit dem Kanzelaltar eine eigene, spezifisch protestantische Form gefunden, die den liturgischen Neuerungen, insbesondere der Neubewertung der Predigt in der protestantischen Liturgie, Rechnung trug.
Der Kanzelaltar ist auch ein Thema des zweiten Beitrags von Plagemann über "Altäre" (des 16. bis 18. Jahrhunderts in den protestantischen Kirchen Hamburgs). Er markiert aber bereits den Endpunkt in der Entwicklung des frühneuzeitlichen protestantischen Hauptaltars. Interessanter sind unter kunst- und konfessionsgeschichtlichen Gesichtspunkten die frühen Hybridformen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die Restaurierungen und Übermalungen der mittelalterlichen Altäre, für die Plagemann eine Reihe von Beispielen anführt. Bei den Altären beobachtet er eine ähnliche Entwicklung wie Rüttgerodt-Riechmann bei den Kanzeln: Das formale Gerüst wurde von den älteren Werken übernommen, die architektonische Makro-Form, die den Altar als solchen kennzeichnet, beibehalten, die Ikonographie allerdings verändert. Leitmotive der protestantischen Altäre wurden die Kreuzigung und das Abendmahl.
Eine im Gegensatz zum Altaraufsatz typisch protestantische Bildgattung untersucht Petra Roettig in ihrem Beitrag über "Die Emporenbilder von Otto Wagenfeldt in St. Jacobi". Wagenfeldts Bilder in den neuen Emporenbauten in Sankt Jacobi dienten in der Mitte des 17. Jahrhunderts einer gestiegenen Zahl von Kirchenbesuchern als bilddidaktische Unterstützung der Predigt. Roettig verweist auf die Einflüsse protestantischer Künstler aus den Niederlanden, deren Bedeutung für die Kunst und Architektur Hamburgs in der frühen Neuzeit sicherlich eine größere Untersuchung wert wäre, und unterstreicht die religionspolitische und konfessionsdifferenzierende Signifikanz der Bilder, die sich wie im Beispiel der Darstellung einer Kindstaufe als antimennonitische Bekenntnisse zu erkennen geben.
Aus einer Vielzahl von interessanten Einzelstudien und Einzelbeobachtungen ergibt sich ein überaus aspektreiches Bild protestantischer Kunst und Architektur in Hamburg. Nach den großen und zum Teil spektakulären Ausstellungsprojekten und Publikationen zur Kunst der Reformationszeit in den 1980er- und 1990er-Jahren eröffnen kleinere Unternehmungen wie der Hamburger Band, der aus einer Vortragsreihe der Stiftung Denkmalpflege Hamburg hervorgegangen ist, neue Perspektiven, weil sie ihren Gegenstand konkreter und detaillierter fassen und in der Lage sind, auch Übergänge und Nuancen in den künstlerischen Entwicklungen sichtbar zu machen. Dabei weisen insbesondere jene Beiträge den Weg, die die Kunst nicht nur nach konventioneller Weise unter stilgeschichtlichen Gesichtspunkten analysieren, sondern auch die Bedingungen, unter denen die Kunst entsteht, in ihrer Analyse berücksichtigen.
Martin Papenbrock