Rezension über:

André Thieme (Hg.): Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa (= Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 304 S., 21 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-03501-3, EUR 29,90
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Rezension von:
Uwe Tresp
Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Selzer
Empfohlene Zitierweise:
Uwe Tresp: Rezension von: André Thieme (Hg.): Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 11 [15.11.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/11/2956.html


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André Thieme (Hg.): Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500)

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Am 12. September 2000 jährte sich zum 500. Mal der Todestag Albrechts des Beherzten, Herzog von Sachsen, Landgraf in Thüringen, Markgraf von Meißen, erblicher Gubernator und Potestat von Friesland. Anlass genug, diese markante Persönlichkeit unter den deutschen Fürsten des ausgehenden Mittelalters mit einer wissenschaftlichen Tagung zu würdigen, die am 27. und 28. Oktober jenes Jahres durch den Verein für sächsische Landesgeschichte in Verbindung mit dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden auf der Albrechtsburg in Meißen veranstaltet wurde. Ihr Ergebnis liegt nun in Form des zu besprechenden Sammelbandes vor.

Der Klappentext und die Grußworte von verschiedenen Seiten, die dem Buch vorangestellt sind, machen zunächst schlagwortartig die verschiedenen Aspekte deutlich, wegen derer der Namenspatron der (zu seinen Lebzeiten noch nicht so benannten) Albrechtsburg vielfach im Gedächtnis geblieben ist. Noch als Kind wurde er 1455 gemeinsam mit seinem älteren Bruder Ernst Opfer des Altenburger Prinzenraubes, einer nach kurzer Zeit glücklich vereitelten Entführung durch opponierende Adlige. Später besiegelte er mit diesem Bruder durch die Leipziger Teilung von 1485 die dauerhafte Spaltung der wettinischen Herrschaftsgebiete und wurde somit auch zum Stammvater der albertinischen Linie des Hauses. Diese Aspekte spielen jedoch in dem vorliegenden Band nur eine überraschend geringe Rolle. Stattdessen wird Albrecht vor allem als spätmittelalterlicher Fürst, Landesherr, Diener des Reiches, Christ und Bauherr betrachtet. Herausgeber und Autoren ging es dabei um den "zeitgemäßen wissenschaftlichen Blick [...] vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Adelsforschung" (1).

Insofern ist der ohne Veränderungen und Anmerkungen abgedruckte einleitende Festvortrag von Karlheinz Blaschke besonders bemerkenswert - fasst er doch in kompakter Form den bis dahin gültigen Forschungsstand zu Person und Geschichte Herzog Albrechts zusammen, wie er mit den nachfolgenden Beiträgen desselben Buches in mancher Hinsicht als überholt anzusehen ist. Dies zeigt sich schon deutlich im sich unmittelbar anschließenden Beitrag von Jörg Rogge, der an zwei Beispielen das Verhältnis Albrechts zu Böhmen thematisiert. Zunächst beleuchtet er die 1459 geschlossene Ehe zwischen dem Sachsenherzog und der böhmischen Königstochter Sidonia, die eine Folge politischer Vereinbarungen zwischen den beiden bis dahin rivalisierenden Ländern war. Der von Rogge in diesem Zusammenhang vorgenommene Versuch einer Annäherung an das "private" Verhältnis des Fürstenpaares wird jedoch erschwert durch das weitgehende Fehlen persönlicher Korrespondenzen und muss somit Andeutung bleiben. Umso stärker kann er dann in seiner Bewertung des Verhaltens Albrechts während der böhmischen Königswahl von 1471 argumentieren. Gestützt auf seine umfängliche und detaillierte Kenntnis der (sächsischen) Quellen stellt Rogge - in deutlichem Gegensatz zu Blaschke - die sicher umstrittene These auf, der Sachsenherzog habe bei seiner Anwesenheit in Böhmen keine eigenen Ambitionen auf die Krone gehabt, sondern "als deren treuer Lehensmann" (49) nur den reibungslosen Ablauf der Wahl sichern wollen.

Wo Jörg Rogge treue Pflichterfüllung als typischen Charakterzug Albrechts des Beherzten ausmachen will - eine Eigenschaft, die dem Sachsenherzog vor allem im Zusammenhang mit seinen Diensten für Kaiser und Reich nachgesagt wird -, machen André Thieme und Paul Baks daneben auch handfestere Gründe für sein Festhalten an den Habsburgern aus. Vor allem die hohen Schulden Kaiser Friedrichs, König Maximilians und Erzherzog Philipps bei ihrem Feldherrn und Statthalter waren es, die diesen über die Hoffnung auf Rückerstattung an sie banden. Während Baks die Ereignisse und Konstellationen um den erblichen Erwerb Frieslands für das Haus Wettin als Kompensation für die habsburgischen Schulden bei Albrecht interessant und kenntnisreich aus friesischer Sicht schildert, widmet sich Thieme eingehend den Motivationen und Möglichkeiten von Albrechts Diensten für das Reich. Er tut dies in einem reizvollen Vergleich zwischen der Karriere des Sachsenherzogs und der des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, einer weiteren markanten Fürstenpersönlichkeit des 15. Jahrhunderts. Bei aller charakterlichen Verschiedenheit dieser Protagonisten entdeckt Thieme dabei eine "erstaunliche Reihe der Gemeinsamkeiten beider Fürsten" (75). Zu fragen bleibt allerdings, ob dies ausreicht, darin ein "fürstliches Karrieremuster im 15. Jahrhundert" zu erkennen - zumal die Unterschiede, vor allem in der jeweiligen Intention zur politischen Anlehnung an Kaiser und Reich, bei näherem Hinsehen durchaus noch deutlicher zu beachten wären.

Die enormen Auslagen für sein militärisches Engagement im Reichsdienst hatten spürbare Auswirkungen auf Albrechts eigene Landesherrschaft in Sachsen. Der hohe Finanzbedarf des Fürsten führte dort zu einer Beschleunigung des Fiskalisierungsprozesses und einer erhöhten Mobilisierung aller verfügbaren Ressourcen. In seinem Beitrag über die finanziellen Einkünfte Albrechts listet Uwe Schirmer diese Ressourcen detailliert auf und gewichtet sie. Sichtbar wird dabei, dass trotz wachsender Anteile aus Steuereinnahmen und Bergbau die traditionellen landesherrlichen Einkünfte aus Ämtern und städtischen Jahrrenten weiterhin große Bedeutung behielten. Dies findet seinen Ausdruck auch in der Politik Albrechts gegenüber den sächsischen Städten, die von Henning Steinführer behandelt wird. Obwohl das Land nicht mit größeren Städten gesegnet war, bildeten die zahlreichen Klein- und Mittelstädte ein solch dichtes Netz und waren so stark territorial integriert, dass sie in ihrer Gesamtheit eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für die Wettiner besaßen. Davon zeugen auch die Bemühungen Herzog Albrechts um ihre Förderung, wovon besonders die wichtige Handelsmetropole Leipzig profitierte. Trotzdem schien in Anbetracht der anfallenden Kosten die Stabilität der Landesherrschaft nicht in ausreichendem Maße gesichert. Vielleicht deshalb, sicher aber auch aus der Erfahrung der - von ihm ungewollten - Leipziger Teilung von 1485 heraus, suchte Albrecht der Beherzte die Unteilbarkeit der sächsischen Lande durch die Einleitung einer Entwicklung zur Primogeniturerbfolge unter seinen Nachfolgern zu sichern. Deutlichster Ausdruck dieses Bestrebens war die am 18. Februar 1499 erlassene "Väterliche Ordnung", die von Eckhart Leisering in einer modernen Edition vorgestellt und kommentiert wird.

Wesentliches Element der Landesherrschaft der Wettiner im 15. Jahrhundert waren auch ihre Bemühungen um die Hoheit über die obersächsischen Bistümer sowie um Reformation der Orden und Klöster in ihren Territorien. Für Herzog Albrecht den Beherzten als spätmittelalterlichen Christen und als Herrn der Kirche seines Landes - so der Beitrag von Günther Wartenberg - war dies nicht einfach Machterweiterung auf Kosten der Kirche, sondern Landespolitik im besten Sinne. Nach Albrechts Verständnis wurde ein Land besonders dann von göttlichen Strafen bedroht, "wenn seine Bewohner sündigen, Gebote nicht halten (und) keine guten Werke bringen" (209). Dass die weltliche Gewalt somit Einfluss auf das geistliche Leben der Landesbewohner zu nehmen suchte, erscheint hier verständlich. Neben diesem Ausdruck landesherrlicher Sorge traten die Zeugnisse einer persönlichen Frömmigkeit Albrechts jedoch deutlich zurück. Die Förderung von Kirchenbau und das Bemühen um einen Landesheiligen in Gestalt des Meißner Bischofs Benno (†1106) zeugen ebenfalls eher von der durch ihn praktizierten "engen Verbindung von Landeshoheit und Kirchenhoheit" (203). Dagegen kann seine Wallfahrt an die heiligen Stätten in Jerusalem, die er 1476 unternahm, durchaus als zeitgemäßer Ausdruck von persönlicher Frömmigkeit verstanden werden, auch wenn bisweilen weltliche Aspekte der Reise in den Vordergrund traten, was für fürstliche Pilgerreisen dieser Zeit durchaus typisch war. Sachkundig und lebendig beschreibt Folker Reichert in seinem Beitrag die Beweggründe, Stationen und Beschwernisse der Reise. Ein beigefügtes Itinerar ergänzt das Geschriebene sinnvoll.

Der abschließende Beitrag von Mathias Donath widmet sich der Baugeschichte des Tagungsortes, der Albrechtsburg in Meißen - soweit sie die Zeit Albrechts des Beherzten betraf. Detailliert und kenntnisreich schildert Donath die Geschichte und bauliche Eigenart der in ihrer Zeit hochmodernen fürstlichen Wohngebäude und wartet dabei auch mit einer neuen Deutung auf. Wo die bisherige Forschung - nachzulesen im einleitenden Festvortrag von Karlheinz Blaschke - noch "französische Vorbilder" (24) sah, findet er diese eher im meißnischen Raum selbst oder in Süddeutschland, woraus dann in einer "innovativen Explosion" etwas Neues als "große, eigenständige Leistung des (Baumeisters) Arnold von Westfalen" entstand (248).

Insgesamt gilt es festzuhalten, dass für alle Beiträge Autoren gewonnen werden konnten, deren fachliche Qualität anerkannt ist. Sie alle tragen hier zu einem erweiterten Bild Albrecht des Beherzten und seiner Zeit, sicher auch zu weiter gehenden Diskussionen um verschiedene Aspekte bei. Es liegt in der Natur der Sache eines solchen Tagungsbandes, der eben keine Biografie ist, dass er nur einzelne Fragen, die bei einer solch komplexen Gestalt aufgeworfen werden, ansprechen kann. So bleibt das Gesamtbild lückenhaft, ebenso wie das im Titel etwas plakativ vorangestellte Motto eines sächsischen Fürsten "in Europa" fragwürdig ist. Doch dies sollte nicht als billige Kritik verstanden werden. Vielmehr ist zu wünschen, dass auch andere herausragende Persönlichkeiten des späten Mittelalters (etwa der schon genannte Albrecht Achilles von Brandenburg) einmal eine ähnliche Würdigung durch die moderne Forschung erfahren, wie jetzt Herzog Albrecht der Beherzte von Sachsen.


Uwe Tresp