Andrzej Chwalba: Historia Polski 1795-1918. [Geschichte Polens 1795-1918], Kraków: Wydawnictwo Literackie 2001, 671 S., ISBN 978-83-08-03053-0
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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An neueren Überblicksdarstellungen zur Geschichte Polens in der Zeit der Teilungen herrscht kein Mangel. Andrzej Chwalba, der bereits mit zahlreichen Arbeiten zu Teilaspekten der polnischen Geschichte hervorgetreten ist, hat mit seiner "Historia Polski 1795-1918" eine Darstellung verfasst, welche sich in mancher Beziehung von den bereits vorliegenden unterscheidet. Ihr kann hinsichtlich der Lesbarkeit, ihres Aufbaus und Ansatzes der Vorzug vor vielen älteren Arbeit gegeben werden.
Chwalba hat schon in der Vergangenheit, wie die Rezensentin bereits einmal hervorgehoben hat [1], mit lieb gewonnenen nationalen neuzeitlichen Mythen Polens aufgeräumt. So auch in seiner neuesten Arbeit: Die polnische Historiographie habe lange Zeit die Schuld und Versäumnisse der polnischen Politik im Vorfeld der unrechtmäßigen Auslöschung der Rzeczpospolita vernachlässigt und stattdessen, aus einem national-didaktischen Impetus heraus, die "heroische" Geschichte Polens betont. Zudem sei dem Umstand zu wenig Rechnung getragen worden, dass das als Staat nicht existente Gebiet der ehemaligen Adelsrepublik nicht nur Heimstätte von Polen, welche sich überdies zu einem großen Teil im 19. Jahrhundert keine Gedanken ob ihrer nationalen Identität gemacht hätten, sondern auch zahlreicher anderer Nationalitäten gewesen sei. Folgerichtig berücksichtigt er diese in einem größeren Maß als viele andere Arbeiten. Die Einbettung in den Kontext der jeweiligen Teilungsmacht sei schließlich, so der Verfasser einleitend, oft nicht genügend herausgestellt worden. Es muss allerdings festgestellt werden, dass die polnische Historiographie im letzten Jahrzehnt insgesamt der eigenen Geschichte gegenüber kritischer geworden ist; Chwalba gehört jedoch ohne Zweifel zu denjenigen, welche die Entmythologisierung am vehementesten einfordern.
Im Vergleich mit anderen Gesamtdarstellungen betritt Chwalba vor allen Dingen deshalb Neuland, weil er sich nicht nur auf politische und sozio-ökonomische Fragen beschränkt, sondern den Aspekten der Kultur und Mentalitäten breiten Raum widmet. In einem ersten Teil, dem eine zweite klassisch-historische Abhandlung folgt, behandelt er unter anderem die Bereiche Gesundheit und Hygiene, religiöse Kultur, Familie, Frauen, Eliten- und populäre Kultur oder auch nationale Stereotypen. Sicher kann trefflich darüber gestritten werden, warum zum Beispiel die Stellung von Frauen in der polnischen, jüdischen oder ukrainischen Gesellschaft nicht als integraler Bestandteil der allgemeinen ("männlichen") Geschichte behandelt wurde, wie es die Geschlechtergeschichte fordert. Doch erschiene dieser Vorwurf angesichts der für den intendierten Leserkreis (zuvorderst Studienanfänger) notwendigen angestrebten Übersichtlichkeit fast beckmesserisch.
Dass bei dem angestrebten Ziel der Vermittlung eines Überblicks manche Dinge nur holzschnittartig dargestellt werden können und zumal einer über Spezialkenntnisse verfügende Leserschaft einige Passagen als zu oberflächlich erscheinen, liegt in der Natur der Sache. Sie schmälern den Wert des vorliegenden Bandes nicht wirklich. Trotzdem sei hier auf einige "Auslassungen" hingewiesen: So fehlt zum Beispiel bei der Darstellung der vom römisch-katholischen Priester Stojałowski in Westgalizien (519f.) gegen Ende des 19. Jahrhunderts geführten Bauernbewegung der nicht eben unwichtige Hinweis auf manifestes antisemitisches Gedankengut. Nicht zuletzt wegen dieser Agitation kam es 1898 zu massiven, von Chwalba ebenfalls nicht erwähnten, antisemitischen Ausschreitungen polnischer Bauern. Der ukrainischen Nationalbewegung in Galizien ging es nicht "nur" um die Gleichberechtigung mit den Polen (524), sondern sie strebte das weitreichende Ziel eines eigenen Kronlandes an. Bereits auf dem Prager Slawen-Kongreß von 1848 wurde diese Forderung erstmals gestellt. Erst im Ersten Weltkrieg wurde die administrative Vereinigung mit der Bukowina und dem Transkarpatengebiet (526) unter habsburgischer Oberhoheit angestrebt. Eine Erwähnung der für die ukrainische Nationalbewegung Galiziens so wichtigen Broschüre Julijan Bačyns'kyjs "Ukra?na Irredenta" von 1895/96 unterbleibt, statt dessen wird auf Mykolaj Michnovs'kyjs "Samost?jna Ukra?na" verwiesen, ohne dessen ostukrainische Herkunft zu erwähnen. Es verwundert, dass in der beigefügten Bibliografie keine Zeitschriftenartikel erscheinen und nur verhältnismäßig wenig Veröffentlichungen in westlichen Sprachen.
Dessen ungeachtet liegt jedoch insgesamt eine sehr lesenswerte Geschichte Polens in der Zeit der Teilungen vor, der eine Übersetzung in eine westliche Sprache zu wünschen ist.
Anmerkung:
[1] vgl. meine Rezension über Chwalbas "Polacy w służbie Moskali", Warszawa u.a. 1999, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 50 [2001], 134
Kerstin S. Jobst