Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.): Das Hofreisejournal des Kurfürsten Clemens August von Köln 1719-1745. Bearb. v. André Krischer (= Ortstermine. Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz; 12), Siegburg: Rheinlandia Verlag 2000, 311 S., 29 Abb, davon 9 Tafeln, ISBN 978-3-931509-92-7, EUR 24,40
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Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die kritische Edition zweier unterschiedlich strukturierter Manuskripte, die sich unter den Signaturen D V 3 I und D V 3 II im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf befinden. Die als Memorabilien bekannten und in der Literatur bereits umfänglich zitierten Manuskripte beschreiben - nach Aussage ihres Verfassers - all diejenigen Sachen, die sich während der Regierungszeit des Kölner Kurfürsten Clemens August "sowohl auf dero Residenzen, als auch auf Reisen zugetragen" (5) haben. Das erste Manuskript beginnt mit dem Jahr der Wahl Clemens Augusts 1719 und beschreibt seine Reisen und Aufenthalte in eigenen wie fremden Residenzen bis zum Jahr 1728. Bei dem zweiten Manuskript handelt es sich um keinen fortlaufenden Text, sondern um eine Sammlung von Notizen, die den Zeitraum von 1727 bis 1745 umfassen, jedoch nicht konsequent chronologisch geordnet sind und größere zeitliche Lücken aufweisen; allein für die Jahre 1743 bis 1745 sind die Nachrichten dichter. Neben einzelnen "Haupt- und Staatsaktionen" (12), die die politische Sphäre des Wittelsbachers umreißen und unter denen neben den Reisen zu seiner Priesterweihe nach München (1724/25) und zu seiner Bischofsweihe nach Viterbo (1727) auch die feierlichen Eröffnungen der jährlichen Landtage in Münster, Paderborn, Arnsberg und Bonn zu erwähnen sind, steht der höfische Alltag im Mittelpunkt der Memorabilien: Bälle, Komödien und Feuerwerke zu unterschiedlichen Anlässen einerseits und Eucharistiefeiern, Andachten, Messen, Fußwaschungen andererseits.
Als Verfasser der Texte wird der Kammerfourier Thomas Carl von Schiller identifiziert, der bereits 1719 dieses Amt innehatte, das er bis zu seinem Tode im August 1758 bekleidete. Aufgrund seiner aus dem Hofreisejournal erschlossenen Tätigkeiten konnte jedoch festgestellt werden, dass seine Aufgaben weit über die eines Kammerfouriers hinausgingen und vielmehr denen eines Oberzeremonienmeisters entsprachen.
Sein Hofreisejournal wird als "ein Mittelding zwischen Fourierbuch und Zeremonialdiarium" (14) umschrieben, das offenbar aufgrund einzelner Notizen erst später durch einen Schreiber - jedoch vermutlich nach Diktat Schillers -, oder durch Schiller selbst zusammengeschrieben wurde. Seine Aufzeichnungen dienten ihm zum eigenen Gebrauch; gelegentliche Randbemerkungen verweisen auf Modalitäten im Zeremoniell oder in der Liturgie in ähnlichen Situationen und bei späteren Anlässen. Die Schilderungen vermeintlich persönlicher Eindrücke entpuppen sich zum Teil als wörtliche Übereinstimmung mit offiziellen höfischen Drucken, so dass die Person und die Persönlichkeit Schillers gänzlich hinter seinem Amt zurücktreten (17 f.).
Die Edition der Manuskripte umfasst rund zwei Drittel des gesamten Bandes (37-199). Die Textgestaltung folgt mit geringen Modifikationen den bekannten und vielfach zugrunde gelegten "Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte" von Johannes Schultze [1]. Im Anschluss an die Edition folgt ein "Quellenanhang", bestehend aus dem Abdruck von 12 Quellen, die sich thematisch und inhaltlich dem Hofreisejournal Clemens Augusts anschließen. Bei rund der Hälfte dieser Quellen handelt es sich um gedruckte Diarien zu Einzügen oder anderen Festlichkeiten. Besonders erwähnt sei eine Liste von 403 Kämmerern am Hof Clemens Augusts 1719-1757 (262-278), die nach einer Liste Schillers im Stadtarchiv Bonn wiedergegeben ist.
Nach einem Glossar (281-284) schließt das Werk mit einem Literatur- und Abbildungsverzeichnis (285-294) sowie einem Personen- und Ortsregister (295-311), mit dem sowohl die Edition als auch der Quellenanhang erschlossen wird. Insgesamt ist der Band durch 21 Abbildungen und acht Tafeln (außerhalb der Seitenzählung zwischen 202 und 203) in Schwarz-Weiß illustriert.
Der Bearbeiter argumentiert hinsichtlich der Aussagekraft der Quelle zunächst mit dem sozialgeschichtlichen Aspekt der Zusammensetzung der Hofgesellschaft Clemens Augusts (18 f.) und mit der politischen Ereignisgeschichte, wobei Schiller es konsequent vermieden hat, die politischen Hintergründe einzelner Reisen zu skizzieren, die freilich aus anderen Quellen ohne größere Mühen erarbeitet werden können. Diesen scheinbaren Mangel stellt Krischer als spezifischen Vorteil der Quelle dar, "wenn man eine andere als die traditionelle Fragestellung verfolgt und die zentrale Bedeutung des zeremoniellen Zeichensystems für die politische Kommunikation der Zeit in Rechnung stellt" (19). Freilich wäre es zu kurz gegriffen, die Bedeutung des Zeremonialwesens auf reine Rituale zu reduzieren und Teile des komplexen Systems 'Hof' isoliert sehen zu wollen, aber in ihr einen Teil der politischen Ereignisgeschichte zu sehen, strapaziert zumindest einen der beiden Begriffe über Gebühr. Natürlich stehen die schriftlich fixierten Informationen zum zeremoniellen "Tractament" im Mittelpunkt des Journals, was vor dem Hintergrund des Verantwortungsbereichs Schillers nur zu verständlich ist. Hierin liegt auch die zentrale Bedeutung des Journals, und zwar nicht allein, was die zeremoniellen Rituale bei Hof betrifft, sondern auch bezüglich der Repräsentation des Kurfürsten auf Reisen und seines Auftretens bei Landtagen. Der enge Zusammenhang zwischen religiösen und politischen Ritualen tritt deutlich zutage, wie Krischer abschließend betont.
Damit widmet sich rund die Hälfte der gut lesbaren und kompakten Einleitung (5-31) dem Quellenwert des Hofreisejournals in Form einer Rechtfertigung der Edition, die freilich gar keiner Rechtfertigung bedarf. Das Hofreisejournal ist bereits seit vielen Jahren bekannt und von den Autoren einschlägiger Arbeiten über Clemens August und den kurkölnischen Hof eifrig ausgewertet worden [2]. Kein Grund, das Thema als 'erledigt' zu betrachten und von einer vollständigen Edition Abstand nehmen zu wollen, umso weniger, als es sich um eine kritische Textwiedergabe handelt, in der nicht allein vorkommende Personen- und Ortsnamen identifiziert werden, sondern auch scheinbar banale Begriffe wie "hautboisten" für Oboisten (48, Anm. 38) aufgeführt oder "brocillen" als "Broquillen, spanische Kleider" (169, Anm. 576) erklärt sind. Ähnlich wertvoll ist auch das begrifflich sehr weit gefasste Glossar (281-284), das neben Begriffen wie "Cüraße" (Oberkörperpanzer) auch frühneuzeitliche Schreibweisen wie "Thumb" (Dom) oder aus dem Französischen entlehnte Bezeichnungen wie "Comte" (Graf) enthält. Der solide gearbeitete Band bietet damit auch Einsteigern in die Frühe Neuzeit gute Möglichkeiten, sich mit den Besonderheiten der Quellen vertraut zu machen.
[1] In: Blätter für deutsche Landeskunde 102 (1966), S. 1-11. Vergleiche im vorliegenden Band die "Editorische Notiz", S. 33 f.
[2] Neben Max Braubach und Gisbert Knopp vor allem Aloys Winterling: Der Hof der Kurfürsten von Köln 1688-1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung "absolutistischer" Hofhaltung, Bonn 1986.
Stefan Sienell