Pallaske Christoph: Migrationen aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren. Migrationsverläufe und Eingliederungsprozesse in sozialgeschichtlicher Perspektive (= Internationale Hochschulschriften; Bd. 394), Münster: Waxmann 2002, 220 S., ISBN 978-3-8309-1193-7, EUR 29,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Oliver Steinert: "Berlin - Polnischer Bahnhof!" Die Berliner Polen. Eine Untersuchung zum Verhältnis von nationaler Selbstbehauptung und sozialem Integrationsbedürfnis einer fremdsprachigen Minderheit in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918), 2003
Heinrich Schwendemann / Wolfgang Dietsche: Hitlers Schloß. Die 'Führerresidenz' in Posen, Berlin: Ch. Links Verlag 2003
Zwischen 1980 und dem Beginn der 1990er-Jahre sind über 800.000 polnische Aussiedler sowie 190.000 Ausländer polnischer Nationalität in die Bundesrepublik Deutschland zugewandert. Christoph Pallaske untersucht in seiner Doktorarbeit Ursachen und Verlaufsformen dieser Migrationen, wobei er von der These ausgeht, dass ein Großteil der deutschstämmigen Aussiedler in den 1980er-Jahren eine "polnische Biographie" hatte und so bei der Integration in die deutsche Gesellschaft mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte wie die Polen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Wie bereits aus dem Titel des Werks ersichtlich, hält der Verfasser dennoch eine Differenzierung der teils dauerhaften, teils saisonalen Einwanderung aus Polen für wichtig. Er unterscheidet zwischen Aussiedlern, langfristig zugewanderten Polen, illegalen Migranten, "neuen" Gastarbeitern und Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen. Diese Differenzierung führt ihn zu der Erkenntnis, dass die soziale Fragmentierung zwischen den einzelnen Gruppen und deren unterschiedlichen Migrationsmotive das Entstehen einer "ethnischen community", wie sie bei der türkischstämmigen Bevölkerung zu beobachten ist, verhindert hat. Die polnischen Migranten, die in ihrem Herkunftsland materiell relativ gut gestellt waren und überwiegend aus den größeren Städten stammten, fanden zumeist in familiären Netzwerken einen ersten Halt und vermieden zugleich nach außen hin jeglichen Bezug zu ihrer polnischen Herkunft.
Auf Grundlage einer ausführlichen Presseanalyse, die an einigen Stellen allerdings zu stark die Aussagen einzelner Artikel als Beleg für ein umfassendes gesellschaftliches Phänomen ausgibt, sowie von elf Interviews mit in den 1980er-Jahren zugewanderten Migranten gelingt es dem Verfasser, anschaulich die Lebensverhältnisse der polnischen Zuwanderer zu schildern und ihre Alltagsprobleme mit den rechtlichen und politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik in Verbindung zu setzen. Überzeugend wird dargelegt, wie gegen Ende der 1980er-Jahre vor dem Hintergrund einer steigenden Ausländerfeindlichkeit sowie der geänderten Asyl- und Ausländergesetzgebung der langfristige Zuzug deutschstämmiger Aussiedler praktisch zum Erliegen kam und stattdessen gezielt saisonale Arbeitskräfte nach Deutschland geholt wurden.
Es ist bei der Aktualität und gesellschaftspolitischen Brisanz des Themas durchaus angemessen, dass der Verfasser bemüht ist, in einigen Passagen seine persönlichen Urteile und Vorschläge zur Aussiedler- und Asylpolitik der Bundesrepublik in seine Betrachtung einfließen zu lassen. So sieht er "in der politisch gewollten großzügigen Anerkennungspraxis" von polnischen Aussiedlern bis 1990 ein fragwürdiges Vorgehen, gerade wenn man an die zu diesem Zweck akzeptierte Heranziehung der Volkslisten aus der Zeit der deutschen Besatzung Polens während des Zweiten Weltkrieges denkt. Er wünscht sich für die Zukunft der polnischstämmigen Bevölkerung weder deren völlige Assimilierung noch einen Multikulturalismus, der über ethnisch dissimilierte Gesellschaftsstrukturen zu einer innergesellschaftlichen Nationalisierung führen würde, sondern eine Akkulturation, in deren Verlauf praktikable und ernst gemeinte Angebote zur sprachlichen und gesellschaftlichen Integration entstehen müssten, die über arbeitsmarktpolitische Erwägungen hinaus den gleichberechtigten Kontakt zwischen Deutschen und Polen garantieren würden.
Leider wird die Lektüre des für eine Dissertation ohnehin eher kurzen Textes durch die überlangen Anmerkungstexte unnötig erschwert. Viele der dort erwähnten Zusammenhänge hätten in den Fließtext eingearbeitet werden sollen, wie beispielsweise der Hinweis darauf, dass allein 1994 mindestens 14 Menschen beim Versuch des illegalen Grenzübertritts in der Oder ertrunken sind (113). Der forcierte Ausbau der deutschen Ostgrenze hätte an dieser Stelle, mit Blick auf den gleichzeitigen Annäherungsprozess zwischen Deutschland und Polen, eingehender problematisiert werden können.
Christoph Schröder