Axel Gebhardt: Imperiale Politik und provinziale Entwicklung. Untersuchungen zum Verhältnis von Kaiser, Heer und Städten im Syrien der vorseverischen Zeit (= KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte. Beihefte. Neue Folge; Bd. 4), Berlin: Akademie Verlag 2002, 413 S., ISBN 978-3-05-003680-9, EUR 49,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Rolf Strootman / Miguel John Versluys (eds.): Persianism in Antiquity, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2017
Christian Marek: Pontus et Bithynia. Die römischen Provinzen im Norden Kleinasiens, Mainz: Philipp von Zabern 2003
David Braund (ed.): Scythians and Greeks. Cultural Interactions in Scythia, Athens and Early Roman Empire (sixth century BC - first century AD), Exeter: University of Exeter Press 2005
Mit seinem umfangreichen Buch hat der am Kieler Institut für Klassische Altertumskunde wirkende Axel Gebhardt eine breit angelegte Studie zur römischen Provinz Syria vorgelegt, die dazu beitragen soll, eine klaffende Lücke in der Erforschung des römischen Ostens zu schließen. Denn eine umfassende Geschichte Syriens in römischer Zeit bleibt nach wie vor ein Forschungsdesiderat.
Die Einführung skizziert die Problemstellung (9-16). Als Hauptaufgabe seiner Untersuchung definiert Gebhardt "den Entwurf eines möglichst stimmigen Bildes von den Zusammenhängen zwischen imperialer Politik, städtischem Beitrag und regionaler Entwicklung" der Provinz Syria (16). Der Hauptteil der Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert, deren Umfang sehr unterschiedlich ausfällt. Zunächst werden topografisch-klimatische Grundlagen knapp dargestellt (Kapitel I, 17-20). In Kapitel II (21-107) wendet sich Gebhardt der Geschichte der Provinz Syria von der Neuordnung des Ostens unter Pompeius bis zur Annexion des Nabatäerreiches durch Traian zu. Dabei konstatiert er für die Zeitspanne von der Einrichtung der Provinz bis zur Herrschaft Neros - trotz einiger relevanter Maßnahmen unter Augustus und Tiberius - eine gewisse Stagnation in der verwaltungspolitischen Entwicklung Syriens, dessen Territorium nach wie vor ein heterogenes Gebilde mit reichsunmittelbaren Gebieten und Klientelkönigreichen blieb. Erst die Herrschaft der Flavier markierte einen tief greifenden Einschnitt in der Geschichte des ganzen syrischen Raumes. Neuorganisation der Ostgrenze und Ausbau der Nachschubwege unter den Flaviern erfolgten - so zu Recht Gebhardt - in erster Linie vor dem Hintergrund des Wiedererstarkens des Arsakidenreiches und des jüdischen Aufstandes der Jahre 66-73 nach Christus.
Gebhardts Hauptinteresse gilt der Geschichte der Provinz Syria im 2. Jahrhundert nach Christus seit Traian bis zum Ende der Antoninenepoche vor Ausbruch des Bürgerkrieges von 193-194 nach Christus und den darauf folgenden Veränderungen in severischer Zeit (Kapitel III, 109-303). Die Herrschaft der Severer brachte tief greifende Neuentwicklungen im syrischen Provinzialgebiet mit sich: Durch das Ausgreifen der Römer über den Euphrat hinaus wurde die Grenzprovinz Syria in eine Binnenprovinz verwandelt. Die Untersuchung der Geschichte Syriens im 2. Jahrhundert nach Christus richtet sich nach einer regionalen Unterteilung. So werden das nordsyrische Binnenland mit Antiocheia, die syrisch-phönikischen Hafenstädte (mit Tyros, Sidon und Seleukeia Pieria), die Städte am Mittel- und Oberlauf des Orontes (unter anderem Apameia und Emesa), das südsyrische Binnenland (mit Damaskus, Kanatha und der Dekapolis) und schließlich Palmyra behandelt.
Der Norden der Provinz Syria, der lange Zeit die Grenzzone gegenüber dem Partherreich bildete, spielte eine besonders wichtige politisch-militärische Rolle. Bis zum parthisch-römischen Krieg unter L. Verus waren die Römer nicht im Stande, ihre strategisch nachteilige Position in dieser Region zu ändern: Die parthische Grenze am Euphrat näherte sich nämlich bis auf weniger als 150 km der Küste des Mittelmeeres, und die Stadt Dura-Europos am rechten Euphratufer fungierte als Vorposten der arsakidischen Herrschaft.
Auf ein kurzes Kapitel zum syrischen Koinon (305-310) folgt eine Zusammenfassung (311-316). Eine reichhaltige Bibliografie sowie fein gegliederte Indices machen den Band zu einem wertvollen Arbeitsinstrument für die historische Forschung. Man vermisst allerdings eine Karte, die die zum Teil detailreichen geografisch-politischen Erwägungen dem Leser hätte anschaulich machen können.
Die Quellenbasis ist für Syrien im römischen Zeitalter unergiebig und bleibt dabei starken regionalen sowie chronologischen Schwankungen unterworfen. Sowohl literarische als auch epigraphische Quellen sind - mit wenigen Ausnahmen, wie etwa palmyrenische Inschriften des 2. Jahrhunderts nach Christus - lückenhaft vorhanden und meistens knapp gehalten. Gebhardts Arbeit ist nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet, dass sie den Versuch unternimmt, angesichts der zum Teil spärlichen schriftlichen Zeugnisse in besonderer Weise das numismatische Material für eine Rekonstruktion der Ereignisse zu nutzen. Dabei steht der numismatische Befund von Antiocheia im Mittelpunkt, denn diese Stadt fungierte immer wieder als der wichtigste Verkehrsknotenpunkt und die zentrale Koordinierungsstelle für militärische Maßnahmen in der ganzen Region. Methodisch überzeugt Gebhardts Prämisse, aus zum Teil engen Zusammenhängen zwischen den Rhythmen und Volumina der syrischen Städteprägungen einerseits und der Präsenz römischer Truppen (beziehungsweise des Kaisers) andererseits, Rückschlüsse auf die römische Politik auf provinzialer und imperialer Ebene zu ziehen. Gebhardt knüpft dabei an die Untersuchungen von P. Weiss und R. Ziegler zu solchen Phänomenen in Kilikien an, die sich in vielfacher Hinsicht als gewinnbringend erwiesen hatten.
Ausführlich dokumentiert Gebhardt den wirtschaftlichen Aufschwung von Antiocheia im 2. Jahrhundert nach Christus, in dem es nicht nur die Rolle einer Provinzhauptstadt, sondern auch des Öfteren die eines kaiserlichen Hauptquartiers und einer Durchgangsstation der römischen Armee an der Grenze zu Parthien übernahm (110ff.). Parallele Entwicklungen lassen sich ferner in anderen nordsyrischen Zentren (132ff.) sowie den syrisch-phönikischen Hafenstädten (157ff.) nachvollziehen. In das 2. Jahrhundert nach Christus fällt auch die Hochphase des wirtschaftlichen Aufschwungs Palmyras (275ff.). Für das Gebiet des südlichen Orontestals mit dem alten religiösen Zentrum Emesa konstatiert Gebhardt eine Stagnation im 2. Jahrhundert nach Christus vor der Machtübernahme durch Septimius Severus (223ff.). Ähnliches gilt auch für das östlich des Antilibanon gelegene syrische Provinzialgebiet, das mit der Ausnahme von Damaskus und Kanatha über keine bedeutsamen Städte verfügte (246ff.).
Deutlich werden in der Arbeit regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten in der Provinz Syria sowie zwischen verschiedenen Kulturtraditionen herausgestellt. Exemplarisch könnte man auf solche Städte wie Kanatha, Skythopolis, Philadelphia und Gadara im syrischen Binnenland verweisen, die sich in ihrer Münzprägung wiederholt als Erben einer langen griechischen Tradition im Gegensatz zu den nahe gelegenen jüdischen beziehungsweise nabatäischen Zentren darstellten (272, 314 und passim).
An einigen Punkten erscheint Kritik an der Arbeit von Gerhardt angebracht. Gewisse Bedenken erwecken Erwägungen zum Fernhandel im Nahen Osten, in dem Palmyra bekanntlich eine prominente Stellung einnahm. Gebhardt scheint nämlich die Rolle der Landverbindungen in den Handelsbeziehungen zwischen Mittelasien und Mesopotamien sowie Syrien zu minimalisieren (277f.). Dabei betrachtet er das Problem vor allem vor dem Hintergrund des inschriftlich reich belegten palmyrenischen Karawanenhandels. Es besteht kein Zweifel, dass ein Großteil des Fernosthandels über das Meer abgewickelt wurde - ein reger Seeverkehr lässt sich etwa anhand des "Periplus Maris Erythraei" durchaus nachvollziehen. Gebhardt scheint von der Prämisse auszugehen, dass ein bedeutender Fernhandel außer der Strecke Indien - Spasinou Charax - Palmyra beziehungsweise Indien - Ägypten nicht existiert hätte. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass ein seinem Volumen nach bedeutender Handelsaustausch, der von Mittelasien über den Iran bis nach Babylonia und Syrien abgewickelt wurde, in parthischer Zeit durchaus prosperierte. Ein Teil der indischen Waren wurde aus der Golfregion nicht nach Palmyra, sondern nach Westiran und Transkaukasien geliefert. So berichtet Strabon (Geogr. 11.5.8) von einem regen Fernhandel mit indischen und babylonischen Waren auf der Route Babylonia - Media - Armenia - Sarmatenvölker Ziskaukasiens. Ktesiphon erscheint bei Strabon (Geogr. 16.1.16) nicht nur als eine der Königsresidenzen in Parthien, sondern auch als Handelsemporium auf dem Weg von Iran nach Babylonia. Die bei Isidor von Charax (Mans. Parth. 6) überlieferte Nachricht über die Existenz eines Zollhauses - Bazigraban - in Media verweist auf eine handelsorientierte Benutzung der Route zwischen Ostiran und Mittelasien einerseits und Babylonia andererseits. Klaudios Ptolemaios liefert in Buch 6 seiner "Geographie" zahlreiche neue Erkenntnisse zu den geografischen Verhältnissen in Iran und Mittelasien, die zum großen Teil auf Berichte dort aktiver Kaufleute zurückgehen. So behandelt Ptolemaios Angaben über die Distanzen von Hierapolis in Syrien bis zum Steinernen Turm und Sera Metropolis in Innerasien (Geogr. 1.12.3-10). Dabei greift er auf das Werk des Marinos von Tyros zurück. Dieser erhielt die einschlägigen Informationen von den im Auftrag des Großhändlers Maes in Parthien und Mittelasien wirkenden Kaufleuten (Ptol. Geogr. 1.11.7). Informationen zum Fernhandel über den Iran findet man auch in den chinesischen Quellen. Dabei erscheinen die Parther (beziehungsweise ihre Untertanen) als aktive Händler in Mittelasien. [1] Die Parther unterbanden zielbewusst direkte Kontakte des Landes Da Qin (ungefähr Charakene-Babylonia) mit China, da sie im Seidenhandel ihre Monopolstellung behalten wollten. [2]
Die von Gebhardt dargelegten Ergebnisse zu den römisch-parthischen Beziehungen um 116/117-123 nach Christus und zur Rolle des Parthamaspates sind mit Skepsis aufzunehmen (117f. mit Anm. 3). Demnach soll der von den Römern unterstützte Parthamaspates bis 123 nach Christus in Parthien als Großkönig, und erst seit 123 nach Christus nur in Edessa als König der Osrhoene geherrscht haben. Gebhardt folgt hierin weitgehend einem kürzlich von A. Luther dargestellten Rekonstruktionsversuch zur Geschichte Edessas. [3] Dagegen kann man jedoch anführen, dass Parthamaspates in der parthischen Münzprägung kaum nachzuweisen ist. [4] Für die Jahre 116/117-123 nach Christus werden in Parthien zwei Könige belegt, und zwar Osroes I. und Vologases II. [5] Der gegen seinen Vater Osroes rebellierende Parthamaspates stützte sich praktisch ausschließlich auf die römische Militärmacht. Ein antirömischer Aufstand in Mesopotamien und eine parthische Gegenoffensive zwangen die Römer zum Abzug, bei Hatra erlitten sie eine Niederlage. Hätte jetzt Parthamaspates seine usurpatorische Herrschaft in Parthien nach dem Abzug der Römer noch mehrere Jahre bis 123 nach Christus behalten können? Es ist kaum vorstellbar, dass eine von den Römern aufoktroyierte Marionette auf breite und beständige Unterstützung der Parther zählen konnte.
Diese kritischen Anmerkungen beziehen sich aber eher auf Nebensächlichkeiten und nicht auf die wichtigen Grundlagen der vorgelegten Ergebnisse. Insgesamt zeichnet sich das besprochene Buch durch eine sorgfältige und umfassende Analyse der für die Geschichte Syriens relevanten Zeugnisse aus, und lässt in den meisten Fällen eine sichere Beherrschung des Quellenmaterials erkennen. Ferner ist die Studie wegen des in ihr gespannten weiten Bogens über wichtige Aspekte der Geschichte Syriens im römischen Zeitalter wertvoll. Anregend sind wiederholte Hinweise auf Parallelen in der provinzialen Entwicklung Syriens und Südostkleinasiens. Darüber hinaus demonstriert die Arbeit vielfach gegenseitige Bedingtheiten zwischen den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entwicklungen im syrischen Provinzialgebiet einerseits und den römisch-parthischen Beziehungen andererseits.
Die meist gut begründeten Schlüsse und Erklärungen machen - auch wenn man ihnen nicht immer folgen wird - das Buch nicht nur für sein engeres Thema einschlägig, sondern bieten auch all denen zahlreiche Anregungen, die sich mit der römischen Politik im Osten befassen. Insgesamt ist dem Verfasser eine inhaltsreiche und sachkundige Monografie gelungen, die die weitere Forschung vielfach anregen wird.
Anmerkungen:
[1] Shiji: Kapitel 123, Fragment 2.1.1, in W. Posch: Chinesische Quellen zu den Parthern, in: J. Wiesehöfer: Das Partherreich und seine Zeugnisse (Historia. Einzelschriften; 122), Stuttgart 1998, S. 358.
[2] Hou Hanshu: Kapitel 88, Fragment 2.3.4, in: Ebenda, S. 362. Es gibt keinen Grund, diese Nachricht auf die Verfassungszeit des Hou Hanshu, das heißt das 5. Jahrhundert nach Christus, zu beziehen.
[3] A. Luther: Elias von Nisibis und die Chronologie der edessenischen Könige, in: Klio 81 (1999), S. 180-198, insb. S. 191f. In diesem Aufsatz findet man aber zum Teil andere Datierungsansätze. So habe Parthamaspates zuerst zwischen 116 und 121/122 in Parthien und vielleicht gleichzeitig in Edessa als Großkönig geherrscht, und dann, nach seinem Verzicht auf den arsakidischen Thron, sei er ausschließlich König Edessas gewesen (etwa 121/122-125/126).
[4] Mit Parthamaspates können keine Münzemissionen verbunden werden. Die bei D. Sellwood (An Introduction to the Coinage of Parthia, London 1971, S. 260f., Typ 81) vertretene Zuweisung ist rein hypothetisch, zumal die vermeintlichen Prägungen des im Zweistromland wirkenden Usurpators eindeutig aus einer iranischen Münzstätte kommen.
[5] Ihre in die Jahre zwischen etwa 110 und 125 nach Christus datierbaren Prägungen aus Seleukeia am Tigris überlappen sich zum Teil chronologisch, vergleiche G. Le Rider: Séleucie du Tigre. Les monnaies Séleucides et Parthes (Monografie di Mesopotamia; VI), Firenze 1998, S. 63-65.
Marek Olbrycht