Katharina Rauschenberger: Jüdische Tradition im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zur Geschichte des jüdischen Museumswesens in Deutschland (= Forschungen zur Geschichte der Juden; 16), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2002, 332 S., ISBN 978-3-7752-5625-4, EUR 38,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese bei Reinhard Rürup entstandene Dissertation widmet sich erstmals dem jüdischen Museumswesen in Deutschland zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Indem sie Museen stringent als jene "Erinnerungsräume" (Aleida Assmann) interpretiert, die der Gegenwart Sinn verleihen, weil sie die Vergangenheit deuten, leistet sie einen wichtigen Beitrag zum Problem jüdischer Identität im Umbruch vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Ausgehend von Ausstellungs- und Museumsprojekten im Ausland (bedeutsam hier vor allem die Gründung Jüdischer Museen in Wien 1895 und Prag 1906), in denen sie zu Recht wesentliche Anreger für die Diskussion in Deutschland sieht, zeichnet Katharina Rauschenberger auf breiter Quellenbasis die oftmals divergierenden Konzepte jüdischer (und christlicher!) Museumsplaner nach. Dabei profitiert die Studie davon, dass sie nicht nur das Programm großer Häuser wie Frankfurt, Hamburg und Berlin untersucht, sondern auch etwa die "Grenzland"-Sammlungen in Danzig und Straßburg berücksichtigt, die für die Zeit des Kaiserreichs geradezu Musterbeispiele für Bedingungen und Folgen "situativer Ethnizität" (Till van Rahden) darstellen. Zugleich lenken gerade diese Sammlungen den Blick auf ein komplexes Regional- und Sonderbewusstsein, dessen Bedeutung für das Bismarckreich von der Forschung erst kürzlich unter dem Signum partikularer Pluralität betont worden ist. In welchem Maße es sich bei musealer Vergegenwärtigung historischer Phänomene um gezielte 'Vergangenheitspolitik' handelte, illustriert schließlich die Ausstellung anlässlich der "Tausend-Jahr-Feier der Rheinlande" 1925 in Köln, welche die Gründung jüdischer Heimatmuseen am Mittelrhein beförderte.
Weil Rauschenberger die Diskussionen um Programm und Zielsetzung jüdischer Museen und Sammlungen stets auf den sozialen, kulturellen und personellen Hintergrund der jeweiligen Stadt bezieht, findet sie Zugänge zur allgemeinen Bürgertumsforschung, ohne sie - ausweislich des Literaturverzeichnisses - letzthin bewusst zu suchen. Der besondere Vorzug der Studie liegt denn auch weniger in ihrer sozialgeschichtlichen Ausrichtung als in einer diskursanalytischen Zugangsweise, welche die Entwicklung Jüdischer Museen in der (freilich zum Großteil noch ungeschriebenen) Geschichte des allgemeinen Museumswesens verortet.
Erst diese Einordnung lässt das Besondere, aber eben auch das Zeittypische jüdischer Sammlungen hervortreten, so etwa jene kulturgeschichtliche Prägung, die sich eng an Präsentationsformen historischer, kunstgewerblicher und volkskundlicher Museen anlehnte.
Freilich zeigt diese Einordnung auch, "dass die Museumsidee bei den deutschen Juden auf relativ wenig Resonanz stieß" (21). Bei wachsender Attraktivität des Museumssektors insgesamt wurden zwischen 1895 und 1933 nämlich kaum eine Hand voll eigenständiger jüdischer Museen gegründet, das "Museum Jüdischer Altertümer" in Frankfurt am Main, die "Historische Sammlung der Israelitischen Gemeinde" in Mainz, das "Museum der Israelitischen Gemeinde" in Worms und das "Jüdische Museum" in Berlin. Noch ernüchternder wirkt die Tatsache, dass die Einrichtung spezieller jüdischer Abteilungen in allgemeinhistorischen Museen die Ausnahme blieb. Und wo sie dennoch stattfand, folgte man in aller Regel einem reduktionistischem Verständnis, welches das Judentum, ohne kulturelle oder gar nationale Implikationen, ausschließlich als Konfession betrachtete.
Wie Alon Confino, der unlängst nachgewiesen hat, dass deutsche Heimatmuseen zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufwändige Identitätsmuster anboten, indem sie Mehrfachloyalitäten zuließen und förderten, zeigt Rauschenberger, dass sich auch in Jüdischen Museen lokale und nationale, ethnische und religiöse Identifikationsangebote nicht per se ausschlossen. Zwar unternahm man im Hamburger Fall den (erfolglosen) Versuch, Judaica gleichsam zu 'entzeitlichen' und sie, ganz essentialistisch, als Belege einer "jüdischen Volksseele" zu interpretieren. In der Jüdischen Abteilung des Hessischen Landesmuseums Kassel hingegen wurde jüdische Ritualkunst bewusst als Teil hessischer Volkskunst präsentiert, als Ausdruck also einer scheinbar selbstverständlichen christlich-jüdischen Symbiose in der Region. Und einem ähnlichen Zweck gehorchte auch die bereits erwähnte Kölner "Jahrtausendausstellung", welche die Assimilationsfähigkeit der Juden im Allgemeinen sowie ihre tiefe Verwurzelung im Rheinland im Speziellen nachweisen sollte.
Die unterschiedlichen Museumskonzepte, die Rauschenberger vergleichend analysiert, spiegeln in ihrem Schwanken zwischen Integration und Ausgrenzung, Selbstverleugnung und Eigenbewusstsein jene "Krise der Assimilation" (Christian Wiese), der für die Identität deutscher Juden zentrale Bedeutung zukam. Sie verweisen auf Fraktionen innerhalb des Judentums, die - mit Schlagworten wie 'Konfessionalisierung' und 'Ethnisierung' nur unzureichend benannt - durch diese differenziert argumentierende Studie an Kontur gewinnen. Gelegentlich wäre sie allerdings durch eine Untersuchung von Inszenierungspraktiken und Publikumsreaktionen zu ergänzen - so hartnäckig die erforderlichen Quellen auch vorderhand schweigen mögen.
Zuletzt: Dass jüdische Museen durch private Initiativen entstanden, ist mit Blick auf die bürgerlichen Museumsgründungen der Zeit kaum verwunderlich. Dass ihnen indes keine nennenswerten Schenkungen und Stiftungen zugute kamen - während Juden unter den Förderern etwa kunsthistorischer und naturkundlicher Museen doch einen besonderen Platz einnahmen -, wirft freilich Fragen auf, die in diesem Buch noch nicht geklärt werden. Keinem Zweifel kann es sodann unterliegen, dass Jüdische Museen und Sammlungen nicht zu den treibenden Kräften der Museumsreform gehörten. Die viel beobachtete Professionalisierung, die sich im jüdischen Fall mit Namen wie Rudolf Hallo, Alfred Grotte, Hermann Gundersheimer oder Guido Schönberger verbindet, setzte verspätet ein. Die schleichende Verstaatlichung, wie sie die Entwicklung des allgemeinen Museumswesens seit Ende des 19. Jahrhunderts charakterisierte, blieb für Jüdische Museen ohne Auswirkung - was nicht allein mit der Zäsur des Jahres 1933 zusammenhing. Allen Programmdiskussionen zum Trotz entwickelten Jüdische Museen kein eigenes Profil, schufen keine "neue Museumsgattung" (16). Auch deshalb verliert das Wort von der "Renaissance jüdischer Kultur" (Michael Brenner) durch Rauschenbergers Studie erheblich an Strahlkraft. Eine Beachtung auch außerhalb der "jewish studies" ist diesem Buch, das durch ein nützliches Glossar und ein zuverlässiges Register komplettiert wird, sehr zu wünschen.
Carsten Kretschmann