Gianvittorio Signorotto / Maria Antonietta Visceglia (eds.): Court and Politics in Papal Rome 1492-1700 (= Cambridge Studies in Italian History and Culture), Cambridge: Cambridge University Press 2002, VIII + 257 S., ISBN 978-0-521-64146-3, GBP 40,00
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Die frühneuzeitliche Vorstellung von Rom als "teatro del mondo" ist der Ausgangspunkt dieses Sammelbandes, in dem die wichtigsten italienischen Stimmen der gegenwärtigen römischen Hofforschung zu Wort kommen. Damit ist zugleich eine Stärke und eine Schwäche dieses Bandes angedeutet: Es ist überaus begrüßenswert und erfreulich, dass diese italienischen Beiträge nun in einem gut lesbaren englischen Handbuch vorliegen, allerdings stimmt es auch nachdenklich, dass bis auf Olivier Poncet kein nicht-italienischer Historiker zu Wort kommt. So ist die auf diesem Gebiet besonders produktive Freiburger und Fribourger Schule nicht vertreten, und deren Produktion wird vornehmlich in Form des Aufsatzes "Freunde und Kreaturen" von 1979 (!) ihres Doyen Wolfgang Reinhard rezipiert.
Der Band bietet keinen systematischen Überblick über den Aufbau des römischen Hofes oder seine Beziehungen zur Stadt und zum Kirchenstaat, allerdings finden sich diese Fragen implizit in verschiedener Gewichtung in den einzelnen Beiträgen. Alle Verfasser setzen eine gewisse Vorkenntnis römischer Institutionen voraus, weshalb der Band kaum das Prädikat "studententaugliche Einführung" verdient. Ein Glossar und eine Chronologie hätten hier Anfängern oder Nicht-Spezialisten wertvolle Dienste leisten können.
Der erste Beitrag von Marco Pellegrini befasst sich mit dem Rückgang des Einflusses des Kardinalskollegiums in der Frühen Neuzeit. Er begrenzt seine Ausführungen vornehmlich auf den Pontifikat Alexanders VI. als Ausgangspunkt späterer Entwicklungen. Die Auswirkungen des Tridentinums und der Einführung der Kongregationen unter Sixtus V., die das Gesicht der Kurie grundsätzlich veränderten, deutet er nur kurz an.
Irene Fosi untersucht einen wichtigen Aspekt der päpstlichen Selbstdarstellung, den Possesso. Dieser feierliche Umzug, mit dem die Päpste nach ihrer Wahl zeremoniell Besitz von der Stadt und ihrem Amt nahmen, war ein Moment symbolischer Politik und bot Raum zur programmatischen Darstellung des "Papal Prince". Entgegen der bisher vorherrschenden Annahme, dass das päpstliche Zeremoniell die Jahrhunderte unverändert überdauerte, wird hier am Beispiel der Possessi von Julius II., Leo X., Paul III. und Sixtus V. deutlich, dass die neu gewählten Päpste diese Zeremonie sehr persönlich gestalteten und veränderten. Gerade die Tatsache, dass es sich um eine Wahlmonarchie handelte, war Anlass und Grund, den Herrschaftsanspruch des frisch gekürten Pontifex und seiner Familie mit einem legitimierenden zeremoniellen Diskurs zu untermauern.
Mit der Initiation des Medicisprösslings Kardinal Francesco de Medici in die Usancen der römischen Politik im 16. Jahrhundert gibt Elena Fasano Guarini quasi eine Innenansicht der Kurie aus florentinischer Sicht. Einfühlsam rekonstruiert sie die Entwicklung der moralischen und mentalen Kategorien eines nicht gerade überdurchschnittlich gebildeten Kardinals. Sie analysiert sein politisches Vokabular und seine langsame Positionierung innerhalb des römischen Geflechts als florentinische "Antenne" in Rom.
Fragen des römischen politischen Vokabulars stehen auch im Zentrum der Ausführungen Mario Rosas. Er befasst sich mit den zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den verschiedenen Akademien der Stadt diskutierten politischen Konzepten, besonders mit den in diesem Ambiente beliebten politischen Bibelapplikationen. Sämtliche internationale Debatten zu Machiavellismus, Stoizismus und Staatsräson wurden in und vor dem spezifisch römischen Kontext kontrovers diskutiert, und selbst Päpste machten sich zu allgemein debattierten Fragen politischer Theorie recht machiavellistische Gedanken.
Der Beitrag von Menniti Ippolito zum Verhältnis zwischen Staatssekretariat und Nepotismus konnte die bahnbrechende Studie von Birgit Emich zu diesem Problem wohl nicht mehr berücksichtigen. [1] Dies ist bedauerlich, denn sie bewies, dass eine funktionale Analyse der Beziehungen zwischen Staatssekretariat und Nepot auf einer Verschränkung von inhaltlichen und aktenkundlichen Aspekten beruhen muss, und ihre tiefenscharfen Ergebnisse lassen doch gewisse Zweifel an der Aussagekraft venezianischer Relationen aufkommen, auf die Menniti Ippolito seine Ausführungen vorwiegend stützt. Menniti Ippolito stellt die gängige Lesart der langfristigen Durchsetzung des "modernen" Staatssekretärs auf Kosten des Papstnepoten infrage und sieht den Nutzen des Kardinalstaatssekretärs in erster Linie in dessen Koordinierungskompetenzen in einer sich zunehmend bürokratisierenden Kurie. Zu Recht weist er darauf hin, dass in der päpstlichen Wahlmonarchie kontinuierliche Entwicklungen selten sind, und die Kompetenzverteilung stark von der Persönlichkeit des Pontifex und seinem familiären Personalreservoir abhing.
Neben den venezianischen Relationen gehören die so genannten "Avvisi" bis heute zu den wichtigsten Quellen der Romforschung. Mario Infelise erläutert den Kontext ihrer Entstehung und Verbreitung, ihrer Produzenten und Adressaten und zeigt, dass gerade die Ballung diplomatischer Vertreter die ewige Stadt zu einem lebendigen europäischen "Medienstandort" machte. Während handschriftliche Avvisi im Dunstkreis der Diplomaten zirkulierten und entstanden, wandten sich die gedruckten Zeitungen an ein weiteres "Publikum". Die größere Reichweite musste allerdings mit einem stärkeren Eingriff der Zensur bezahlt werden.
Welche Erschütterungen die internationalen Machtverschiebungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der römischen Landschaft verursachten, zeigen die Beiträge von Visceglia, Signorotto, Poncet und Ago. Die Ausführungen Visceglias zur Faktionsbildung im Kardinalkollegium liefern konzis und prägnant den Hintergrund, vor dem die weiteren Beiträge gelesen werden können. Der Aufstieg Frankreichs führte nicht nur zu diplomatischen Vorrangstreitigkeiten zwischen den Gesandten des Sonnenkönigs und Spaniens, sondern stellte auch das etablierte römische System als Ganzes infrage, beziehungsweise brachte es an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Letzteres wird insbesondere an den Kardinalprotektoren deutlich, denen die Untersuchungen Poncets gewidmet sind. Zwar kam dem Amt des Kardinalprotektors vor allem zeremonielle Bedeutung zu, doch dies war im römischen Kontext immer hochpolitisch. Das Engagement der Barberini-Nepoten als Protektoren der konkurrierenden Mächte Spanien und Frankreich brachte das Papsttum politisch so unter Druck, dass nach diesen Extremerfahrungen "nationale" Nepotenprotektorate unmöglich gemacht wurden.
Eine der bedeutendsten Verschiebungen im immer diffizilen römischen Gleichgewicht bedeutete die Entstehung einer unabhängigen Faktion unter den Kardinälen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die als "squadrone volante" in die Geschichte einging. Signorotto beschreibt ihren Aufstieg, ihre Zusammensetzung und Funktionsweise, letztlich aber auch ihr Scheitern. Er interpretiert das Anliegen des "squadrone" in erster Linie als defensiv römisch und nicht eigentlich als inhaltlich dogmatisch und zieht damit keine Kontinuitätslinie zu den so genannten "zelanti", die an der Jahrhundertwende die römische Bühne betraten.
In dem abschließenden Beitrag von Renata Ago kommt die Beziehung zwischen Kurie und Stadt auf sozialer und intellektueller Ebene zur Sprache. Sie reiht die römischen Diskussionen um "Tugend" und "Korruption" des Hofes in die zeitgenössischen internationalen Debatten um "court and country" ein.
Anmerkung:
[1] Siehe meine Rezension von Birgit Emich: Bürokratie und Nepotismus unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Rom (= Päpste und Papsttum; Bd. 30), Stuttgart: Hiersemann 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 3; http://www.sehepunkte.de/2002/03/3777201219.html.
Nicole Reinhardt