Rezension über:

Peter Ufer: Leipziger Presse 1789 bis 1815. Eine Studie zu Entwicklungstendenzen und Kommunikationsbedingungen des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens zwischen Französischer Revolution und den Befreiungskriegen (= Kommunikationsgeschichte; Bd. 9), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2000, IV + 367 S., ISBN 978-3-8258-3164-6, EUR 25,90
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Rezension von:
Ina Timmermann
Germanistisches Institut, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Ina Timmermann: Rezension von: Peter Ufer: Leipziger Presse 1789 bis 1815. Eine Studie zu Entwicklungstendenzen und Kommunikationsbedingungen des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens zwischen Französischer Revolution und den Befreiungskriegen, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2000, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/2923.html


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Peter Ufer: Leipziger Presse 1789 bis 1815

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Wer sich wissenschaftlich auf das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen eines Zeitraums einlässt, in dem dieses sowohl im höchstrangigen Druck- und Verlagszentrum Leipzig als auch im gesamten Alten Reich zahlenmäßig nachgerade explodiert, der betritt absehbar schwieriges Gebiet - nicht zuletzt weil es an verlässlichen Vorarbeiten fehlt.

Selbst zu ermitteln hatte Ufer für die gut anderthalb Jahrzehnte seines Untersuchungszeitraums daher zunächst etwa eine Quantität von "über 320 Periodika" (4) - die Rezensentin hat in der leider nicht nummerierten Bibliografie des Anhangs 337 Titel gezählt. Neben mehr als "150 archivalischen Einheiten" hat er nicht weniger als "200 Periodika" analysiert (4, Anmerkung 5). Diese recherchierten und verifizierten Quellenmassen sollten indes eben nicht nur verzeichnet und grundlegend erschlossen, sondern zudem einer inhaltlichen Fragestellung zugeführt sowie unter kommunikationshistorischer Perspektive theoretisch und methodisch durchdrungen werden.

Weniger dem gern geforderten Theorie- und Methodenmix geschuldet, als vielmehr dem Gegenstand angemessen und entsprechend, seien für die Untersuchung daher "sozialhistorische, literaturwissenschaftliche, regionalgeschichtliche und kommunikationstheoretische Aspekte" berücksichtigt worden (20). Das muss die eigentlichen Zusammenhänge, auf die mit den Jahreszahlen im Haupttitel angespielt wird und die im Untertitel explizit ausgeführt sind, nicht ausschließen, widergespiegelt werden sie in dieser Liste kaum. In der Tat dürften die Bemühungen Ufers, sein Thema in die umfassenderen Zusammenhänge von Aufklärung, Französischer Revolution, (Früh-)Liberalismus und "Befreiungskriegen" einzubetten, historisch Versierte und Spezialisierte wenig befriedigen.

Letztere müssen freilich nicht die Hauptadressaten der Studie sein, und selbstredend ist die Kenntnis einer nicht eben geringen Menge von teils idealer-, teils notwendigerweise einzubeziehenden Forschungsständen verschiedener Fächer und Disziplinen, neben dem breiten Quellenkorpus sowie der Theorien- und Methodenvielfalt, ein weiteres, zu berücksichtigendes Problem. Damit stellt sich allerdings die Frage, ob der Zuschnitt der Arbeit nicht zu groß, die gewählte Form der Umsetzung nicht zu umfassend geblieben, das Thema im Verlauf der Auseinandersetzung zu wenig auf ein realistisches Maß, einen seriös bearbeitbaren Ausschnitt reduziert worden ist.

Es ist zwar nachvollziehbar und legitim, dass Ufer die schwierigen Umstände seiner Arbeit mehrfach betont. Man mag auch zur Kenntnis nehmen, dass er am Ende der Einleitung, ob nun als abschließende, tendenziell selbstkritische Einschätzung der eigenen Leistung oder doch eher als Vorwarnung an den Leser, darauf verweist, die verschiedenartigen Aspekte über den gesamten Untersuchungszeitraum zu vereinen, scheine ihm "ein Kraftakt, der von einem [E]inzelnen nur schwer zu leisten ist" (20) - Konsequenzen für die Darstellung sind daraus nicht gezogen worden. Das Bemühen, möglichst viele Aspekte immer wieder einmal zur Geltung zu bringen, hat vielmehr dazu geführt, dass einfache, unmittelbar auf der Hand liegende, also grundsätzlichste Fragen nicht oder kaum beantwortet werden.

So hat Ufer seinen Untersuchungszeitraum in drei zeitliche Abschnitte untergliedert (1789, 1790-1805, 1806-1815), die den drei Kernkapiteln 2, 3 und 4 entsprechen, die aber an gegebener Stelle, im zweiten Teil der Einleitung ("Problemskizze des Forschungsstandes und des methodischen Vorgehens", 5-20), gar nicht, im ersten Teil der Einleitung ("Forschungsgegenstand", 1-5) nur noch einmal im ganzen Satz formuliert werden. Hintergründe, Thesen oder gar eine Problematisierung des gewählten Vorgehens sucht der Leser vergebens: Für den ersten Zeitabschnitt wird redundant darauf verwiesen, dass die Darstellung des Leipziger Pressewesens 1789 mit einer "Rückschau" (3) oder einem "Rückblick bis 1763" (4) verbunden werde, um die "Prozessqualität" des Ganzen darstellen zu können. Was das Jahr 1763 als Grenze des Rückblicks qualifiziert, wird jedoch nicht preisgegeben (es könnte damit zu tun haben, dass die bekannte und von Ufer auch genannte Arbeit von Agatha Kobuch über "Aufklärung und Zensur in Kursachsen" mit diesem Jahr endet). Von hier aus betrachtet, hätte die Arbeit folglich auch 'Leipziger Presse vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zum Ende der napoleonischen Ära' benannt werden können; das klingt freilich weniger spektakulär.

Wird im ersten ebenso wie im dritten zeitlichen Abschnitt eher auf die Signalwirkung von Daten bestimmter historischer Großereignisse gesetzt, so würde sich der mittlere Zeitabschnitt 1790-1805 als Zwischenraum gewissermaßen zwangsläufig aus seinem Umfeld ergeben. Tatsächlich wird jedoch einzig dieser Abschnitt, wenngleich beiläufig, theoretisch unterfüttert. Ufer wendet sich diesbezüglich gegen die "Legende", Leipzigs Pressewesen sei "nach dem Höhepunkt der Frühaufklärung rückständig gewesen", um dagegen zu behaupten, dass in Leipzig "eine geradezu modellhafte Form von Öffentlichkeit innerhalb der Vorbereitungsphase des bürgerlichen Umwälzungsprozesses entstanden war, zumindest zwischen 1790 und 1805" (3).

Dass es Ufer dabei zum einen nicht recht gelingen will, diese 'Legende' zu entkräften, wenn er kurz darauf eben jenen Widerspruch nicht auflöst, der darin besteht, dass Leipzig zwar quantitativ als "eine der deutschen Pressehauptstädte" (8) gelten kann, qualitativ aber keine Artikelschreiber wie die von ihm angeführten Lessing, Wieland, Schiller und andere, keinen "Teutschen Merkur", keine "Thalia", keine "Allgemeine Literatur Zeitung" und kein "Deutsches Museum", keine politische Zeitung, wie den "Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten", die "Augsburger Ordinari Zeitung" oder die "Vossische Zeitung" und auch keine bedeutenden politischen Zeitschriften wie Wekherlins "Graues Ungeheuer", Schlözers "Staatsanzeiger", Schubarts "Deutsche Chronik", Gedikes und Biesters "Berlinische Monatsschrift" (15) oder auch nur ein annähernd ähnliches oder zu Unrecht vergessenes Prunkstück der deutschen Pressegeschichte sein Eigen nennen kann, mag noch einer unglücklichen Argumentation zugeschrieben werden. Dass bei aller schwer zu bewältigenden Breite von Forschungsständen und diffizilen Terminologien zum andern aber selbst ein Zentralbegriff wie "Öffentlichkeit" von Ufer mit einer 'selbst gestrickten' Definition versehen wird, dass eine kommunikationshistorische Studie aus dem Jahr 1995 oder gar 2000, die maßgeblich mit Zeitungen und Zeitschriften (also per se einem Bereich historischer Öffentlichkeit) arbeitet, einzig und allein mit dem Verweis auf das unhinterfragt zu Grunde gelegte, mittlerweile schon kaum mehr 'höchst umstritten' zu nennende Öffentlichkeitsmodell von Habermas auskommt, ist, diplomatisch formuliert, verwunderlich.

Ähnlich zu charakterisieren ist auch der Umstand, dass Ufer, der auf 204 Textseiten selbstverständlich nicht 337 Periodika behandelt, die von ihm getroffene Auswahl nicht deutlich erklärt. Formuliert wird zwar, dass es sich bei der großen Anzahl der ermittelten Periodika um solche handele, die "durch die Redaktion, den Verlag, den Herausgeber, den Druck oder den Vertrieb mit Leipzig verbunden waren" (5), die Studie hingegen "auf einer Auswahl originär Leipziger Zeitungen und Zeitschriften" beruhe (5), also auf einer wie auch immer zu Stande gekommenen Selektion aus einem nicht explizit genannten Bestand an Periodika, die bezüglich aller anzulegenden Kriterien (nicht nur mit einem 'oder', sondern mit einem 'und') "direkt zu Leipzig in Beziehung standen" (5). Sollten diesen Maßstab tatsächlich nur die behandelten siebzehn Titel erfüllen? Die Leserschaft erfährt auch darüber weiter nichts.

Deutlich zu erkennen ist indes, dass für die zeitlichen Abschnitte zum einen jeweils drei Zeitungen ausgewählt worden sind, wobei die "Leipziger Zeitung" über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet wird, die "Leipziger Fama" und das "Leipziger Intelligenzblatt" im ersten und zweiten Zeitabschnitt, während in den Dritten das "Leipziger Tageblatt" und Brockhaus' "Deutsche Blätter" aufgenommen worden sind. Zum andern wird eine jeweils unterschiedliche Anzahl an Zeitschriften behandelt (2.4: drei Titel; 3.4: acht Titel; 4.4: zwei Titel), bei denen lediglich die "Neuen Leipziger Gelehrten Anzeigen" (2.4.1), fortgesetzt als "Leipziger Literatur Zeitung" (3.4.1), und der "Europäische Aufseher" (3.4.8 und 4.4.1) in mehr als einem Zeitabschnitt eine Rolle spielen.

Die jeweilige Berücksichtigung in einer bestimmten zeitlichen Phase hat dabei keineswegs durchweg mit dem Einsetzen oder Enden eines Periodikums zu tun - das lässt sich bequem in der von Ufer selbst beigegebenen, nicht immer nach dem gleichen Frageraster verfahrenden, mit ungewöhnlichen Millimetermaßen anstatt der historisch üblichen Papierformate und anderen Merkwürdigkeiten aufwartenden Dokumentation der behandelten Titel nachschlagen (279-288). Mit Blick auf die im ersten zeitlichen Abschnitt eingeforderte Darstellung einer 'Prozessqualität', viel mehr aber noch mit Blick auf die angekündigte Untersuchung von 'Entwicklungstendenzen' muss das Darbieten einer abwechslungsreichen, aber nicht hinreichend begründeten oder wenigstens nachvollziehbar erläuterten Auswahl an Periodika freilich als vertane Chance erscheinen, wenn sich spätestens auf den zweiten Blick erschließt, dass hier ganz andere, stringentere Linien zu verfolgen gewesen wären.

Nicht grundsätzlich anders stellt sich der Sachverhalt für den Umstand dar, dass Ufer "die Wirkungen der Französischen Revolution auf die deutsche Presse hinreichend untersucht scheinen" (3), er an die Ergebnisse der entsprechenden Untersuchungen - etwa durch Vergleiche, durch das Benennen von Ähnlichkeiten und Unterschieden, über Analoges und im Widerspruch zum Leipziger Zeitungs- und Zeitschriftenwesen Stehendes - aber nicht anknüpft. Umgekehrt gibt es in den Formulierungen Ufers zu anderen Forschungsständen eine Tendenz, älteren Arbeiten einen Mangel an aktuellen Methoden und Darstellungsweisen anzulasten. Wiederum etwas anders gerät der logische Kurzschluss, jenen für die Studie relevanten "Beiträgen zur Literaturgeschichte" vorzuwerfen, dass deren "Blick ein hauptsächlich literaturwissenschaftlicher" sei (6).

Womit man letztlich bei einer, übrigens auch auf den Blick auf die Quellen zu beziehenden Erwartungshaltung des Verfassers ankommt, die zu den zum Teil vollmundig formulierten eigenen Ansprüchen und Leistungen in keinem guten Verhältnis stehen. "Arbeiten vor 1980" etwa einfach grundsätzlich zu unterstellen, sie seien, was immer das sein mag, "pure Zeitungs- und Zeitschriftenhistorie" und "vordergründig personenbezogen" (9), kurz zuvor indes selbst anzugeben, die eigene Arbeit beginne mit der "Betrachtung des Kreises Leipziger Herausgeber von Periodika" und der "Analyse ihrer Erscheinungsformen" (4), vor allem aber tatsächlich selbst nicht mehr (und vieles weitaus ungeordneter und unentschiedener) darzulegen, als man seit Jahrzehnten von jeder pressehistorischen Untersuchung erwarten kann, spricht nicht eben von koordinierter Übersicht. Ebenso generell und ohne Beleg oder Verweis früheren Arbeiten "mangelndes quellenkritisches Bewußtsein" vorzuwerfen, in den eigenen Ausführungen jedoch zum einen ideologisch gefärbte Begrifflichkeiten aus älterer und ältester Sekundärliteratur unreflektiert zu übernehmen, zum andern mehrfach und reihenweise Quellenzitate unkommentiert, ohne auch nur einen Ansatz zum Versuch einer Interpretation lediglich hintereinander zu schalten, bedeutet allerdings wohl, sich selbst ad absurdum zu führen.

Auffällig ist an dieser Publikation zuvorderst jedoch ein formaler Bearbeitungszustand, der grundsätzliche Reflexionen über allgemein verbindliche Anforderungen und Standards von wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten rechtfertigen würde - oder auch die Frage, ob hier nicht versehentlich eine vorläufige Korrektur- an Stelle der eigentlichen Textfassung in Druck gegangen ist. Eine lediglich exemplarisch mögliche Aneinanderreihung von Belegen für die (zu) zahlreichen orthografischen und grammatikalischen Flüchtigkeitsfehler sowie andere mangelhafte 'Äußerlichkeiten' könnte in der Vereinzelung leicht wie berufsbedingte 'Erbsenzählerei' wirken und unterbleibt daher; bereits das Inhaltsverzeichnis und die erste Textseite der Arbeit bieten in ausreichender Menge Beispiele für das Monierte. In der gesamten Arbeit treten auf den ersten Blick Nachlässigkeiten zu Tage, die zum größeren Teil schnell und leicht zu beheben gewesen wären, eben darum umso ärgerlicher sind und bei der ausgewiesenen Frist von fünf Jahren zwischen der Annahme der Arbeit und ihrer Drucklegung nicht nur hätten vermieden werden können, sondern müssen.

Am ehesten auszunehmen von dem formal wie inhaltlich nicht eben erfreulichen Zustand dieser Arbeit sind die Unterkapitel zur Zensur (2.1, 3.1, 4.1), die zahlreiche, detaillierte Einzelbeobachtungen bieten. In diesen Abschnitten gelingen Ufer die mit Abstand besten Teile seiner Arbeit. Die im Anhang ebenfalls verzeichneten Archivalien (207-215), aus denen sich die Studie hier speist, vermitteln gleichwohl den Eindruck, dass auch für diesen Bereich noch einige Entdeckungen zu machen, regelrechte Krimis aufzudecken wären - oder, in der eigentümlichen Diktion Ufers: "In der Substanz stecken Ansatzpunkte für eine erweiterte Forschung des Leipziger Pressewesens" (20).

Ina Timmermann