Axel Gotthard: Das Alte Reich 1495-1806 (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, 179 S., ISBN 978-3-534-15118-9, EUR 14,90
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Mit der Reihe "Geschichte kompakt" verfolgt die Wissenschaftliche Buchgesellschaft seit einiger Zeit ein überzeugendes, doppeltes Konzept: Sie reagiert zum einen auf das wachsende Interesse für historische Themen in der Gesellschaft unserer Zeit und will in thematisch akzentuierten Einzelbänden verlässliche Information auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung bieten. Zum anderen möchte sie die neuen Fragestellungen, Ergebnisse und Sichtweisen der Geschichtswissenschaft Lehrenden wie Lernenden übersichtlich konzipiert und gut lesbar dargestellt verfügbar machen. Im Rahmen dieses Konzepts ist über das Alte Reich in der Frühen Neuzeit nun das Buch von Axel Gotthard erschienen. Der Autor hat sich bereits durch Monografien über die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs und die Rolle der Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reich einen Namen gemacht.
Das hier zu besprechende Buch ist in neun Kapitel sehr unterschiedlichen Umfangs gegliedert. Kapitel I bietet eine Einführung in die wichtigsten Besonderheiten des Alten Reichs ("Hinführung: Wie funktionierte das Alte Reich?" [1-30]). Gotthard erläutert hier die Unterschiede zwischen dem Reich als Lehnsverband und dem Reich als politischem System, führt die "Elemente des Reichssystems" vor (Kaiser, Kurfürsten, andere Reichsglieder, Reichs- und Deputationstage, Kurfürstentage, Kreisverfassung, Reichskammergericht, Reichshofrat) und kennzeichnet die wichtigsten Reibungspunkte zwischen den Reichsgliedern. In den Kapiteln II-VIII werden dann die grundlegenden Veränderungen der Reichsverfassung mit ihren Institutionen und in deren Funktionieren nachgezeichnet, und zwar in chronologischen Querschnitten im Abstand von fünfzig Jahren, beginnend mit der Reichsreform (Kapitel II: "Das Reich um 1500" [31-36]), endend mit den "finalen Schlägen im Sommer 1806" (Kapitel VIII: "Das Reich um 1800" [152-164]). Den Abschluss bildet Kapitel IX mit einem "Rückblick: die beiden großen Themen und einige Grundmuster der Reichspolitik" (165-167). Eine kommentierte, vielleicht etwas sparsame Auswahlbibliografie rundet die Darstellung ab. Zahlreiche, im Text grafisch hervorgehobene Erklärungen (zum Beispiel "Wahlen vivente imperatore", "teutsche libertät", "Kurverein", "Wormser Edikt", "Dualismus") erleichtern dem Unkundigen die Lektüre. Erschlossen wird das Buch durch ein Sachregister.
Gotthard hat auf engem Raum eine kenntnisreiche und verlässliche Einführung in die Geschichte des frühneuzeitlichen Reichs geschrieben. Ihm ist es gelungen, viele komplexe und komplizierte Sachverhalte in knappen und klaren Worten verständlich zu machen, und das meiste von dem, was man den Studierenden bis zum Examen vermitteln möchte, kommt hier zur Sprache. Dazu gehören vor allem die wichtige Rolle der Konfessionen für die Geschichte des Alten Reichs und das - von Gotthard trefflich so bezeichnete - "altrechtliche Denken" der Zeitgenossen bis hin zum 18. Jahrhundert. Klar arbeitet Gotthard ferner die Mehrdeutigkeit und damit das Konfliktpotenzial des Augsburger Religionsfriedens wie des Westfälischen Friedens heraus. Auch die Internationalisierung der Reichspolitik ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und der Sog der Großmachtpolitik, in den das Reich zunehmend geriet, werden deutlich; den preußisch-österreichischen Dualismus stellt er darüber hinaus in den Zusammenhang eines - ebenso zutreffend wie knapp gekennzeichneten - "Modernisierungswettlaufs" (119). Aufmerksamkeit widmet Gotthard auch der Bedeutung der Aufklärung für das sich wandelnde Verständnis vom Alten Reich, und klar kennzeichnet er die unter den Zeitgenossen um 1800 intensiv diskutierte Unterscheidung zwischen Herrschaftssäkularisation und Vermögenssäkularisation.
Die Gliederung der Darstellung in eine eher systematische Einführung, einen vorwiegend chronologischen Hauptteil und ein knappes Resümee vermag ebenfalls zu überzeugen. Das erste Kapitel, also die "Hinführung", gehört vielleicht sogar zum Besten, was über die Reichsverfassung, genauer: über ihre Institutionen und deren Funktionieren, in derart konziser Fassung zurzeit auf dem Markt ist. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass hier Fragen der Reichszugehörigkeit und der Reichsgrenzen thematisiert werden - in einer Geschichte des Alten Reichs alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Dass auch neue Forschungsergebnisse, etwa über die Zeichenhaftigkeit des Reichstagsverfahrens, in eine solche Einführung integriert sind, gehört ebenfalls zu den respektablen Leistungen. Hilfreich für eine erste Annäherung an das Reich erscheint es ferner, dass Gotthard ein "Drei-Ebenen-Modell" konstruiert, dabei aber zugleich auf die Problematik und die Defizite eines solchen Modells hinweist. Überhaupt kennzeichnen das Buch zahlreiche gute Beobachtungen und ausgewogene Urteile, vielfach klar und einprägsam formuliert, zum Beispiel: "Das Reichsdach wölbte sich über große Quader und viele kleine [...]" (16). Die ausnehmend reichen Informationen über die üblicherweise eher vernachlässigten Kurfürsten sind ein weiterer Vorzug der Darstellung Gotthards.
Dass die Rezensentin den Band dennoch nicht uneingeschränkt als einführende Lektüre für Studierende empfehlen möchte, liegt an einigen problematischen Aspekten, von denen vier im Folgenden näher ausgeführt seien.
1. Die zeitlichen Querschnitte in Halbjahrhundertschritten. Auf den ersten Blick erweckt die Gliederung des chronologischen Teils der Darstellung nicht entlang der üblicherweise als innere Epochengrenzen begriffenen Jahre 1555, 1648, 1740 und 1806, sondern in Halbjahrhundertschritten, einen innovativen Eindruck. Inhaltlich führt aber eben doch kein Weg an einer - von Gotthard mit großer Umsicht vorgenommenen - Interpretation der Ereignisse und Entscheidungen von 1555, 1648, 1740 und 1806 vorbei; die häufigen Rückverweise in der Erzählung, vor allem aber die Vorblendungen - für die zudem nicht das erzählende Präteritum, sondern ein eigenartiger futurischer Irrealis gewählt wurde - sind dafür ein deutliches Indiz. Problematisch erscheint vor allem, dass man mitunter nicht mit der wünschbaren Klarheit erfährt, für welche Zeit die jeweilige Bemerkung gilt. Fraglich ist zudem, ob es den weniger Kundigen ohne weiteres gelingen wird, die mitunter auf einem vergleichsweise hohen Abstraktionsniveau formulierten Entwicklungen mit den Daten, Ereignissen und Personen in anderen Darstellungen zu verknüpfen (vgl. etwa den Abschnitt 78-80). Die Ungleichgewichtigkeit der einzelnen Querschnittskapitel erscheint demgegenüber weniger störend, wenngleich zum Beispiel die Vorgeschichte des Schmalkaldischen Kriegs vielleicht ebenso viel Aufmerksamkeit verdient hätte wie der Streit um die Reichsstadt Donauwörth 1607 und der Pfälzer Streit im frühen 18. Jahrhundert.
2. Die Konzentration auf die Institutionen. Deren Funktionieren wird zwar vorzüglich erläutert, doch entsteht durch die Konzentration, wenn nicht gar: Beschränkung auf die Institutionen der irrige Eindruck, das Alte Reich wäre in ihnen aufgegangen; für die politische Kommunikation im Reich wäre man auf Reichstage angewiesen gewesen und Reichspolitik neben den Institutionen der Reichsverfassung hätte es nicht gegeben. Zwar spricht Gotthard einige Male von "informellen Spielregeln", erläutert aber nicht, worin diese bestanden; zudem hält er das Reich für "mundtot" (108f., 115), wenn über einen längeren Zeitraum kein Reichstag stattfand. Andere - und zeitweise ausgesprochen prägende - Formen der Reichspolitik, etwa Einungen und politische Bünde, bleiben dagegen außer einem kurzen Hinweis auf Union und Liga als "bündische Behelfe" (77f.) unerwähnt. Schließlich dürfte das Reichsgefüge ohne einige Hinweise auf regionale Schwerpunkte und Besonderheiten, etwa auf die strukturellen Bedingungen für die Langlebigkeit von Reichsstädten und Reichsrittern im Südwesten des Reichs, nur sehr unvollständig gekennzeichnet sein.
3. Es leuchtet nur zum Teil ein, was über die Rolle des Kaisertums, vor allem aber über die Reichspolitik einzelner Kaiser geäußert wird. Dabei steht die - zutreffende - Beobachtung Gotthards, dass zeitlich übergreifende Forschungen zum frühneuzeitlichen Kaisertum ausstehen, im Gegensatz zu seinen vielfach überhart erscheinenden Urteilen über Persönlichkeit und Politik mancher Kaiser. Das gilt besonders für die Reichs-, und hier wiederum die Religionspolitik Karls V. Bei dem, was Gotthard hier unter "Lösungsversuche" erörtert (39-43), handelt es sich nämlich nicht um die Bemühungen Karls V., seine Handlungsspielräume voll auszuschöpfen. Gotthard beschränkt sich vielmehr auf die kriegerische Lösung, die auch für Karl V. nur eine unter mehreren Optionen war. Von den Reformversuchen des Kaisers, seiner Konzilspolitik und den von ihm veranlassten Religionsgesprächen ist hingegen nicht die Rede. Kaiser Rudolf charakterisiert Gotthard als "Egozentriker, zu dem die zeitgenössischen politischen Mitspieler keinen Zugang fanden" (65), und bis auf Reichsvizekanzler Schönborn finden auch kaiserliche Minister vor seinen Augen keine Gnade (von Melchior Klesl sei der Begriff "Komposition" "in einem eher äußerlichen Sinne halbverstanden" aufgegriffen worden [79]).
Von kaiserlichen "Herrschaftstechniken" ist erstaunlicherweise überhaupt erst im Zusammenhang mit Leopold I. die Rede, obwohl das, was in dem entsprechenden Abschnitt zur Sprache kommt (dynastische Politik, gezielte Adelspolitik, Einflussnahme auf die Reichskirche [109-114]), zum geradezu klassischen Instrumentarium kaiserlicher Reichspolitik keineswegs erst der Frühen Neuzeit gehört und von jedem Kaiser - mit unterschiedlichen Schwerpunkten freilich, deren Untersuchung noch der Forschung harrt - betrieben wurde. Weitgehend unklar bleibt die Funktion der "vielen Kleinen als kaiserliche Klientel", die angeblich jederzeit aktivierbar waren und deren Ohnmacht das System zusammengehalten" habe (116). Wofür ließ sie sich aktivieren? Für die Kriege gegen Frankreich und für die Türkenabwehr blieben doch, wie Gotthard richtig zeigt, die armierten Stände unersetzlich, und nur sie kamen als Partner für dynastische Heiraten in Betracht. Kaiserliche Reichspolitik in der Frühen Neuzeit müsste demnach schärfer hinsichtlich ihrer Ziele, Mittel und Möglichkeiten differenziert werden.
4. Schließlich gilt die Kritik dem Stil der Darstellung, und zwar in einem zweifachen Sinne. So nennen wir doch üblicherweise eigentlich denjenigen beim Namen, dessen Forschungsergebnisse wir kritisieren, und distanzieren uns davon nicht mit Formulierungen, die jedem Nicht-Spezialisten nur neue Rätsel aufgeben. So heißt es ohne Nennung von Autor und Titel über Johannes Burkhardt und seine These vom Dreißigjährigen Krieg als Staatsbildungskrieg: "Wer den Dreißigjährigen Krieg, einer in den 1990er-Jahren diskutierten These folgend, für einen 'Staatsbildungskrieg' hält ..."(83). - Abgesehen davon wird die These Burkhardts, die sich für systematische Fragen zur frühneuzeitlichen Kriegstypologie als durchaus fruchtbar erwiesen hat, von Gotthard nicht sehr überzeugend widerlegt.
Im Hinblick auf den Stil indessen stößt sich die Rezensentin, die für unkonventionelle, zugespitzte und - wo es passt - auch umgangssprachliche Formulierungen durchaus Sinn hat, vor allem an einer ganzen Reihe sprachlicher Konstruktionen im chronologischen Teil der Darstellung. Manche saloppe Formulierung erscheint zwar durchaus gelungen (über eine Reform des Reichs habe man im 15. Jahrhundert deshalb so viel diskutiert, "weil es damals, salopp ausgedrückt, schlecht in Form war" [31]). Anderes irritiert bloß ("Ferdinand schob eben, salopp formuliert, zur Beruhigung der Protestanten rasch noch einen Zettel nach, dann ging man nach Hause" [57] - gemeint ist die Declaratio Ferdinandea), bei wieder Anderem vermisst man die Interpretation hinter dem Spott ("Der vorgebliche Herr des christlichen Abendlandes floh eilends aus Innsbruck nach Villach...." [44]). Manches erscheint der Sache schlicht nicht angemessen oder ist schon als Bild nicht stimmig (die Donauwörther Katholiken seien von den Dillinger Jesuiten "auf Kampfkurs getrimmt" worden [75]; es sei zu beachten, dass die Zeitgenossen dem Verderben nicht "wie die Lemminge entgegengetorkelt" seien [78]). Vollends bei der Feststellung, König Friedrich II. von Preußen "dilettierte als Schriftsteller, hielt sich als aufgeklärte Variante des Hofnarren mit Voltaire einen prominenten Autor" (136) läuft der Autor Gefahr, nicht nur als Wissenschaftler - der er doch auch als Verfasser eines Studienbuchs ist - nicht mehr ernst genommen zu werden, sondern auch die historischen Akteure und ihre Anliegen werden der Lächerlichkeit preisgegeben.
So ist der Gesamteindruck ambivalent: klug vermittelten Einsichten und wirklich gelungenen Formulierungen stehen doch einige nicht ganz unerhebliche Defizite gegenüber.
Christine Roll