Christof Metzger: Hans Schäufelin als Maler, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2002, 624 S., 17 Farb-, 401 s/w-Abb., ISBN 978-3-87157-198-5, EUR 128,00
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Hans Schäufelein, den der Verfasser des anzuzeigenden Buchs wegen der alemannischen Herkunft des Künstlers korrekt Schäufelin nennt, ist bislang als Epigone Dürers eher mit seinen Holzschnitten denn mit seinen Gemälden im Bewusstsein. Allenfalls die eigentümlich monumentalen, lebensgroßen, bildformatfüllenden Köpfe des Kunsthistorischen Museums in Wien, die zusammen mit den weniger bekannten Gegenstücken aus der Sammlung Kisters die älteste gemalte Serie zu den vier Temperamenten darstellen, haften im Bildgedächtnis der Kunsthistoriker. Über die Gründe für das geringe Ansehen des Malers Schäufelein ließe sich trefflich spekulieren - was Metzger indes konsequent vermeidet. Stattdessen liefert er eine sorgsam abwägende Übersicht über die fortuna critica des Malers und über die Fakten zum Leben des Malers. Er stellt zusammen, was über die Maltechnik bekannt ist, bemüht sich um einen stil- und motivgeschichtlichen Durchgang durch das Werk und untersucht abschließend Schäufeleins Beiträge zur Geschichte der wichtigsten Bildgattungen und -themen in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts - nämlich zu Retabeln, auch als Teil größerer Ausstattungs- "Programme", zum großformatigen Historienbild sowie zur Allegorie, zum Porträt und zu neueren reformatorischen Themen.
Das alles fußt auf einem Katalog der Gemälde von 75 Nummern, die Metzger Schäufelein selbst oder Mitgliedern der Werkstatt zuschreibt, dazu auf kürzer gefassten Einträgen zu Schäufelein abzuschreibenden, zu gefälschten oder nicht mehr auffindbaren Werken. 103 durch Regesten übersichtlich erschlossene Quellen zu Schäufelein und zu seiner Familie sind im Anhang abgedruckt. Dieses mächtige Fundament von knapp 300 Druckseiten ist jeweils parallel zur einleitenden Darstellung ausgewählter Probleme zu lesen. Der Rang des Katalogs im Buch ist dadurch signalisiert, dass die durchweg guten und gut gedruckten Abbildungen der Werke diesem Teil und nicht dem Fließtext zugeordnet sind.
Es ist wegen der hier gebotenen Kürze unmöglich, Einzelheiten aus dem Katalog, insbesondere zu Fragen der Zuschreibung, Datierung oder Ikonographie, zu diskutieren. Die Einträge lassen im übrigen in Bezug auf Klarheit der Mitteilungen und Differenzierungen zwischen Gesichertem und Mutmaßungen keine Wünsche offen. Deutlicher als in den einleitenden Kapiteln kommt hier heraus, dass das "Frühwerk" allein auf Grund stilkritischer Verfahren zusammengestellt ist. Dazu gehört: was sicher von einem Mitarbeiter in der Dürerwerkstatt stammt, der traditionell und mit guten Gründen als Schäufelein identifiziert ist (der Ober Sankt Veiter Altar); was so sehr auf Dürers Motiven beruht und in der Malweise den in der Werkstatt üblichen Verfahren ähnelt, dass es dorthin lokalisiert werden kann, was aber weder von Baldung noch von Hans von Kulmbach gemalt sein kann; was an Arbeiten in Südtirol, wo sich Schäufelein 1507 nachweislich aufhielt, oder aus Augsburg Schäufeleins späteren Werken so gleicht, dass es ihm zugeschrieben werden kann.
Dazu gehört aber auch die "Anbetung der Könige" (Innsbruck, Kat. Nr. 1), die im Bildaufbau Dürerisch, im Figurenstil vielleicht aber oberrheinisch ist. Von letzterem ist bei Schäufelein später nichts mehr zu spüren. Reicht diese (zugeschriebene) Tafel aus, um die nicht unplausible Hypothese der Herkunft Schäufeleins vom Oberrhein zu stützen, wozu Metzger sie benutzt? Das grundsätzliche Problem der Gesellen in der Werkstatt, die Maltechnik und Stil - beides einander durchaus bedingend - dem Meister anpassen müssen, erläutert Metzger indes sehr sachkundig. Ob Dürer jedoch die Eigenständigkeit seiner drei Gesellen in den Jahren vor seiner zweiten italienischen Reise so sehr gefördert habe, wie er das in seinen theoretischen Schriften anmahnt, sei aber doch gefragt. Ein Indiz dafür könnte immerhin sein, dass er für den Ober Sankt Veiter Altar, den prestigeträchtigen Auftrag Friedrichs des Weisen, nicht alle Details ausgearbeitet hatte. So ergab sich hier ein Spielraum im Entwerfen für den ausführenden Gesellen Schäufelein, mit dem dieser dann freilich überfordert war.
Die Frage nach der Relation zu Dürer musste Metzger in weiten Teilen seiner Arbeit beschäftigen. An Dürer wurde Schäufelein immer wieder gemessen, und nur selten fiel das Urteil zu den Gunsten des (ehemaligen) Gesellen aus. Metzger kann plausibel darlegen, dass Schäufelein nicht bei Dürer lernte, sondern nach Nürnberg zuwanderte. Erste monogrammierte Arbeiten liegen im Holzschnitt schon 1505/06 in Nürnberg vor, folgen in der Tafelmalerei aber erst 1510, während des Augsburger Aufenthalts. Motivische Entlehnungen aus Holzschnitten und Tafelbildern Dürers, aber auch ein eigenes "spätgotisches" Kompositionsprinzip, das nur mit Figuren arbeitet, diese dann mit einem Fond aus Landschaft oder Architektur hinterlegt, bestätigen die fremde, außernürnbergische Herkunft des Künstlers. Sie machen klar, wie prägend die Lehre sein konnte.
Auch später, längst mit eigener Werkstatt in Nördlingen ansässig, wurde Schäufelein von seinem Auftraggeber, dem Reichsvizekanzler Nikolaus Ziegler, noch einmal auf einen Entwurf Dürers verpflichtet. Der Ziegler-Altar steht daher fremd in Schäufeleins zeitgleichem Œuvre. Der Reichsvizekanzler, der aus Nördlingen stammte, war Dürer während dessen niederländischer Reise mehrmals begegnet und Dürer hatte ihm die (verlorene) Zeichnung für die "Beweinung Christi" auf der Mitteltafel des Retabels geschenkt, was Metzger ausführlich diskutiert. Er steht also insgesamt vor der Schwierigkeit, dass das "Eigene" Schäufeleins in einem auf Fortschritt ausgerichteten Modell von Kunstgeschichte nur als bestenfalls altertümlich - um nicht zu sagen rückständig - zu bewerten wäre. Eine andere Möglichkeit zieht Metzger nicht in Betracht, da er zu sehr in der an Dürer als Künstlerpersönlichkeit entwickelten Vorstellung von Größe befangen bleibt: Schäufelein war durchaus vor allem mit seiner Grafik, aber auch mit Gemälden Vorbild für andere Künstler seiner und der nachfolgenden Generation. Griffen andere so gerne auf seine Bildfindungen zurück, weil er die Subtilitäten Dürers in klar verständliche Formeln übersetzte, die leicht für andere Zwecke zu adaptieren waren? Ein ähnlicher, eine Generation zurückliegender Fall sind die vielfach als Muster benutzten Kupferstiche des Meister A. G. in ihrer Relation zu Schongauers Passionsfolge. Ein wenig mehr an Überschreitung der selbst gesteckten Grenze, vom Schäufelein als Maler hin zum Schäufelein als vielseitigem Bildkünstler, hätte Metzger vielleicht vor den Fallen des kunsthistorischen Rangstreits bewahrt.
Aus dem Blickwinkel Metzgers kann Schäufelein jedoch als bedeutender Maler gerettet werden, wenn man auf seine Beiträge zur Umsetzung neuer Bildformen und -funktionen blickt. Beispielsweise ist das monumentale Wandbild in der Stube des schwäbischen Bundes im Nördlinger Rathaus zu nennen. Es zeigt die Belagerung von Bethulia und die Ankunft der Judith im Feldlager des Holofernes. Vielleicht hätte hier ein Blick auf ähnlich im Erzählerischen schwelgende Szenen in anderen Bildmedien wie Buchmalerei und Druckgrafik, aber auch in der Tapisserie in Deutschland oder den Niederlanden noch deutlicher herausheben können, wie gut Schäufelein das große Format bewältigte. Dann sind es die schon genannten Köpfe der vier Temperamente, ein früher und origineller Beitrag zur Physiognomie im Zeitalter des Humanismus; in geringerem Maße die Abkehr vom Wandelretabel (u. a. Retabel in Christgarten) und schließlich die "Allegorie von Gesetz und Gnade" (um 1520) sowie das Bild vom Almosenkasten aus der Nördlinger Pfarrkirche als Dokument der 1522 vollzogenen Reformation der Stadt.
Auch hier wäre indes ein intensiveres Nachdenken über die jeweiligen Anteile von Auftraggebern, Programmerfindern einerseits, dem Maler andererseits an der Entwicklung der Bildkonzeption angebracht gewesen. Schäufelein war, daran lässt Metzger keinen Zweifel, kein "Intellektueller". Äußerungen zu seiner Kunst oder zu Kunst überhaupt sind von ihm nicht überliefert. Die daraus resultierende Schwierigkeit, den Platz des Malers in den süddeutschen Bildkünsten anhand der erhaltenen Werke allein zu bestimmen, hat Metzger in seiner Dissertation überzeugend gelöst.
Katharina Krause