Bernd Evers / Christof Thoenes: Architekturtheorie. Von der Renaissance bis zur Gegenwart. 89 Beiträge zu 117 Traktaten, Köln: Taschen Verlag 2003, 845 S., über 850 Abb., ISBN 978-3-8228-1697-4, EUR 29,99
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Das vorliegende Buch stellt einen umfangreichen Sammelband dar, in dem sowohl die gängigen als auch die weniger bekannten Traktate der Architekturtheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart vorgestellt werden. Die einzelnen Traktate werden nach Ländern sortiert - angefangen bei Italien über Frankreich, Spanien, England und Deutschland - und hier jeweils chronologisch aufgeführt. Nur die Schriften des 20. Jahrhunderts werden in einem gemeinsamen Kapitel zusammengefasst. In diesem finden sich schließlich auch einige wenige außereuropäische Beiträge von Kisho Kurukawa, Robert Venturi und Charles Jencks. Während in den "Länderkapiteln" zwischen den einzelnen Traktaten gewisse Querverbindungen und Abhängigkeiten aufgezeigt werden, scheint die Auswahl der Schriften des 20. Jahrhunderts eher willkürlich und stark eingegrenzt, so sind zum Beispiel die Theorien des Bauhauses und der De Stijl Gruppe komplett ausgespart. Auch handelt es sich bei einigen Schriften weniger um Architekturtheorien, sonder eher um Beiträge zur jeweiligen Architekturgeschichte. An den Taschen Verlag sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, auf Grund der mannigfaltigen Theorie- und Schriftenfülle dieses Jahrhunderts einen eigenständigen Band über das 20. Jahrhundert in ähnlicher Aufmachung heraus zu bringen. Gerade die geringe Zahl der letzten Veröffentlichungen zur Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts zeigen, das man hier eine eklatante Lücke schließen würde.[1]
Um es direkt vorwegzunehmen, dieser Band ist kein Konkurrenzwerk oder eine Neubearbeitung des bisher einzigen Standardwerks zur Architekturtheorie von Hanno-Walter Kruft [2], sondern es stellt eine sinnvolle Ergänzung zu diesem Werk dar. Damit ist nicht eine Herabsetzung oder ein Qualitätsurteil über dieses Buch gemeint, denn die Hauptintention der Autoren liegt, im Gegensatz zu der inhaltlichen Zusammenfassung der Traktate von Kruft, auf der Darstellung der grafischen Ausgestaltung der Traktate. Dieses wird auch durch die einleitenden Worten von Bernd Evers, dem Direktor der Berliner Kunstbibliothek, mit deren Zusammenarbeit dieser Band entstand, deutlich: "Angesichts der Fülle der verfügbaren architekturtheoretischen Quellen seit der Renaissance kann der vorliegende Band nur einen Überblick bieten, der aber die maßgeblichen architekturästhetischen Positionen einzelner Länder berücksichtigt. Die Texte der Architekturtraktate besitzen vielfach nur eine erläuternde, erklärende Funktion zu den Illustrationen. Insofern ist das Buch reich mit Abbildungen ausgestattet, die eine Art Bildatlas zur Architekturtheorie darstellen." (7)
Nach einer knappen zehnseitigen Einführung über die allgemeine Entwicklung der Architekturtheorie von Christof Thoenes werden in den einzelnen "Länderkapiteln" und dem abschließenden Kapitel über das 20. Jahrhundert insgesamt 117 Traktate vorgestellt; die erklärenden Texte stammen von unterschiedlichen Kunsthistorikern.
Ob eine Einteilung der Traktate nach Ländern - wie sie auch Hanno-Walter Kruft vornimmt - wirklich nahe liegend ist, bleibt zu hinterfragen, da viele Werke vor allem im 18. und 19. Jahrhundert eine internationale Verbreitung fanden. Vielleicht wäre eine thematische Zusammenstellung der Traktate sinnvoller gewesen.
Die Vorstellung der Traktate ist immer gleich aufgebaut. Auf zwei Seiten ist der Inhalt und die Geschichte des jeweiligen Traktats kompakt zusammengefasst. Meistens wird dieser Begleittext mit einer kurzen Biografie über den Architekten eingeleitet. Die anschließende inhaltliche Zusammenfassung des Traktates verzichtet durch den vorgegebenen Aufbau des Buches auf das Zitieren von Textpassagen - weder im Original noch in einer Übersetzung - und beschränkt sich auf eine klare kurze Zusammenfassung der Kernaussagen des Werkes. Zusätzlich bietet der Begleittext dem Leser des öfteren Hintergrundinformationen über die Intention des jeweiligen Traktates. So erfahren wir zum Beispiel über die Schriften von Claude Perrault: "Der gesamte Cours d'architecture von Francois Blondel (1675-1683) ist der Zurückweisung der Ausführungen Perraults gewidmet. Doch dieser gibt sich nicht geschlagen, denn in seinem eigenen, 1683 erschienenen Säulentraktat, der Ordonnance des cinq espées des colonnes selon la méthode des anciens, erweitert er seine Argumente nochmals und spart auch nicht mit Seitenhieben gegen den Nutzen der Vermessungscampagne, die Antoine Desgodets in dieser Zeit an römischen Bauten unternommen hatte." (250)
Die einzelnen Autoren gehen am Ende der zweiseitigen Begleittexte oft über eine bloße Zusammenfassung des Traktates hinaus und veranschaulichen knapp dessen Bedeutung für die jeweilige zeitgenössische Architektur und ihre Theorie. So schreibt zum Beispiel Alexander Grönert über das Traktat von Domenico De' Rossi (1659-1730): "Als Referenzwerk für den Unterricht an der Accademia di San Luca beeinflussten die Publikationen von De' Rossi viele ausländische Architekten, die in Rom studierten. Aber die Wirkung des Studio d´architettura civile reicht weit über das Ambiente der Akademie hinaus. Anhand der Stiche war es den Architekten in anderen Regionen Italiens und im Ausland nur möglich, die Architektur des römischen Barock kennen zu lernen, ohne sich selbst in die Stadt zu begeben. Darin liegt der große Verdienst dieser Publikation. Die Stichwerke aus dem Verlag Domenico De' Rossi haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ausgehend von der Architektursprache des römischen Barock, ein internationaler Barockstil entwickeln konnte [...]" (150).
Von den jeweiligen Traktaten werden exemplarisch sechs bis zehn Illustrationen abgebildet, die dem Leser den ästhetischen Charakter des Werkes veranschaulichen und die architekturtheoretischen Ansichten des Verfassers deutlich machen. Ein großes Lob geht an dieser Stelle an den Verlag, da jede Illustration in einer bestechend scharfen Druckqualität wiedergegeben wurde. Dies ist bei einem Preis von nur 30 Euro um so erstaunlicher.
Der abschließende Anhang des Buches bietet unter den alphabetisch sortierten Architektennamen zwei bis drei aktuelle weiterführende Literaturangaben zu dem jeweiligen Architekten an.
Dieses Buch ist sowohl dem interessierten Architekten als auch besonders jedem Kunsthistoriker empfohlen. Es bietet zum einen eine schnellen Einstieg in den architekturtheoretischen Inhalt der Traktate und stellt zum anderen eine umfangreiche Sammlung an Druckgrafiken aus insgesamt sechs Jahrhunderten dar, die nicht nur für den Architekturhistoriker interessant ist, sondern auch für jeden Kunsthistoriker, der sich mit dieser Kunstgattung beschäftigt. So kann man nur hoffen, dass das Anliegen des Buches, wie es Bernd Evers einleitend formuliert, nicht nur die Vielfalt der architekturästhetischen und -theoretischen Erörterungen vorzustellen, sondern auch weiterführende und vertiefende Forschungen im Bereich der Architektur anzuregen, bei einem großen Publikum ankommt.
Anmerkungen:
[1] Moravánszky, Akos: Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Eine kritische Anthologie, Wien / New York 2003. Bruyn, Gerd de und Stephan Trüby (Hrsg.): architektur_theorie.doc. Texte seit 1960, Basel / Boston / Berlin 2003.
[2] Kruft, Hanno-Walter: Geschichte der Architekturtheorie, 3. durchges. u. erg. Aufl., München 1991.
Thomas Werner