Rezension über:

Michele Battini: Peccati di memoria. La mancata Norimberga italiana, Bari / Roma: Editori Laterza 2003, 208 S., ISBN 978-88-420-6899-0, EUR 15,00
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Rezension von:
Hans Woller
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Hans Woller: Rezension von: Michele Battini: Peccati di memoria. La mancata Norimberga italiana, Bari / Roma: Editori Laterza 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 1 [15.01.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/01/4805.html


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Michele Battini: Peccati di memoria

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Leser, die sich beim Kauf von Büchern an deren Titeln orientieren, dürfen sich bei Michelle Battini auf eine Überraschung gefasst machen. Der Autor der Studie, die der Frage gewidmet sein soll, weshalb es in Italien nicht zu einer Art "Nürnberger Prozeß" gekommen ist, bietet einen längeren Exkurs über Vichy. Er konfrontiert die Leser außerdem mit vielen Seiten über die Schrecken der deutschen Besatzungsherrschaft in Italien - mit Seiten, deren analytische Einseitigkeit viel Stoff für Kritik böte. Und er macht sie schließlich mit seiner Deutung der Nürnberger Prozesse von 1945/46 bekannt, wobei auch hierzu manches zu sagen wäre; vor allem Battinis These, der Nürnberger Prozess habe ebenso viel verdeckt wie aufgedeckt und damit einer "einseitigen und selektiven historischen Rekonstruktion" der Mechanismen des Nationalsozialismus Vorschub geleistet, dürfte nicht ohne Widerspruch bleiben: Durchgängig werden hier der heutige Kenntnisstand und das heutige Niveau der historischen Reflexion als Messlatte an ein fast sechzig Jahre zurückliegendes Verfahren angelegt, das - trotz unbestreitbarer juristischer Schwächen - maßgeblich zur Aufklärung der deutschen und internationalen Öffentlichkeit über die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus beigetragen und Maßstäbe der juristischen Ahndung von Staatsverbrechen gesetzt hat, die noch heute gelten.

Zum eigentlichen Thema des Buches kommt der Autor auch - allerdings nur in einem kleinen Teil des Buches. Briten und Amerikaner, so Battini, wollten in Italien zwei Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher führen: einen kleineren gegen die Verantwortlichen des Massakers in den Fosse Ardeatine und einen großen gegen die deutschen Offiziere, die die Politik der Repression geplant und ins Werk gesetzt hatten, wobei der zweite Prozess zu einem "italienischen Nürnberg" werden sollte und durch umfangreiche Recherchen auch bereits gründlich vorbereitet worden war.

Woran scheiterte dieser Maxi-Prozess? Battini verweist hier zunächst auf die Briten, die nach den Erfahrungen mit "Nürnberg" juristische Bedenken hatten und sich schließlich nicht über den Willen der italienischen Regierung hinwegsetzen wollten, die Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher in eigener Regie zu führen. Er vergisst aber auch nicht darauf hinzuweisen, dass weder die italienische Regierung noch die italienische Militärjustiz wirklich an einer Ahndung deutscher Kriegsverbrechen interessiert waren. Man fürchtete in Rom einen "effetto boomerang", sprich: die internationale Forderung nach Untersuchung und Aburteilung der italienischen Kriegsverbrechen auf dem Balkan, wenn man allzu forsch auf einem Prozess gegen deutsche Täter bestand. Die Entscheidung, auf Zeit zu spielen und die schrecklichen Untaten ungesühnt in Vergessenheit geraten zu lassen, fiel bereits in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde später mit Rücksicht auf die guten Beziehungen mit Bonn nie mehr revidiert. Die Konsequenzen waren fatal: Nur wenige deutsche Soldaten wurden vor britischen und italienischen Gerichten für ihre Verbrechen in Italien zur Verantwortung gezogen, was natürlich auch Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis in Italien hatte. Das Ausmaß der deutschen Schreckensherrschaft in Italien blieb lange im Dunkeln und wird erst seit einigen Jahren genauer bestimmt, während man über italienische Kriegsverbrechen auf dem Balkan oder in Russland noch immer kaum etwas weiß.

Ganz unbekannt ist diese Deutung nicht. Vor Battini haben vor allem Filippo Focardi und Lutz Klinkhammer in wegweisenden Aufsätzen auf diese deplorablen Zusammenhänge hingewiesen und dabei ungleich mehr dokumentarisches Material präsentiert, als Battini dies tut.

Hans Woller