Corina Caduff: Die Literarisierung von Musik und bildender Kunst um 1800, München: Wilhelm Fink 2003, 344 S., 9 Abb., ISBN 978-3-7705-3763-1, EUR 42,90
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Corina Caduff sieht in der Digitalisierung, die die traditionellen Künste verändert, eine Infragestellung der bisherigen Präsentation von Musik und bildender Kunst. In der Literatur führt das zu einer vermehrten Auseinandersetzung mit diesen Themen, und damit reflexiv mit sich selbst, mit der Darstellbarkeit von Musik und Kunst. Diese Art der Krisenbewältigung nimmt sie zum Anlass, die Zeit um 1800, in der durch Öffentlichkeit ebenfalls neue mediale Ausdrucksformen entstanden sind, nach der literarischen Beschäftigung mit Musik und Kunst zu untersuchen. Die Zeit um 1800 steht für die beginnende Verbürgerlichung des Kulturbetriebs, in dem über Künste gesprochen wird. In ihrer Untersuchung betrachtet Caduff erstmalig beide Gattungen und zeigt die unterschiedlichen Herangehensweisen auf. Im Fokus steht die Literarisierung, die Ausprägung der an Kunstwerken gewonnenen literarischen Imagination.
Das Problem der Versprachlichung von Musik führt zusammen mit der Etablierung der Instrumentalmusik als Musik ohne Sprache um 1800 zum Topos des Unsagbaren. Gängiges Beschreibungsmuster für Instrumentalmusik ist die Suche nach einem beschreibbaren Charakter eines Werks. Dabei stehen Fachsprache und imaginierte Empfindungen nebeneinander. In der Beschreibung bildender Kunst findet sich ebenfalls der Unsagbarkeitstopos, da die bisherigen Beschreibungsmodi als nicht ausreichend empfunden werden. Caduff stellt Karl Philipp Moritz' Konzept der Spur des Schönen vor, sowie August Wilhelm Schlegels Dialog "Gemälde" in dem er drei verschiedene Zugänge zu Werken der bildenden Kunst diskutiert. Der Enthusiasmus beim Betrachten der Werke, der sich in beschreibender Prosa nicht ausdrücken lässt, entlädt sich in Gedichten. Auch die Musikbeschreibung kennt solche Gedichte. Sie stehen für den Übergang von Kritik zur Literatur. Vor allem in Rezensionen der neu etablierten Kunstgattungen Landschaftsmalerei und Instrumentalmusik finden sich Poetisierungen. Als Beispiele führt Caduff Diderot und E.T.A. Hoffmann an. Ein wesentliches Kennzeichen dieser Literarisierung ist die Imagination des Weiblichen, die Sehnsucht nach dem geliebten Wesen, was auf die späteren Künstlernovellen verweist.
Die Debatten um Analogie oder Differenz von Farbe und Ton zeigt Caduff anhand der Diskussion um das Farbenklavier von Louis Bertrand Castel auf. Die seit der Antike gepflegte Idee der Analogie von Farbe und Ton mündet am Ende des 18. Jahrhunderts in die Vorstellung einer klaren Differenz, die mit einer neuen Ästhetik des Gefühls zusammenhängt. Musik ist die Sprache des Herzens, die Unsichtbares und Empfindungen ausdrücken kann, im Gegensatz zur Malerei. Dass dennoch die Analogievorstellungen nicht gänzlich beiseite gewischt werden, zeigt Caduff anhand von Überlegungen zur "Tonmalerei" und zur Analogie von Empfindungen und Tonarten.
Den Übergang von Theorie zu Literatur beschreibt Caduff am Beispiel des Erhabenen. Sie stellt mehrere Theorien vor, die anhand von Naturbeschreibungen oder darstellender Kunst entwickelt wurden. Das Erhabene ist eine plötzlich eintretende, unwiderstehliche, erschreckende Macht und Gewalt, die in der Natur mittels Vernunft oder in der darstellenden Kunst durch Mitleiden bewältigt werden kann. Zu dem Zeitpunkt, wo das Erhabene durch eine Ästhetik des Mitleids seinen Schrecken verliert, kommt der Topos der Gewalt der Musik auf, die dem Erhabenen zu gleichen scheint. Die Literarisierung dieser Gewalt der Musik, also des Erhabenen, stellt Caduff in zwei Beispielen vor. Während in Kleists "Caecilie" Musik verheerende Auswirkungen auf die Psyche der Protagonisten hat, scheint Goethes "Novelle" das Konzept des Erhabenen eher zu negieren, in dem der Schrecken nur noch medial vermittelt wird. Das Beispiel der "Novelle" wirkt hier etwas unverständlich.
Im Weiteren beschäftigt sich Caduff mit der Frage, wie sich Bild und Musik literarisieren. Die Arbeit am realen Kunstwerk, die Werkbesprechung, geht über in eine am realen Werk oder an einer realen Künstlerpersönlichkeit orientierte Fiktionalisierung und mündet schließlich in die Vorstellung eines fiktiven Kunstwerks. Erläutert werden diese Übergänge durch Beispiele von Wilhelm Heinse, Wilhelm Heinrich Wackenroder und E.T.A. Hoffmann, die sich sowohl mit Musik als auch mit bildender Kunst beschäftigt haben. Wie Caduff darstellt, gelingt die Literarisierung den Autoren auf unterschiedliche Weise, am ehesten noch Hoffmann. Er entwickelt das "Serapiontische Prinzip", das für Musik und bildende Kunst gleichermaßen funktioniert: Erst wenn der Künstler das Darzustellende in seinem Innersten geschaut hat, kann er es erschaffen. Die Produktion von Kunst ist bei Hoffmann dabei immer an eine Frauenfigur als Muse geknüpft. Durch die Einführung der Muse kann Hoffmann den Unsagbarkeitstopos, der andere Autoren an der Literarisierung scheitern lässt, überwinden, da statt der Kunst die inspirierende Muse beschrieben wird.
Hoffmanns Musengestalt nimmt Caduff zum Anlass, sich im Weiteren mit der Literarisierung der Künste durch die Paarungen Maler - Modell und Komponist/Dirigent - Sängerin zu befassen. In dem mit Verve geschriebenen Kapitel stellt sie heraus, dass die ab 1800 in großer Konjunktur stehenden Künstlererzählungen einem einheitlichen Schema gehorchen, an dessen Ende fast immer der Tod der Protagonistin steht. Wird vor 1800 vor allem der Körper einer Sängerin in den Mittelpunkt dieser durchaus erotisch aufgeladenen Geschichten gestellt, ist es danach vor allem die Stimme, der hohe Ton, den die Sängerin durch sexuelle Hingabe verlieren kann. Ähnlich schließen sich auch in den Geschichten über Maler und Modelle Sexualität und Kunstschaffen aus. Caduff erläutert mit vielen Belegen ihr Vier-Stufenmodell der romantischen Künstlernovellen, das sie mit "Entzündung, Verkennung, Auszug, Todesfall" benennt. Der "Entzündung" der Fantasie des Künstlers an einer Frauenfigur, die sich zu einem künstlerischen Idealbild, zur Muse verfestigt, folgt die "Verkennung", wenn der Künstler der realen Frau wiederbegegnet und den Unterschied zwischen Ideal und Realität nicht wahrnimmt. Nach dem "Auszug" oder Rückzug des Künstlers um zu schaffen, folgt bei der Rückkehr und der Wiederbegegnung mit der realen Frau die Katastrophe. Heiratet der Künstler die Frau, so erlischt sein Schaffen. Um aber weiter schaffen zu können, muss die Frau ausgelöscht werden: Sie stirbt einen verrätselten Tod. An die Stelle der Frauenfigur tritt das fiktive Kunstwerk.
Die Literatur löst sich so von der Vorlage eines realen Kunstwerks. Im Wettkampf um die Hierarchie der Künste kann sie über bildende Kunst und Musik triumphieren. Gesteigert wird das noch durch die Pathologisierung des Künstlers. Versucht er ohne Musen-Vorbild zu schaffen, so scheitert er, seine Musik ist dissonant, seine Malerei formlos, am Ende stirbt auch er, wahnsinnig und verkannt. Die Literatur nimmt so im 19. Jahrhundert Kunstpraktiken des 20. Jahrhunderts voraus, besetzt sie aber mit Negativbeschreibungen. Wie im Überdruss entledigt sie sich der Maler und Musiker, nach ähnlichem Muster wie sich diese ihrer Musen entledigen.
An dieser Stelle flicht Caduff einen Blick auf Kunstpaarungen in der Gegenwartsliteratur ein, die sie unter dem Aspekt der Geschlechterdifferenz untersucht. Da die gesamte Studie ohne Vergleichsbeispiele der Gegenwart auskommt, wirkt dieser Einschub etwas überraschend und nicht unbedingt notwendig.
Ans Ende ihrer Betrachtungen stellt Caduff Heinrich Heine, der in seinen Feuilletons die zunehmende Kommerzialisierung des Kunstbetriebs kritisiert. Heine sieht in seiner Auseinandersetzung mit Kunst die "Signatur der Zeit", indem er die Werke mit einem aktuellen Bezug versieht. Wieder arbeitet Caduff die unterschiedlichen Verfahrensweisen des Kritikers Heine in Bezug auf Musik und Malerei heraus. Die Studie schließt mit einer Besprechung von Heines "Florentinischen Nächten" und ihren Unterschieden zur romantischen Künstlernovelle.
Die zum Verständnis der Werkbeschreibungen notwendigen, wenigen Abbildungen sind leider von unzureichender Qualität. Das freie Fließen der Autorin von alter zu neuer Rechtschreibung, verbunden mit manchen fast schon kuriosen Schreibfehlern ("Waisen aus dem Morgenland", 204), wäre ebenso wie die zu vielen Hervorhebungen in kursiver Satzweise nicht nötig gewesen.
Eine Studie, die sich teilweise spröde, teilweise spannend liest, und die eine große Bandbreite der literarischen Beschäftigung mit bildender Kunst und Musik aufzeigt. Die Unterschiede im Verhältnis der Künste zueinander aufzudecken, das ist Caduff durch ihre sich nicht auf eine Gattung beschränkende Untersuchung gelungen.
Julia Benthien