Rezension über:

Piero Fassino: per passione, Mailand: Rizzoli 2003, 427 S., ISBN 978-88-17-87241-6
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Rezension von:
Amedeo Osti Guerrazzi
Deutsches Historisches Institut, Rom
Empfohlene Zitierweise:
Amedeo Osti Guerrazzi: Rezension von: Piero Fassino: per passione, Mailand: Rizzoli 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/02/5165.html


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Piero Fassino: per passione

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Die "Democratici di Sinistra" (DS), also die Partei der demokratischen Linken, ist die legitime Erbin der Kommunistischen Partei Italiens (PCI), die bereits seit dem Tod ihres Sekretärs Palmiro Togliatti 1964 wiederholt mit schweren inneren Konflikten zu kämpfen hatte. Der Weg des PCI von einer marxistisch-leninistischen (und in den Fünfzigerjahren sogar stalinistischen) Partei zu einer modernen sozialdemokratischen Partei war allerdings lang, gewunden und beschwerlich, wobei insbesondere Ereignisse wie die Intervention des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei oder der Fall der Berliner Mauer erbitterte Flügelkämpfe ausgelöst haben. Dieser Weg führte Ende der Achtzigerjahre aber nicht nur zur Metamorphose des PCI zur DS, sondern auch zur Abspaltung des traditionalistischen Flügels der kommunistischen Partei, der sich unter der Führung von Fausto Bertinotti mit dem Namen "Rifondazione Comunista" als eigenständige Partei etabliert hat.

Als eine wesentliche Etappe auf dem Weg vom orthodoxen Kommunismus zur sozialen Demokratie gilt der Bruch mit Moskau, den Enrico Berlinguer, der charismatische Sekretär des PCI, 1975 vollzog, als er öffentlich bekannte, dass sich der von der Oktoberrevolution 1917 ausgelöste politische Grundimpuls erschöpft habe. Berlinguer versuchte, seine Partei sowohl aus der internationalen als auch aus der nationalen Isolierung herauszuführen. Seinen Bemühungen um ein Bündnis mit den kommunistischen Parteien westlich des Eisernen Vorhangs, die unter dem Schlagwort "Eurokommunismus" in die Geschichte eingegangen sind, war jedoch nur mäßiger Erfolg beschieden, und auch die Strategie der Öffnung zur Mitte, die Ende der Siebzigerjahre zum "historischen Kompromiss" mit der Democrazia Cristiana (DC) führte, scheiterte, als 1978 mit Aldo Moro der wichtigste Partner Berlinguers auf der Seite der Christdemokraten von den Roten Brigaden entführt und ermordet wurde.

Piero Fassino, dessen Autobiografie es hier zu besprechen gilt, gehört zu den Führungsfiguren der italienischen Linken, die ihre Karriere während der langen Amtszeit Berlinguers begonnen und - wie Walter Veltroni (in den neunziger Jahren stellvertretender Ministerpräsident unter Romano Prodi und derzeit Bürgermeister von Rom) oder Massimo D'Alema (ehemals Ministerpräsident und heute Präsident der DS) - noch selbst mit ihm gearbeitet haben. Fassino selbst, der fast alle Ämter in der Partei und dazu eine Reihe wichtiger Regierungsämter bekleidet hat, ist heute als politischer Sekretär der Democratici di Sinistra einer der wichtigsten Gegenspieler von Silvio Berlusconi und seiner Mitte-Rechts-Koalition.

Der Anspruch des Autors geht jedoch über den einer Autobiografie hinaus. Ihm kam es darauf an, ein "politisches Buch", ja ein "Buch über Politik" zu schreiben, um dem Leser anhand seiner eigenen Erfahrungen vor Augen zu führen, "aus welchem Holz die italienische Linke geschnitzt ist, was sie groß machen kann und was sie zu verlieren hat" (9). Brisante Enthüllungen oder delikate Interna sucht man indes vergebens; Fassino weiß, was er seiner Partei und seiner Rolle als Parteisekretär schuldig ist. So hat er ein nicht uninteressantes, aber alles andere als spektakuläres Buch über die Metamorphose des PCI und die eigene politische Biografie geschrieben, in dem er mit vielen - ja vielleicht zu vielen - Details von seiner Familie, seiner Jugend und seiner politischen Karriere berichtet. Von besonderer Bedeutung für seinen Werdegang war offensichtlich das Beispiel seines Vaters, eines Unternehmers aus Turin, der in der "Resistenza" gegen die deutsche Besatzungsherrschaft gekämpft hatte, nach Kriegsende in Vereinigungen ehemaliger Partisanen und in der Sozialistischen Partei aktiv gewesen war und der sich bemühte, seinem Sohn Piero neben antifaschistisch-demokratischen Überzeugungen auch die Liebe zur Arbeit und Sachlichkeit mitzugeben.

Fassinos politischer Werdegang begann mit 14 Jahren, als er in Turin einer politischen Jugendorganisation mit dem klangvollen Namen "Nuova Resistenza" beitrat. Man schrieb das Jahr 1963; es herrschte eine überaus konservative Democrazia Cristiana, deren Herrschaftsanspruch von einer jungen Generation infrage gestellt wurde, die sich jedoch auch mit den Positionen des PCI als wichtigster Oppositionspartei nicht zu identifizieren vermochte. Dennoch trat Fassino 1968 in die kommunistische Partei ein, die für ihn anders als andere Gruppierungen der extremen Linken Soliditiät und sachbezogene politische Arbeit zu verkörpern schien. Da er sich jedoch schon immer als Anhänger des Reformismus, ja als Sozialdemokrat verstanden habe, sei eine Mitgliedschaft im PCI für ihn erst in Frage gekommen, nachdem dieser die Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Truppen des Warschauer Paktes verurteilt hatte. Bereits 1971 wurde Fassino hauptamtlicher Funktionär des PCI in Turin und übernahm die Aufgabe, den Kontakt mit der Parteibasis zu pflegen. Zwei Jahre später stieg er zum Sekretär des Jugendbundes der italienischen Kommunisten auf. Diese Aufgabe war alles andere als dankbar, galten der PCI und seine Jugendorganisation doch bei vielen jungen Aktivisten der politischen Linken als vom internationalen Imperialismus korrumpierte bürgerliche Revisionisten.

Bereits 1975 kehrte Fassino nach Turin zurück, wo er Giuliano Ferrara kennen lernte (damals ein bekanntes Mitglied des PCI in Turin, heute einer der bedeutendsten Journalisten im Dienst Berlusconis), mit dem zusammen er bis 1983 die Betriebsorganisation der Partei leitete. Wieder hatte Fassino eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe zu erfüllen, zählte doch gerade Turin mit seinen großen Automobilfabriken zu den Hochburgen der Roten Brigaden. Es waren dramatische Jahre, in denen sich die reformorientierten Kräfte des PCI und der progressive Flügel der Democrazia Cristiana um jenen "historischen Kompromiss" bemühten, der eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten ermöglichen sollte, von der extremen Linken aber als Verrat an der Arbeiterklasse diffamiert wurde. Die Entführung und Ermordung von Aldo Moro setzte dieser Entwicklung ein jähes Ende. "Der Mord an Moro", so schreibt Fassino, "markiert einen irreversiblen Bruch in der Politik und Gesellschaft Italiens. Seit dem 9. Mai [1978] wird nichts mehr so sein wie vorher." Die durch den Terroranschlag ausgelöste "nationale Solidarität" werde die Politik des "historischen Kompromisses" noch für rund ein Jahr am Leben erhalten, bevor sie und die sie tragenden Politiker durch Schuldzuweisungen, gegenseitiges Misstrauen und ständige polemische Attacken jede Glaubwürdigkeit verloren haben werden (87). Dass der Terrorismus von Links schließlich besiegt werden konnte, war nicht zuletzt der kommunistischen Partei zu verdanken, deren Führung aller inneren Konflikte zum Trotz revolutionären Illusionen vom gewaltsamen Kampf eine Absage erteilte. Fassino gehörte zu denen, die diese, von den militanten Kräften an der Basis wütend bekämpfte, Politik in den Betrieben und den Sektionen vor Ort durchzusetzen verstanden.

Nach Berlinguers Tod führte Alessandro Natta eine Partei, der nicht nur eine charismatische Persönlichkeit fehlte, sondern auch die politische Perspektive. Erst Achille Occhetto, der Sekretär der "Wende", fand nach dem Fall der Berliner Mauer den Mut zu einer grundlegenden Reform des PCI, deren Ergebnis Fassino so zusammenfasst: Die Kommunistische Partei Italiens sei damals sicherlich zu einer "demokratischen" Partei geworden, die die grundlegenden Merkmale der politischen Systeme des Westens wie Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Marktwirtschaft anerkannt habe, aber sie habe sich noch nicht explizit zu einer "reformistischen" Partei gewandelt, die in gleicher Weise wie sozialdemokratische Parteien in anderen europäischen Ländern Regierungsverantwortung hätte übernehmen können (190). Es sind vielleicht die interessantesten Seiten des Buches, auf denen Fassino von der Seelenqual der Parteiführung und den Auseinandersetzungen mit den Suborganisationen der Partei berichtet, wo der Autor selbst wiederholt gezwungen war, die Gründe für die "Wende" zu erklären, und wo er als entschiedener Verfechter des neuen Kurses auch bezichtigt wurde, nichts anderes zu sein als ein gedungener Knecht des amerikanischen Imperialismus.

Die folgenden Kapitel, in denen Fassino seine Erfahrungen als "Außenminister" seiner Partei und als Außenhandelsminister Italiens bis zur Übernahme des Amts des Sekretärs der DS schildert, sind weniger spannend zu lesen. Das politische Leben Italiens in der Ära Berlusconi ist - so wie es hier dargestellt wird - von einer deprimierenden Armut und erschöpft sich allzu oft in Grabenkämpfen um die Person des Ministerpräsidenten.

Mehr Aufmerksamkeit verdient das politische Glaubensbekenntnis, das Fassino am Ende seines Buches ablegt: "Reformist zu sein bedeutet nicht, weniger unnachgiebig in der Opposition zu sein. Und mehr politischer Radikalismus ist nicht notwendigerweise die x-te Variante des Maximalismus. Wenn wir 'Reformismus' sagen, meinen wir etwas, das nicht weniger ist als eine Protestaktion, eine Demonstration, ein Streik, sondern mehr. Der Reformismus will Ungerechtigkeiten heilen, Gleichheit verwirklichen, Freiheit und Fortschritt behaupten. Der Reformismus ist nicht die 'rechte Seite der Linken': Sein Wesensmerkmal liegt nicht in der 'Zurückhaltung', sondern in der Verbindung von Idealen und sachlicher Politik. Reformist ist derjenige, der sich Veränderungsziele setzt, sich aber auch fragt, wie, mit wessen Zustimmung, in welchem Zeitraum, mit welchen Instrumenten und mit welchen Bündnispartnern diese zu erreichen sind. Reformist ist derjenige, der auch die moralische Empörung zu sammeln versteht, aber sie fest mit einem Projekt verbindet, das für Recht, Gleichheit und Kultur bürgt. Reformist ist derjenige, der weiß - wie uns Vittorio Foa erinnert -, daß das zählt, was etwas bewegt, aber vor allem 'wer' es bewegt, und deshalb schreckt er nicht vor den Schwierigkeiten der Regierungsverantwortung zurück. So ist der Maßstab des Reformismus nicht die Unnachgiebigkeit, sondern die Effizienz."

Amedeo Osti Guerrazzi