Rezension über:

Nathan Uglow: The Historian's Two Bodies. The reception of historical texts in France, 1701-1790, Aldershot: Ashgate 2001, 255 S., ISBN 978-0-7546-0223-1, GBP 47,50
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Rezension von:
Stefan W. Römmelt
München
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Stefan W. Römmelt: Rezension von: Nathan Uglow: The Historian's Two Bodies. The reception of historical texts in France, 1701-1790, Aldershot: Ashgate 2001, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/04/3543.html


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Nathan Uglow: The Historian's Two Bodies

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Der Titel der zu besprechenden Studie, einer überarbeiteten philosophiegeschichtlichen Dissertation, befremdet auf den ersten Blick. Dass der Autor auf Ernst Kantorowicz' "The king's two bodies" anspielt, erkennen Historikerinnen und Historiker ohne größere Probleme. Doch was hat man sich unter den zwei Körpern des Historikers vorzustellen? Vergleichbar dem mittelalterlichen König, dessen unsterblicher, immaterieller Leib den Staat verkörperte, während sein physischer Körper der menschlichen Hinfälligkeit und Vergänglichkeit unterworfen blieb, konstruiert Uglow zwei "Körper" des Historikers der Aufklärung. Den Anstoß hierzu gab offensichtlich die Historikerin Natalie Davis, die in einem Aufsatz mit dem Titel "History's Two Bodies" für eine Übertragung des Kantorowicz'schen Konzeptes auf die historische Forschung plädiert hatte (vergleiche 18). Der "homo scriptans" entspricht insofern dem "geistigen Körper", als sein Ideal in der exakten Erfassung der historischen Ereignisse besteht. Den Zwängen der Gesellschaft unterworfen, bildet der "homo scriptus" das Pendant zum realen Körper - Fehler und Unzulänglichkeiten ethischer und intellektueller Natur stehen hier einer "exakten" Geschichtsschreibung im Wege.

Die stark vom Poststrukturalismus beeinflusste Studie Nathan Uglows hat es sich zum Ziel gesetzt, die Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts am Beispiel von circa 400 Rezensionen historischer Literatur in zwei französischen Zeitschriften einer kritischen Analyse zu unterziehen. Dabei geht es ihm nicht um den Inhalt, sondern vielmehr um die erkenntnistheoretischen Grundlagen und eine Spurensuche des Wissens im Zeitalter der Aufklärung: "[...] what I do want to claim is that the journals are symptomatic of an increasing recourse to the language [...] of historical criticism and understanding" (14). Im Zentrum der Untersuchung steht der Diskurs der Geschichtsschreibung, während der Kontext der Historiografie nur am Rande thematisiert wird. Uglow greift hierfür auf Methoden zurück, die ursprünglich in der Literaturwissenschaft entwickelt wurden, und überträgt diese auf eine geistesgeschichtliche Fragestellung. Er begründet sein Vorgehen damit, dass gerade Rezensionen die Mechanismen der aufgeklärten Geschichtsschreibung thematisierten. Fraglich erscheint allerdings die Beschränkung auf zwei katholische, dezidiert "antiaufklärerische" Zeitschriften, das "Journal de Trévoux" und die "Année litteraire". Ein wesentliches Ergebnis seiner Arbeit fasst Uglow im Vorwort folgendermaßen zusammen: "The result of this revaluation of the eighteenth-century discourse of history is that religious thought (currently defined as conservative) made positive contributions to the impetus of Enlightenment thought, often despite itself" (XII). Das Wirken der angeblich strikt "anti-aufklärerischen" Pariser Jesuiten sollte vor diesem Hintergrund einer kritischen Revision unterzogen werden .

Uglows zentrale These lässt sich als paradox beschreiben: Einerseits sah die Geschichtsschreibung der Aufklärung ihre Aufgabe in der wahren Wiedergabe der Vergangenheit, was implizit die Forderung nach einer "Meistererzählung" beinhaltete, die Anspruch auf kanonische Geltung und somit die Deutungshoheit erhob. Andererseits waren sich die Historiker des 18. Jahrhunderts sehr wohl bewusst, dass Geschichtsschreibung stets nur eine Annäherung an die Vergangenheit bedeuten konnte - der menschliche Faktor schloss und schließt eine exakte Reproduktion der Vergangenheit aus. Aus dieser Perspektive erledigte sich die Forderung nach einer "authentischen" Geschichtsschreibung von selbst, da diese aus anthropologischen Gründen als unmöglich galt.

Das erste Kapitel der Studie bietet eine Übersicht über die Entwicklung der Ars historica in Antike und Neuzeit und führt in den Geschichts-Diskurs im Frankreich des 18. Jahrhunderts ein. Uglow betont in diesem Zusammenhang den Eigenwert der in Zeitschriften erschienenen Rezensionen: "[...] the act of reviewing was necessarily the act of producing original statements upon a variety of issues, even to the extent that the 'original' text may lose any claim upon the content of the review" (12). Im Zentrum steht die Sprache der historischen Kritik, deren Topoi und Argumente.

Mit der Definition der Geschichte im Zeitalter der Aufklärung, die als Geburtsakt beziehungsweise als Bühnenaufführung verstanden wurde, beschäftigt sich das zweite Kapitel. Uglow arbeitet hier den Zusammenhang von "homo scriptans" und "homo scriptus" heraus - einerseits nimmt Geschichte eine autonome Stellung ein, andererseits erweist sie sich als untrennbar mit dem Ich des Historikers verbunden: "Essentially, homo scriptus and homo scriptans cannot be separated [...]" (36). Das Prinzip der "emulation" spielt insofern eine wesentliche Rolle, als Uglow mit diesem Begriff die katalysatorische Wirkung historischer Berichte für das Handeln und andererseits den Wettbewerb der Historiker um Ruhm und Autorität beschreibt.

Die konkreten Probleme, mit denen sich die Historiker des 18. Jahrhunderts konfrontiert sahen, thematisiert das dritte Kapitel. Der historische Diskurs besitzt nach Uglow weniger Referenz-, sondern vielmehr Evokationscharakter: "[...] the historical discourse is less a matter of defining a referent, than a matter of evoking or gesturing to a past, where this process is one of a reception or a birth [...]" (85). Die Vermittlung historischer Inhalte sah sich zunehmend mit der Forderung nach einer Verknappung und Straffung der Erzählungen konfrontiert.

Im vierten und fünften Kapitel untersucht Uglow die Strategien der Historiker, die der Etablierung ihrer wissenschaftlichen Autorität dienten. Die "homo-scriptans"-Historiker entschieden sich für Erzählungen auf der Grundlage von Fakten, die nach den Grundsätzen der Vernunft beurteilt wurden und auf das Kausalitätsprinzip in Anlehnung an naturwissenschaftliche Untersuchungen zurückgriffen. Die Meistererzählung, die auf die Monarchie als zentrale Größe rekurrierte, verlor nach Uglow in dem Maße an Relevanz, in dem die Historiker ihre Objektivität unter Beweis stellen wollten sowie neue Erklärungsmuster wie Recht und Kultur entwickelten: "[...] the rethoric of impartiality as a favoured solution to the pessimism caused by the political model" (94). An die Stelle des Königs trat die Unparteilichkeit.

Im Gegensatz zum "homo-scriptans"- wurde das "homo-scriptus"-Modell in vielfältiger Weise gebraucht. So diente die Entlarvung der scheinbar "objektiven" Historiker als rhetorisches Argument in der Auseinandersetzung mit Konkurrenten, ohne die Dignität eines heuristischen Prinzips zu besitzen. Verallgemeinerte ein Historiker das Modell des "homo scriptus", konnte dies zum Verschwinden des Historikers hinter den Quellen führen. Nicht mehr die Analyse des Historikers - und somit dessen Vernunft -, sondern vielmehr die scheinbar leichter zu entziffernden Quellen sollten für sich sprechen: "[...] a certain theatricalization of sacrifice in which the messengers take the centre-stage only to make a display of leaving it [...] rather than staying to declare their masterful understanding" (196).

Die "Conclusion" fasst die Ergebnisse zusammen und betont das Bedürfnis der Historiker im Zeitalter der Aufklärung, angesichts fehlender letztgültiger "Wahrheiten" legitimierende Szenen zu entwerfen, die sich im Grenzbereich zwischen Geschichte und Fiktion bewegten. Die in der Forschung gängige These vom kontinuierlichen Aufstieg der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung seit der Aufklärung stellt der Autor ebenso infrage wie die Einbindung der Historiografie der Aufklärung in das geistige Leben des 18. Jahrhunderts. So bezweifelt er die Möglichkeit, zwischen den in den Journalen publizierten Aussagen und bestimmten gesellschaftlichen Gruppen Verbindungen herstellen zu können. Begriffe wie "Öffentlichkeit" gelangen nur insofern zum Einsatz, als sie im Zusammenhang mit dem "Diskurs" Relevanz besitzen. Dem Leser bleibt es überlassen, dem Vorbild Uglows zu folgen und in eine postmoderne, potenziell geschichtsferne Diskurs-Welt einzutauchen. Für das Verständnis unerlässlich: mehrmalige Lektüre.

Stefan W. Römmelt