Rezension über:

Mechthild Fend: Grenzen der Männlichkeit. Der Androgyn in der französischen Kunst und Kunsttheorie 1750-1830, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2003, 254 S., 87 Abb., ISBN 978-3-496-01286-3, EUR 49,00
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Rezension von:
Christoph Vogtherr
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Alexis Joachimides
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Vogtherr: Rezension von: Mechthild Fend: Grenzen der Männlichkeit. Der Androgyn in der französischen Kunst und Kunsttheorie 1750-1830, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/04/3638.html


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Mechthild Fend: Grenzen der Männlichkeit

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Mechthild Fend untersucht in ihrer Arbeit den Wandel des Männerbildes in der französischen Kunst zwischen 1750 und 1830. Ihr zentrales Interesse gilt dem "Androgyn", der effeminierten Jünglingsfigur, die in den Jahrzehnten um 1800 eine besondere Rolle spielt. Diese Tatsache ist schon wiederholt beobachtet, doch zumeist stilistisch gedeutet worden. Zu Recht nimmt Fend an, dass diese Deutung zu kurz greift, und versucht, die Entwicklung des Männerbildes als zentrales Phänomen des französischen Klassizismus zu untersuchen und zu deuten. Dabei verbindet sie in eklektischer und am Thema orientierter Weise verschiedenste Ansätze zwischen Queer Theory und Psychoanalyse. Fend selbst bezeichnet sich als feministische Kunsthistorikerin, ihre Methode schreibt diese Position aber im Sinne der Gender-Geschichte fort.

Diese Kombination unterschiedlicher Methoden führt zu überzeugenden Ergebnissen, am schwächsten scheinen die Passagen, die sich zu direkt einer psychoanalytischen Methode verschreiben, die immer in der Gefahr ahistorischer Gedankengänge steht. Hier gerät ihre Deutung gelegentlich in Konflikt mit der sonst von ihr konsequent betriebenen Historisierung des Konzeptes "Homosexualität".

Kernstück ihrer Arbeit, die zuerst 1997 als Dissertation an der Universität Frankfurt/Main eingereicht wurde, ist das Kapitel zu Anne-Louis Girodet-Triosons "Schlaf des Endymion" von 1792, der schon immer als zentrales Werk seiner Epoche gesehen wurde. Das Werk zeigt die stark verspätete Winckelmann-Rezeption in der französischen Kunst, die nach Fend erst in den 1780er-Jahren mit größerer Intensität einsetzt. Gleichzeitig steht das Bild für eine tiefe Verunsicherung in der Männerrolle. Durch das Fehlen Dianas ist der Blick auf den Akt geschlechtsoffen, der (Männer-)Körper wird in seinen Umrissen aufgelöst oder zumindest verunklärt. Vom "Endymion" ausgehend kann Fend nachweisen, wie Girodet Jacques Louis Davids eindeutiges Männerbild ironisierte und gerade in seinen Anakreon-Illustrationen immer wieder mit den Schattierungen zwischen den Geschlechtern und zwischen Homo- und Heterosexualität spielte. Dies ist umso bemerkenswerter, als der "Endymion" an denkbar offizieller Stelle in der französischen Akademie in Rom entstanden ist.

Die Grenzen des Körpers beanspruchen ein zentrales Interesse des Klassizismus, und hierin ist der Stil deutlich eine Spiegelung der gesellschaftlichen und historischen Situation. Testfall für die ebenfalls neu definierte Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern und gleichzeitig zwischen hetero- und homosexuellem Begehren war der Hermaphrodit, dessen Bedeutung in der medizinischen Literatur Fend zum Einstieg heranzieht. Auch wenn man Fends Ansatzpunkt nicht generell in Frage stellt, scheint sie diesen Punkt jedoch innerhalb der Diskussion der Zeit überzubewerten und den Begriff auf ungeeignete Objekte, wie den Apoll vom Belvedere, auszudehnen. Trotzdem bietet er einen effektiven Hebelpunkt für die weitere Untersuchung. Überzeugend ist ihr Insistieren auf dem generell ambivalent besetzten Charakter der männlich-begrenzenden, gleichzeitig aber weiblich-ondulierten Linie. Die Funktion der androgynen männlichen Gestalt ist dabei vielschichtig. Mal als Gebiet für Grenzziehungen genutzt (etwa als Warnung vor dem Eintauchen des Mannes in die weibliche Sphäre), wird er etwa von David in seinem "Bara" zur Utopie der Überwindung des Gegensatzes zwischen Geschlechtern und gesellschaftlichen Gruppen.

Die Arbeit belegt erneut, wie fruchtbar der Ansatz der Gender-Forschung für die Bildkünste sein kann. Er hat seine besondere Berechtigung für ältere Kunst, die aus einer Zeit stammt, in der wesentliche heutige Kategorien noch nicht ausgebildet waren oder grundsätzlich andere Funktionen übernahmen. Während feministische und schwule Kunstgeschichte ihre erstrangige Aufgabe in der Emanzipation und der Aufdeckung des Verdrängten und Unterdrückten sahen, kann sich die Gender-Kunstgeschichte ihren Gegenständen in größerer Freiheit von aktuellen politischen Debatten nähern, da sie Kategoriensysteme aufzudecken versucht, die in den behandelten Epochen gültig waren. Sie erzeugt daher bei ihren alten Klientelen in der Frauen- und Schwulenbewegung gelegentlich das Gefühl der Enttäuschung, bietet dafür aber grundlegend neue und wichtige Erkenntnisse für die Forschung. Es ist daher immer wieder verwunderlich, wie wenig der kunsthistorische Mainstream an deutschen Universitäten und Museen die Möglichkeiten dieser Methode nutzt, auch wenn die Tendenz sicher zunehmend ist. Fends Buch ist auch deshalb wichtig, weil es die Fruchtbarkeit des Ansatzes unmittelbar vor Augen führt und einen erfolgreichen Versuch unternimmt, Gender-Forschung und traditionellere Formen der Kunstgeschichte aneinander heranzuführen.

Jenseits dieser strategischen Überlegungen hat Fend hier jedoch eine offensichtliche Wahl getroffen, denn die von ihr untersuchte Epoche ist tatsächlich eine Umbruchszeit par excellence, in der gerade der Wandel der Geschlechterrolle zum Motor einer stilistischen und künstlerischen Entwicklung wird. Die Verbindung von mann-männlichem Begehren, dem Wandel des Männerbildes und der Entstehung des Klassizismus ist ein Thema, das in letzter Zeit verstärkt in den Blickpunkt der Forschung rückt, wie zum Beispiel in Alex Potts Untersuchung zu Winckelmann. Studien wie diejenige Fends können wesentlich zum Verständnis dieses Phänomens beitragen.

Fends Buch entstand in engem Austausch mit einer amerikanischen Arbeit zum selben Thema (Abigail Solomon-Godeau: "Male Trouble. A Crisis in Representation", London 1997). Der Vergleich beider Bücher ist aufschlussreich für die Unterschiede zwischen beiden Forschungstraditionen und bestätigt auch eine Reihe von Klischees, denn beide Autorinnen behandeln ganz überwiegend dasselbe Material. Solomon-Godeau hat wesentlich weniger Skrupel bei den theoretischen Ansprüchen ihrer Arbeit, bleibt dafür den Objekten ferner. Sie ist hierin ein gutes Beispiel für die Relevanz der jüngsten Mahnungen Thomas Crows, der noch einmal darauf hingewiesen hat, wie sehr die an der Textkritik geschulte neue Kunstgeschichte ihren ureigensten Objekten misstraut.

Fend versucht dagegen auf wohltuende Weise, die Ansätze der New Art History, hier insbesondere der Gender- und der feministischen Forschung, konsequent auf den Kunstwerken und den Quellen basieren zu lassen und hütet sich vor jedem Dogmatismus. Längere Passagen sind der formalen Analyse der Werke gewidmet, eine breite Quellenbasis wird genutzt. Ihr Buch wird dadurch teils trockener lesbar und in seiner methodischen Vorsicht auch weniger spektakulär bei den erzielten Ergebnissen. Trotzdem kann man annehmen, dass es die nächsten Mode-Zyklen des Faches sicher besser überstehen wird als sein amerikanisches Gegenstück. Doch wird Fend in noch weit stärkerem Maße Probleme haben, wahrgenommen zu werden, als es für die deutschsprachige Kunstgeschichte ohnehin schon üblich ist. Deutsche Literatur wird nur noch von einem verschwindend geringen Bruchteil ausländischer Kollegen rezipiert. In diesem Fall wird zumindest die angelsächsische Forschung ohnehin sofort zum Buch Solomon-Godeaus greifen. Das ist zu bedauern, denn Fends Arbeit ist ebenso gründlich wie anregend und nähert sich diesem vernachlässigten Kapitel der französischen Kunstgeschichte unter dem Blickwinkel der Gender-Forschung mit wichtigen neuen Ergebnissen.

Christoph Vogtherr