Ákos Barcsay: Herrschaftsantritt im Ungarn des 18. Jahrhunderts. Studien zum Verhältnis zwischen Krongewalt und Ständetum im Zeitalter des Absolutismus (= Studien zur neueren Geschichte; Bd. 2), St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2002, 292 S., ISBN 978-3-8959-0120-1, EUR 28,00
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Das Buch, es handelt sich um die gedruckte Fassung einer Dissertation, die Ende 2000 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angenommen wurde, greift am Beispiel des Königreichs Ungarn eines der "großen Themen" der europäischen Politik- und Verfassungsgeschichte auf, das Verhältnis zwischen Herrscher und Ständen. Die Erkenntnisinteressen liegen daher im Bereich der frühneuzeitlichen Herrschaftsordnung, der Staatsbildung und der Untertanenrechte. Konkret geht es dem Autor darum, "den herrschenden Dualismus zwischen den habsburgischen Königen und den ungarischen Ständen anhand eines ausgewählten Handlungsrahmens" (1) zu analysieren und auf diese Weise die "Integrationsfähigkeit des dualistischen Systems" (1) zu erhellen. Zudem möchte er "Schlüsselbegriffe der öffentlichen Kommunikation" (2) eruieren und Elemente des Verfassungslebens ausfindig machen, "die in sich den Keim für einen Ausgleich tragen" (2).
Die Verwendung des Begriffs "Dualismus" und die Annahme, die Stände und das monarchische Zentrum hätten "grundsätzlich verschiedene politische Konzeptionen" (1) vertreten, zeigen, dass der Autor - ohne dies zu reflektieren - in der aktuellen Ständeforschung eine sehr konventionelle Position einnimmt. In seinen Augen bewegte sich das Verhältnis zwischen Königtum und Ständen "stets zwischen den Extremformen eines reinen Ständestaates und der absoluten Monarchie" (1). Diese Gegenüberstellung von "Ständestaat" und "Absolutismus", eine Fortführung von Otto Gierkes Unterscheidung zwischen "Herrschaft" und "Genossenschaft", wird allerdings in der Ständeforschung zunehmend kritisch betrachtet, handelt es sich doch um Kategorien, die dem Staats- und Verfassungsdenken des 19. und 20. Jahrhunderts entstammen. Sie seien daher, so die Ansicht einer wachsenden Zahl von Historikern, für die Analyse des frühneuzeitlichen Verfassungslebens nicht geeignet. Auf diesen Punkt wird später noch zurückzukommen sein.
Mit dem 18. Jahrhundert steht ein Zeitraum im Mittelpunkt, in dem die Auseinandersetzungen zwischen den habsburgischen Herrschern und den Ständen deutlich weniger radikal waren als in der vorangegangenen Epoche mit dem Bocskay-Aufstand und den Kämpfen mit Gábor Bethlen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts sowie der Magnatenverschwörung um 1670. Die ungarische Historiografie, die der Autor aufgrund seiner Sprachkenntnisse, was besonders positiv zu vermerken ist, intensiv rezipieren konnte, prägte deshalb den Begriff des "Kompromisszeitalters". Die Debatten, die beim Antritt eines neuen Herrschers regelmäßig stattfanden, zeigen freilich, dass das Verhältnis zwischen König und Ständen keineswegs konfliktfrei war. Die Entscheidung des Autors, bei der Analyse hier den Hebel anzusetzen, ist sehr zu begrüßen, gewähren doch gerade solche Krisen einen besonders tiefen Einblick in die zeitgenössische Verfassungsperzeption. Zudem eröffnet sich so die Möglichkeit, durch eine vergleichende Analyse zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen.
Die drei untersuchten Regierungsantritte - 1711/12 (Karl VI./III.), 1740/41 (Maria Theresia), 1790 (Leopold II.) - werden im Hinblick auf sieben "leitende Problemgesichtspunkte" systematisch analysiert. Damit ist die klare Gliederung in sieben Hauptkapitel erklärt, die durch eine einleitende Darstellung der jeweiligen innen- und außenpolitischen Ausgangslage bei Regierungsantritt am Anfang sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende der Arbeit ergänzt werden. Ein Register fehlt.
In Kapitel I ("Die Sukzession", 35-82) werden die spezifischen Probleme der drei Herrschaftswechsel untersucht. Im Fokus stehen jeweils die politischen Ansichten der neuen Monarchen, ihre Beruhigungsstrategien und Versuche zur Machtstabilisierung. Kapitel II ("Die Erwartungshaltung gegenüber dem neuen Monarchen", 83-115) stellt den Grundeinstellungen des Hofes diejenigen der Untertanen gegenüber. Thematisiert werden die Erwartungen, die in Ungarn in den neuen König gesetzt wurden. Den Schwerpunkt von Kapitel III ("Der Wunsch nach 'Securitas' - Streit um Krönungsbrief und Krönungseid", 116-175) bilden die Diskussionen über das bei der Krönung zu unterzeichnende Inauguraldiplom. Es handelte sich dabei um eine Kernfrage aller Herrschaftsordnungen, die von ausgeprägter ständischer Partizipation gekennzeichnet waren, ging es doch um das Ausmaß der verfassungsmäßigen Limitierung der monarchischen Zentralgewalt. Während Kapitel IV ("Die Würde des Palatins - die Würde der Stände", 176-194) die Rolle des höchsten ständischen Amts in den Auseinandersetzungen thematisiert, erforscht Kapitel V ("Symbolik und Zeremoniell als 'Essentiale'", 195-217) die symbolische Konstruktion von Herrschaft im Zuge des Krönungsaktes. Die Einbeziehung dieses Aspekts in die Untersuchung ist besonders hervorzuheben, denn es handelt sich um einen Gesichtspunkt, dessen Bedeutung die Forschung lange Zeit unterschätzte, auf dessen konstitutive Funktion im frühneuzeitlichen Verfassungsleben jedoch in den letzten Jahren überzeugend hingewiesen wurde; erinnert sei beispielsweise an die Arbeiten von Barbara Stollberg-Rilinger, die der Autor nicht erwähnt (ebenso fehlen sie im Literaturverzeichnis). Sie wären für eine analytische Vertiefung allerdings sehr hilfreich gewesen. So bleibt die Darstellung über weite Strecken deskriptiv, obwohl gerade im Zeremoniell der ebenso umstrittene wie zentrale kontraktuelle Charakter von Herrschaft zum Ausdruck kam. Kapitel VI ("Die Landtage: Zielvorstellungen und Konfliktfelder", 218-253) behandelt das Spannungsverhältnis zwischen den königlichen Herrschaftsrechten und der ständischen Partizipation, das die Landtagshandlungen prägte. Der letzte Problemgesichtspunkt wird in Kapitel VII ("Besondere Faktoren der Loyalitätsstiftung während der Krönungslandtage", 254-266) behandelt. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Krönungsgeschenke gelegt, die der Herrscher von den Ständen als Treuebeweis erhielt.
Große Bedeutung besitzt die Schlussdiskussion (267-275) am Ende des Werks, in der die Einzelergebnisse zusammengefasst und mithilfe von Vergleichen weitere Erkenntnisse erzielt werden. Besonderes Gewicht besitzen dabei die Ausführungen über den Verfassungswandel, da sie den Kern der Fragestellung betreffen. Demnach seien die 1687 von Leopold I. unternommenen Eingriffe in die Herrschaftsordnung (unter anderem Festschreibung der erblichen Sukzession) in ihrer Tragweite zu relativieren, da sie "die Struktur des ständisch-königlichen Dualismus nicht wirklich grundlegend" (267) verändert hätten. Während die ungarische Adelsnation bemüht gewesen sei, der Krönung einen möglichst hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert einzuräumen, habe der Hof danach getrachtet, diese zu einem Formalakt zu degradieren - was ihm freilich nicht gelang, denn trotz Schwächung des Krönungsdiploms habe die Krönung ihre herrschaftslegitimierende Funktion behalten. Dabei habe sich der Adel als Überwacher der rechtmäßigen Herrschaftseinsetzung etabliert. Aus diesem Grund spricht der Autor von einer "auf halbem Weg steckengebliebenen Umwandlung Ungarns zur absoluten Erbmonarchie" (268).
Leider bleibt er bei dieser Feststellung stehen, ohne sie in die aktuelle Forschungsdiskussion über den Wert des Absolutismusparadigmas einzuordnen. Wenn das Absolutismusmodell offensichtlich nicht zutrifft, wozu dann überhaupt noch vom absolutistischen Staat sprechen? Hier hätte sich eine Bezugnahme auf die zahlreichen kritischen Arbeiten angeboten, die seit 1992 im Anschluss an Nicholas Henshalls provokante These, der Absolutismus sei eine Fiktion der Historiografie, die es nie gegeben habe, verfasst wurden (Ronald G. Asch, Heinz Duchhardt und andere). Sie fehlen freilich auch im Literaturverzeichnis. Ebenso wäre das interpretative Potenzial des Dualismus zu hinterfragen, auf den der Autor wiederholt Bezug nimmt. Ist es für das Verständnis frühneuzeitlicher Herrschaftsordnungen nicht zielführender, weniger von einer dichotomischen Gegenüberstellung monarchischer und ständischer Herrschaftsperzeption auszugehen, als vielmehr den Blick auf die dahinter liegenden Gemeinsamkeiten zu richten? Die Ergebnisse der Arbeit böten hier durchaus Anknüpfungspunkte, etwa bei den Schlüsselbegriffen der politischen Kommunikation wie "tranquilitas", "concordia" und "fiducia", die der Autor in den Debatten eruierte. Trotz kontroverser verfassungsrechtlicher Ansichten ermöglichten sie die Verständigung. Um hier die entscheidenden Fragen zu entwickeln, hätte man allerdings die Zeitgebundenheit der verwendeten Analysekategorien intensiver reflektieren müssen.
Diese kritischen Bemerkungen ändern aber nichts am Gesamturteil, dass dem Autor mit seiner Arbeit, die auf einem durchdachten und konsequent umgesetzten methodischen Konzept beruht, ein essenzieller Beitrag zur Ständeforschung gelungen ist. Seine Darstellung erleichtert die Einordnung des in dieser Hinsicht vernachlässigten Königreichs Ungarn in den europäischen Kontext.
Arno Strohmeyer