Peter Walter / Martin H. Jung (Hgg.): Theologen des 17. und 18. Jahrhunderts. Konfessionelles Zeitalter - Pietismus - Aufklärung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 273 S., ISBN 978-3-534-15763-1, EUR 29,90
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Angesichts der gegenwärtigen Flut theologisch-biografischer Lexika stellt sich die Frage nach dem besonderen Profil der Sammlung. Von den zwölf im vorliegenden Buch behandelten Persönlichkeiten sind nur drei (Perkins, Boussuet und Stattler) nicht in der einschlägigen Theologischen Realenzyklopädie mit einem eigenen Artikel vertreten. Das Konzept, typische Vertreter ihrer Epoche vorzustellen, ist meines Erachtens eine historiografische Engführung, die nicht wirklich weiterhilft. Die theologiegeschichtliche Einleitung (9-34) wartet nicht mit überraschenden Erkenntnissen oder Einsichten auf.
Zu Beginn wird Robert Bellarmin (35-53) mit seinem Opus Magnum, den "Kontroversen" (Disputationes de Controversiis christianae, 1586-1593) vorgestellt (Thomas Dietrich). Fundiert und informativ werden einzelne für Bellarmin wichtige Erkenntnisse präsentiert: das kirchliche Lehramt als Urteilsinstanz angesichts der Interpretationsvielfalt der Bibel; die Kirche als 'societas perfecta' und Inhaberin einer 'potestas indirecta'; die Theorie einer alle kirchlichen Bereiche beherrschenden päpstlichen Monarchie; Glaubensbekenntnis, Sakramentsempfang und kirchlicher Gehorsam als Kriterien voller Kirchenmitgliedschaft (vergleiche Codex Iuris Canonici 1983); das christologische Verständnis der Kirche als Leib Christi, eine Christologie, die die menschliche Natur Christi nur als Werkzeug der Erlösung versteht.
Johann Gerhard (54-69) ist für Johann Anselm Steiger diesmal nur "ein", nicht "der" Kirchenvater der lutherischen Orthodoxie. Man wüsste gerne, was das ist und welchen eigenständigen Beitrag Gerhard zur Theologie des 17. Jahrhunderts geleistet hat. Steiger jedenfalls lässt wieder - in engagierter Weise - den Dogmatiker hinter dem Erbauungsschriftsteller und Seelsorger verschwinden. Die von Anfechtung (Krankheit und Tod) bedrohte eigene Existenz kann (muss?) zum Anlass und Prüfstein evangelischer Lehre (Dogmatik) werden. Das hier ebenfalls angesprochene Verhältnis Gerhards zum Judentum verdiente eine umfassende monografische Aufarbeitung.
Von Cornelius Jansenius (70-87) wird hauptsächlich der (unproblematische) Lebensweg nachgezeichnet, dann ein Überblick über das recht späte Werk gegeben, ehe der "Augustinus" (1640) besprochen wird (Leonhard Hell). Inhaltlich geht es hier um einen Dauerbrenner der Theologiegeschichte, auch gerade des 16. und 17. Jahrhunderts, nämlich um das Verhältnis von Gnade (respektive Vorherbestimmung) und menschlicher Freiheit. Ob die Lösung befriedigt, die Jansenius anbietet, kann mit Recht bezweifelt werden. Letztlich unterscheidet sie zwischen einer anthropologischen und einer theologischen Betrachtung ('sensus divisus' und 'sensus compositus') und kommt damit zum Nebeneinander von freiem und "befreiten" (bestimmten) Willen. Wegen seiner damit verbundenen Absage an den Semipelagianismus (Zusammenwirken von menschlicher Verantwortung und göttlicher Gnade) der römischen Kirche geriet Jansenius mit dieser in Konflikt. Seine Ideen wirkten im Jansenismus noch bis weit in die Aufklärung hinein.
Mit William Perkins (88-105), Theologe in Cambridge, gerät ein Theologe ins Blickfeld, der das viel diskutierte Verhältnis von Puritanismus und Pietismus in seiner Person verkörpert (Martin Sallmann). Ausgehend von der strengen calvinistischen Prädestinationslehre interessiert sich Perkins vor allem für die Heilsgewissheit, das heißt für die Möglichkeit einer Wahrnehmung des eigenen Gnadenstandes, den er (nach Röm. 8, 28-30) als einen Prozess der Vereinigung mit Christus beschreibt (im englischen Puritanismus dann bekannt als "golden chaine"). Der Gläubige kann in diesen Ständen die Wirkungen der Begnadigung und folgerichtig der Erwählung erfahren. Damit ist der Ramist Perkins einer der Begründer der puritanischen Gewissenserforschung. Seine Werke zeigen Perkins als einen an der rechten christlichen Lebensführung und Sterbekunst orientierten Prediger und Theologen. Die früher vorgenommene Einschätzung Perkins als Vater des Pietismus ist sicher phänomenologisch zu eng und historisch zu weit. Perkins ist eher der Vertreter der calvinistischen Orthodoxie, der es von ihrem Ansatz her eigentümlich ist, die "praxis pietatis" als notwendige Ergänzung zur Lehre zu betonen.
Ohne neue Gesichtspunkte präsentieren die folgenden Artikel von Martin Friedrich und Martin H. Jung die in den letzten Jahren in vielen kleinen Aufsätzen oder Artikeln dargestellten Philipp Jakob Spener (106-122) und Johanna Eleonora Petersen (123-143). Die Charakterisierung des Werkes der Petersen als "weibliche Laientheologie" erweckt Erwartungen, die nicht eingelöst werden.
Mit Jacques-Bénigne Bossuet (144-165) wird ein konservativer katholischer Kleriker und historischer Schriftsteller vorgestellt (Peter Walter), der sowohl im Blick auf die Geschichtsbetrachtung [1] wie dogmatisch, kontroverstheologisch, bibelwissenschaftlich (gegen Richard Simon) und staatstheoretisch eine gallikanisch-konservative Position einnahm, dabei die Kirche als ernste ethische Mahnerin (zum Beispiel Ablehnung des Kömodienspiels) versteht. Bossuet ist der schärfste Gegner des von seinem Schüler Fénelon unterstützten französischen Quietismus.
Der neapolitanische Jurist Alfonso Maria de Liguori (166-180) wurde nach seiner Bekehrung, die zumindest in zeitlichem Zusammenhang mit einem großen verlorenen Prozess stand (1723), 1726 Priester der römischen Kirche und Ordensgründer der Redemptoristen (Otto Weiß). Besonderes Interesse verdient seine Moraltheologie eines "Äquiprobabilismus", der in der priesterlichen Entscheidung über die Sündhaftigkeit menschlichen Tuns weder das kanonische Gesetz extensiv auslegte, noch der menschlichen Entscheidungsfreiheit Raum schaffte, sondern der Vernunft der Gewissensentscheidung traute und diese von der Barmherzigkeit Gottes umfangen wusste. Dieser Ansatz führt zu einer ganzen Reihe von neuen Akzentsetzungen innerhalb der moralischen Kasuisitik, etwa in der Ehemoral ("verantwortete Elternschaft").
Benedikt Stattler (181-203) war Jesuit, Philosophieprofessor und (nach Auflösung seines Ordens, 1773) Landpfarrer im Fränkischen, zuletzt Geistlicher Rat und bayerischer Zensurrat (Karlheinz Ruhstorfer). Er ist bekannt geworden durch seine literarische und zensurpolitische Bekämpfung der Philosophie Kants. Dabei geriet er selbst vor dem Hintergrund eines restaurativen Katholizismus in das Blickfeld der Zensur. Die Darstellung von Stattlers Denken gerät zu einem fachspezifischen Diskurs, wobei die allgemeine historische Bedeutung nicht recht in den Blick fällt.
Leben und Werk Carl Friedrich Bahrdts (204-225) werden zugespitzt auf die Darstellung der Inhalte seiner Theologie und seines Religionsverständnisses (Thomas K. Kuhn). Bahrdts Entwicklung vom christozentrischen 'Orthodoxen' pietistischer Prägung (1756-1768) über den umstrittenen 'vernünftigen' und irenischen Dogmatiker (1768-1771) zum radikalen, dogmenkritischen Aufklärer (1771-1775) und Theoretiker einer vollständig an diesseitigen Lebenszielen orientierten Pädagogik (1775-1776), der wegen seiner rationalistischen, erheblich in den Text eingreifenden Bibelübersetzung aus dem Reich verbannt wurde, erklärt sich auch in diesem Beitrag nur aus der je und je verletzten Eitelkeit und dem Provokationsbedürfnis Bahrdts. Im preußischen Halle (1779-1792) konnte Bahrdt weitgehend ungehindert seine "natürliche Religion" vertreten und seine auf "Popularität" zielenden Schriften verbreiten. Das nüchterne Referat von Bahrdts Schriften offenbart seine erschreckende Instrumentalisierung von Religion zur bürgerlichen Daseinsbewältigung.
Der Artikel über Johann Joachim Spalding (226-243) will eine theologische Biografie bieten, indem er Spaldings Denken nach den biografischen Zäsuren gliedert (Albrecht Beutel). Sie beginnt mit den Anfängen in Pommern und der in der "Bestimmung des Menschen" formulierten "Basisidee der deutschen Aufklärung", verfolgt dann die religionspraktische Arbeit des Berliner Propstes mit seiner in der "Nutzbarkeit des Predigtamtes" dargelegten Theorie, die aus dem Verkündiger den religiösen Seelenführer macht, und führt wieder zurück zur Religionsschrift als dem "Vermächtnis einer Epoche".
Der letzte Beitrag gilt mit Johann Michael Sailer (244-261) einem katholischen Pastoraltheologen und Bischof, der mit seiner 81-jährigen Lebenszeit weit in das 19. Jahrhundert hineinreicht (Bertram Meier). Sailer erscheint in erfrischender Eigenständigkeit als 'immer noch' offenbarungsgläubiger, dazu volksnaher und reflektierter Pastoraltheologe, dazu auch "Ökumeniker". Sailer ist wohl weniger mit dem Vorwort (7) neben Spalding, als in die Geschichte der (katholischen) Erweckung zu stellen.
Anmerkung:
[1] Karl Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1953 (zuerst englisch Chicago 1949).
Markus Matthias