Werner Lengger: Leben und Sterben in Schwaben. Studien zur Bevölkerungsentwicklung und Migration zwischen Lech und Iller, Ries und Alpen im 17. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft. Reihe 9: Historische Migrationsforschung in Bayerisch-Schwaben; 2), Augsburg: Wißner 2002, 2 Bde, 692 S., ISBN 978-3-89639-348-7, EUR 49,00
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Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Dissertation, die 1996 von der Universität Augsburg angenommen wurde. Sie versteht sich vorrangig als Beitrag zur Geschichte Bayerisch-Schwabens, die als historisch-demografische Studie allerdings über diesen Raum hinaus weisen soll. Im Mittelpunkt steht die Bevölkerungsentwicklung in Schwaben während des gesamten 17. Jahrhunderts, wobei den Bevölkerungsverlusten infolge des Dreißigjährigen Krieges besondere Bedeutung zukommt.
Nach einer Vorstellung des Untersuchungsraumes und des bevölkerungsgeschichtlichen Forschungsstandes werden in einem ausführlichen Kapitel Quellen und Methoden dargestellt. Grundlage der Arbeit bilden militärische, politische, fiskalische und insbesondere kirchliche Zählungen. Letztere liefern dabei mit den Kirchenbüchern beider Konfessionen mit ihren Tauf-, Heirats- und Sterberegistern, Kommunikantenzählungen und so genannten Seelenbeschrieben die umfassendsten und dichtesten Informationen zur Bevölkerungsentwicklung. Allerdings verzichtet der Autor explizit auf eine aufwändige Familienkonstitution und beschränkt sich auf die aggregative Methode, das heißt auf die nicht nominative Auszählung der vitalstatistischen Eintragungen in den Kirchenbüchern. Damit geht die Untersuchung weniger in die Tiefe - viele wichtige demografische Kennziffern, wie etwa Heiratsalter, Geburtenabstände und Lebenserwartung, werden nicht ermittelt - als in die Breite, in dem Sinn, dass ein relativ großer Raum abgedeckt wird. Der Autor versucht im Grunde einen bevölkerungsgeschichtlichen Überblick Bayerisch-Schwabens im Sinne einer Amtlichen Statistik der späteren Jahrhunderte bereits für die proto-statistische Zeit zu konstruieren.
Auftakt des empirischen Teils der Arbeit bildet die Entwicklung der Bevölkerung in Schwaben und Westbayern, wie sie sich auf der Grundlage der Kommunikantenzählungen im Bistum Augsburg darstellt. Ein zentrales Fazit des Autors lautet, dass die Bevölkerungsverluste bei allen lokalen Unterschieden dramatische Ausmaße annahmen und im Durchschnitt im Untersuchungsraum auf etwa 40% anzusetzen sind. Dabei ist die überwiegende Zahl der Todesfälle nicht auf direkte Kriegseinwirkungen zurückzuführen, sondern auf grassierende Seuchen, insbesondere die Pest. Insgesamt handele es sich um ein verlorenes Jahrhundert, an dessen Ende die Bevölkerungszahl nicht über ihre Größe zu Beginn hinausgewachsen war, und sich die Perspektiven aufgrund schwieriger ökonomischer Rahmenbedingungen insbesondere für die Reichsstädte sogar verschlechtert hatten.
Zur weiteren Vertiefung widmet sich Kapitel 4 der Migration. Obwohl der Anteil der Zuwanderer an der Gesamtbevölkerung im Wesentlichen eher bescheiden blieb, spielte er angesichts des hohen Anteils Auswärtiger unter den Brautleuten jedoch wohl eine größere Rolle, wenn es um den Ausgleich der Bevölkerungsverluste infolge des Dreißigjährigen Krieges ging. Im folgenden Kapitel erfolgt die aggregative Auswertung der Kirchenbücher ausgewählter schwäbischer Pfarreien. Streng schematisch werden dabei acht ausgewählte Pfarreien schwäbischer Städte, Märkte und Dörfer (Dillingen, Füssen, Mindelheim, Immenstadt, Kirchhaslach, Ziemetshausen, Oberstdorf, Burtenbach) ausgewertet. Während die ländlichen Gebiete an der Wende zum 18. Jahrhundert ihre Vorkriegs-Bevölkerung wieder erreicht hatten, gilt dies nicht für die Städte. Fehlende Information zur Migration und ein Verzicht auf die namentliche Auswertung der Kirchenbücher verwehren allerdings ein klares Bild über die Ursachen dieser unterschiedlichen Entwicklungen.
Akribische Recherche und Diskussion des Forschungsstandes sowie des methodischen Ansatzes gehen Hand in Hand mit einer eingehenden Darlegung und Analyse der empirischen Ergebnisse. Dies macht die Studie nicht immer einfach zu lesen. Gleichwohl sei die Lektüre dem einschlägig Interessierten zu empfehlen, denn insgesamt leistet der Autor mit seinem "Opus Magnum" einen profunden Überblick über die Bevölkerungsentwicklung einer ganzen Region. Es könnte sicherlich den vom Autor gewünschten Ausgangspunkt für künftige Vergleichsstudien bilden, vielmehr aber noch bietet es sich als Referenz für mikrohistorische Untersuchungen auf der Basis von Familienrekonstitutionen an.
Jörg Vögele