Claudia Däubler-Hauschke: Geburt und Memoria. Zum italienischen Bildtyp der deschi da parto (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 102), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, 388 S., 8 Farbtafeln, 174 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06385-3, EUR 68,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Ulrich Pfisterer: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin: Akademie Verlag 2008
Isabel von Bredow-Klaus: Heilsrahmen. Spirituelle Wallfahrt und Augentrug in der flämischen Buchmalerei des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, München: Utz Verlag 2005
Patricia Oster / Janett Reinstädler (Hgg.): Traumwelten. Interferenzen zwischen Text, Bild, Musik, Film und Wissenschaft, München: Wilhelm Fink 2017
Die Zeit zwischen ausgehendem Mittelalter und beginnender Neuzeit kennt zahlreiche Spielarten des "Tafelbilds vor dem Tafelbild". Eine von ihnen ist diejenige Bildgattung, zu der Claudia Däubler-Hauschke nun die erste deutschsprachige Monografie vorgelegt hat: der desco da parto Florentiner Provenienz, der vom späten 14. bis ins fortgeschrittene 16. Jahrhundert in zahlreichen Haushalten der Stadt Verwendung fand. Es handelt sich dabei um runde oder polygonale Holztafeln, die vorder- wie rückseitig mit Gemälden versehen sein konnten. Das Anliegen von Däubler-Hauschkes Arbeit ist es, dieses Bildmedium funktionsgeschichtlich einzugrenzen und die Beziehung zwischen der Verwendung der deschi und ihrer Ikonographie zu klären. Neben einem sorgfältig dokumentierten Korpus der erhaltenen Exemplare kann sich die Autorin dabei auf umfangreiches Archivmaterial stützen, das ein neues Schlaglicht auf die Praktiken der Verwahrung und Vererbung der Geburtstafeln wirft.
Kurioserweise sind es zwei Autoren von Künstlerviten, die am ausführlichsten über den intendierten Gebrauch der deschi da parto Auskunft geben: Giorgio Vasari und Filippo Baldinucci beschreiben sie als bemalte Rundtafeln, auf denen den Wöchnerinnen das Essen serviert worden sei ("un di que'tondi nei quali si porta da mangiare alle donne di parto"). Wohl nicht zufällig werden diese Erläuterungen aus einer retrospektiven Warte geschrieben, zu einer Zeit, als die Produktion der deschi bereits zum Erliegen gekommen war. Die Archivalien aus der Entstehungszeit hingegen, die Däubler-Hauschke ausgewertet hat, bleiben in ihren Angaben extrem knapp: So erwähnen zwar viele Inventarlisten Florentiner Haushalte einen "desco" beziehungsweise "tondo da (donna di) parto" als Bestandteil des Mobiliars - bisweilen mit Zusätzen wie "dipinto", "usato" oder "rotto" - doch ist damit noch wenig über die konkrete Situation gesagt, bei der diese Gegenstände zum Einsatz gelangten. Däubler-Hauschke vermutet den primären Handlungsrahmen im Gratulationszeremoniell nach der Taufe des Kindes, bei dem die Paten der Wöchnerin ihre Aufwartung machten und sie reich beschenkten. Der desco habe bei diesem Anlass als Tablett für die Speisen gedient, die man der Mutter darreichte.
Die von Däubler-Hauschke vorgeschlagene Zuordnung der Geburtstafeln zum Gratulationszeremoniell ist sehr plausibel. Schwierigkeiten machen hingegen die Details ihrer Rekonstruktion. Zeitgenössische Darstellungen von Wochenbettszenen, etwa Ghirlandaios Geburt des Täufers im Chor von Santa Maria Novella, zeigen zwar eine entsprechende Verwendung von Rundtabletts, doch werden diese unbeachtet von den Gästen im Hintergrund herangetragen und bleiben konsequenterweise unbemalt. Ist es überhaupt denkbar, dass die bemalten deschi in gleicher Weise als Servierhilfe dienen sollten, was ihre Bilder nicht nur zu einer weit reichenden Unsichtbarkeit verurteilt, sondern auch einer nicht unerheblichen Abnutzung ausgesetzt hätte? Der Klärung dieser Frage kommt herausragende Bedeutung zu, wenn man nach Gründen dafür sucht, weshalb die deschi überhaupt vom Speisen- zum Bildträger werden konnten.
Viele der in den Quellen erwähnten deschi darf man sich als reine Gebrauchsgegenstände vorstellen, die undekoriert waren. Wie die Haushaltsinventare belegen, war die bemalte Version jedoch keineswegs nur wohlhabenden Bürgern vorbehalten. Potenzielle Kunden hatten die Wahl zwischen schlichten, auf Vorrat gefertigten Tafeln, auf deren Rückseite nur noch das Wappen des Käufers eingetragen werden musste, und feinmalerischen Auftragsarbeiten, deren Bildprogramm genau auf die Wünsche des Bestellers abgestimmt war. Über den symbolischen Wert der deschi geben dann weniger die gezahlten Preise als die Kontexte der Aufbewahrung Aufschluss. Dank einer sehr genauen Lektüre der Inventareinträge kann Däubler-Hauschke zeigen, dass die deschi ein besonders gewichtiges Ausstattungsstück der Florentiner camera waren: Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zählten sie zusammen mit der Madonnentafel und den bemalten Hochzeitstruhen zu den wenigen Bildern in diesem zentralen Wohn- und Repräsentationsraum. Die in der älteren Literatur zu findende Vorstellung, der desco sei außerhalb der Wochenbettsituation an den Wänden der camera ausgestellt gewesen, ist nun zu revidieren: Nicht selten wurden die Geburtstafeln in einer Truhe verwahrt, in anderen Fällen lagen oder standen sie auf einer solchen. Für den rezeptionsästhetischen Status der deschi hat dieser Befund wichtige Konsequenzen, die von Däubler-Hauschke aber nicht weiter erörtert werden.
Das Rund der deschi konnte mit höchst verschiedenartigen Themen gefüllt werden. Wenn die Überlieferungslage nicht täuscht, sind die Geburtstafeln von Beginn an ein dezidiert profanes Medium, das ganz auf mythologische und allegorische Szenen zum Thema Liebe zugeschnitten ist: die Bestrafung Aktäons, das Parisurteil, Liebesgärten. Erstaunlich spät, um die Mitte des 15. Jahrhunderts, halten religiöse Themen Einzug, und dies in einer Auswahl, die eine nachträgliche sakrale Aufladung des Mediums ausschließen dürfte: Der Besuch der Königin von Saba bei Salomo mutiert auf den deschi zu einer Hochzeitsallegorie, der Freispruch Susannas durch den Propheten Daniel zu einem Triumph des Liebesgottes Amor. Symptomatisch für diese Tendenz ist eine Gruppe von Darstellungen, welche die Situation des Wochenbetts mit verschiedenen Besuchern, die der Wöchnerin ihre Aufwartung machen, zum Thema haben. Die Schilderung des häuslichen Interieurs ist ersichtlich den Bildformularen der Geburt Mariens beziehungsweise Johannis verpflichtet, benutzt diese jedoch lediglich als Hohlform für ein anonymes und rein weltliches Geschehen, mit dem der desco seine eigene Funktion kommentiert.
Im Anschluss an die allgemeine Gattungstypologie ist der zweite Teil der Untersuchung einem besonders prominenten Objekt gewidmet: dem New Yorker desco, der mit großer Wahrscheinlichkeit von Piero "Il Gottoso" de' Medici anlässlich der Geburt seines ersten Sohnes Lorenzo in Auftrag gegeben wurde. Dank einer außergewöhnlich guten Dokumentenlage lässt sich in diesem Fall die Tradierung der Geburtstafel von der camera des Vaters zu derjenigen des Sohnes rekonstruieren. Den Grund für die hohe Wertschätzung, die sich in dieser Kontinuität manifestiert, sieht Däubler-Hauschke in der inhaltlichen Botschaft der Vorderseite: Der dort gemalte Trionfo della Fama sollte den künftigen Ruhm des kleinen Lorenzo verkünden. Trionfi im Anschluss an Petrarca waren, wie die Autorin ausführlich darlegt, eines der Modethemen Florentiner deschi (und anderer Bildgattungen) zwischen 1450 und 1470. Im Gegensatz zu dem schematisierten Formular, dem die meisten zeitgenössischen trionfi unterlagen, handelt es sich bei der Medici-Tafel aber um eine genau auf den Besteller zugeschnittene Ikonographie voller nicht leicht zu entschlüsselnder Anspielungen. Wie die Autorin überzeugend darlegen kann, findet im Zentrum der Komposition eine Überblendung der Fama mit der Victoria Augustea statt, was die Ruhmesthematik mit hochfliegenden machtpolitischen Ansprüchen unterfüttert.
In der Botschaft der Medici-Tafel kommt Däubler-Hauschke zufolge dasjenige Motiv zum Vorschein, welches generell den Anreiz zur Herstellung der deschi bot: Die Beschwörung des Familienruhms sollte der Stiftung von Memoria dienen, einem materialisiertem Familiengedächtnis, das von Generation zu Generation weitervererbt werden konnte. Den Gedanken der genealogischen Kontinuität sieht Däubler-Hauschke als den eigentlichen Sinnrahmen der deschi. Im Hinblick auf die vielfältigen Themenkreise scheint diese These indes nur bedingt verallgemeinerbar. Die zahlreichen Tafeln mit Liebes- und Gerechtigkeitsszenen beispielsweise dürften eher auf die Festschreibung normativer Wertvorstellungen innerhalb der Familie abzielen. Dazu kommt, dass die deschi sich je nach Thema an unterschiedliche Adressaten zu richten scheinen - einmal eher an das Elternpaar selbst, einmal eher an den ältesten Sohn und die übrigen Kinder.
Den größten Teil des Buches nimmt ein Katalog der erhaltenen deschi da parto ein. Er wird die Monografie auch in Zukunft zu einem wichtigen Nachschlagewerk für die toskanische Malerei der Frührenaissance werden lassen. Nach Themengruppen geordnet findet man hier detaillierte Einträge zu den einzelnen Objekten, die in sehr übersichtlicher Form Informationen zum restauratorischen Befund, zur stilistischen Einordnung, zur Ikonographie und zur Provenienz zur Verfügung stellen, begleitet von einer vollständigen Bilddokumentation. Unter anderem ist hier viel über die Rückseiten zu erfahren, die das Bildprogramm der deschi erst komplett machen. Wie das gesamte Buch zeichnet auch den Katalog eine hohe redaktionelle Sorgfalt aus.
Mit ihrer Monografie hat Däubler-Hauschke einen wichtigen Forschungsbeitrag zu Gebrauch und Inhalt des "kleinen" Bildmediums desco geleistet. Neben der genauen Erfassung des überlieferten Bestandes kann die Monografie auch inhaltlich überzeugende Akzente setzen. Verschiedene Aspekte bedürften allerdings noch einer weiteren Klärung und Vertiefung unter mediengeschichtlichen, rezeptionsästhetischen und nicht zuletzt auch sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten - allen voran die Frage, woher die Motivation kam, gerade diesen Gegenstand zum Bildträger werden zu lassen.
David Ganz