Oliver Volckart: Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung im vormodernen Deutschland 1000 - 1800 (= Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften; 122), Tübingen: Mohr Siebeck 2002, 269 S., ISBN 978-3-16-147690-7, EUR 69,00
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Große Würfe sind wieder gefragt. Spätestens seit Douglass C. North seine neue Wirtschaftsgeschichte aus institutionenökonomischer Sicht programmatisch aus der Taufe hob, haben die institutionengeschichtlich angelegten Gesamtdarstellungen Konjunktur. It's the institution, stupid! hallt es aus der einschlägigen Wirtschaftsgeschichtsschreibung, die mit ihrem nagelneuen Jargon alte Einsichten aufputzt, ohne freilich häufig selbst substanziell zur Sache beizutragen. Nicht empirische Forschung ist ihre Sache, sondern die Reformulierung der Sekundärliteratur unter Verwendung des Generalschlüssels der Institutionen. Danach sind es die institutionellen Strukturen, die das Handeln der Menschen wesentlich leiten; Institutionen freilich, die auch selbst stets nur als das Ergebnis von im Eigeninteresse agierender, bedingt rationaler Akteure zu begreifen sind. Das Handeln des Einzelnen, ganz im Geiste des methodischen Individualismus, ist mithin der invariante Faktor der Erklärung sozialen Strukturwandels - und dieses Handeln lässt sich mit den Begriffen des rationalen Eigeninteresses zutreffend beschreiben. Die Wirtschaftsgeschichte besteht folgerichtig aus dem Wettbewerb rationaler Akteure um knappe Güter, wobei sie neben der unmittelbaren Güterverteilung auch stets die Handlungsweisen festlegen, mit denen zulässigerweise um die infrage stehenden Güter konkurriert werden darf: eben die Institutionen. Damit besitzt man nicht nur einen Generalschlüssel für die Analyse moderner Wirtschaften, sondern kann auch die Wirtschaftsgeschichte über einen einheitlichen Leisten ziehen. Mehr noch: Volckart ist von der Richtigkeit dieses Ausgangspunktes so fest überzeugt, dass er ihn gleich zur "allgemeinen theoretischen Sozialwissenschaft" erklärt (11), ohne freilich den performativen Widerspruch zu bemerken, in den er sich hineinbegibt: Denn hat er mit dieser Annahme recht, dann steht in seinem eigenen Buch ja nicht das Zutreffende, sondern das ihm selbst Nützliche!
Aber lassen wir derartige Spitzfindigkeiten, sondern schauen lieber auf die Anlage dieses Wurfes aus dem Geiste der Institutionenökonomik. Volckart fragt: "Wie wirkten sich der politische und der institutionelle Wettbewerb im Mitteleuropa des 11. bis 18. Jahrhunderts auf den Wandel der Institutionen aus, die die Wirtschaftsordnung konstituierten, und welche Freiräume ließ diese Wirtschaftsordnung dem ökonomischen Wettbewerb?" (6). Der Zeitraum vom 11. bis zum 18. Jahrhundert scheint ihm - ohne dass er sich freilich mit der intensiven Debatte um Epochengrenzen in der Frühneuzeitforschung auseinander setzte - unter pauschalem Verweis auf Jacob Burckhardt und Otto Brunner als "Alteuropa" ein einheitliches Untersuchungsobjekt abzugeben. Den Kern des Wettbewerbes bildeten in diesem Zeitraum die Auseinandersetzungen um das knappe Gut der Sicherheit, wodurch auch die Einheit der Epoche konstituiert wird: "Das Fehlen von Sicherheitsmonopolen ist das deutlichste Kennzeichen der vormodernen, zwischen dem 11. und 18. Jahrhundert bestehenden Gesellschaftsordnung; es ist das Charakteristikum, das es rechtfertigt, diese Zeitspanne als einheitliche Epoche zu behandeln" (25). Da Volckart seine Ergebnisse zum Schluss selbst prägnant zusammenfasst, seien sie hier in seiner Sprache wiedergegeben: "Um die Argumentation des Buches knapp zusammenzufassen: Die hochmittelalterliche Gesellschaftsordnung wird hier als Markt für Sicherheit interpretiert. Der relativ intensive Wettbewerb auf diesem Markt löste einen institutionellen Wandel aus, der das Entstehen zunächst ebenfalls wettbewerblicher ökonomischer Märkte ermöglichte. Allerdings gewannen auf beiden Markttypen bald Bestrebungen zur institutionellen Beschränkung des Wettbewerbs an Bedeutung. Auf ökonomischen Märkten brachten diese Bestrebungen ständische Korporationen hervor, auf dem Markt für Sicherheit frühmoderne Staaten. Die entstehenden Staaten begannen, miteinander um potentielle Steuerzahler zu konkurrieren. Ergebnis ihrer Konkurrenz war, daß die ständischen Korporationen ihre wirtschaftliche Macht einbüßten, womit die Wirtschaftsordnung der ausgehenden Vormoderne die wesentlichen Eigenschaften einer Marktwirtschaft gewann" (233).
Nun kann hier die Argumentation nicht im Einzelnen kritisiert und gewürdigt werden. Ob der Begriff "ständische Korporationen" glücklich ist, ob man Otto Brunners Alteuropakonzept mit dem unterstellten Fehlen von Sicherheitsmonopolen in Verbindung bringen kann, ob schließlich mittelalterliche Landbewohner als Sicherheitsnachfrager auf Sicherheitsmärkten treffend charakterisiert sind: all das kann hier nicht entschieden werden. Es soll auch nicht einfach darum gehen, das Buch wegen der epistemischen und logischen Schwächen des institutionenökonomischen Ansatzes als unterkomplex und zu nachgerade karikaturhaften Formulierungen neigend schlicht von der Hand zu weisen. Vielmehr ist die Frage zu stellen, ob nicht bei aller Kritik mit einer institutionenökonomischen Sehweise doch Erkenntnisgewinne verbunden sein können. Aber auch so gesehen fällt das Urteil letztlich negativ aus. Vor allem ist ganz ungeklärt, ob das fehlende Sicherheitsmonopol der entscheidende Punkt der europäischen Staatsbildung und das konstitutive Moment alteuropäischer Gesellschaftsstrukturen war. Aus Volckarts heutiger Sicht mag das ja so sein; es ist freilich als historisches Problem in der Arbeit von ihm gar nicht gezeigt. Schon seine womöglich dem Hobbes'schen Naturzustand entlehnte Annahme einer frühmittelalterlichen "Anarchie", die durch freiwillige Verträge zwischen Sicherheitsanbietern und Sicherheitsnachfragern überwunden worden sei, erscheint empirisch wenigstens undifferenziert. In institutionentheoretischer Hinsicht (und damit nach Maßgabe von Volckarts eigenen theoretischen Annahmen) ist sie sogar alles andere als klar: Nach Volckart haben die Akteure ein Interesse an Sicherheit, schließen deshalb Verträge und schaffen so Institutionen. Ist aber die "Anarchie" keine institutionelle Ordnung mit lediglich anderen Institutionen? Ist nicht die Anarchie die institutionelle Struktur, die die Anbieter von Unsicherheit begünstigt? Müsste man mithin die "Anarchie" nicht auch institutionenökonomisch erklären können? Wenn man dies nicht tut, und Volckart tut dies nicht, gibt es offensichtlich gesellschaftliche Zustände, die sich nicht auf das Handeln eigennutzorientierter, rationaler Akteure zurückführen lassen. Was ist dann aber mit dem Generalanspruch der Ökonomik?
Dieser von Volckart vorgetragene Generalanspruch einer bestimmten (nämlich der neoklassischen) Ökonomik wirft ein weiteres Problem auf. Warum, so fragt sich der über den Tellerrand des Alten Reiches hinausschauende Leser, bekommen die doch nach Volckarts Annahme im Grunde gleichartig handelnden Akteure in Europa so unterschiedliche Institutionen, dass schließlich im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich und Großbritannien moderne Flächenstaaten entstehen, während im Alten Reich davon keine Rede sein kann. Waren die Menschen in Deutschland weniger rational als Franzosen oder Engländer? Auch hier zeigt sich: Die unterstellte Ökonomik mag zwar moderne Erwartungen an die Handlungsmotivation von Menschen bedienen, als Erklärung historischen Strukturwandels aber versagt sie zwangsläufig nicht nur, weil sie theoretisch zu anspruchslos ist, sondern eben auch, weil sich die Empirie nicht dem modischen Leisten der Gegenwart beugt. Damit ist ein weiteres Problem angesprochen, nämlich die Funktionalität von Institutionen, die in Volckarts Sicht stets entsprechend den Intentionen der Handelnden eintritt. So wurden nach Volckart im Spätmittelalter gegen ein vermeintliches Zuviel an Wettbewerb Institutionen geschaffen, die den Wettbewerb einschränken sollten, insbesondere Stände, Zünfte und Gilden, die der Autor als "ständische Korporationen" zusammenfasst. Dieser funktionalistische Schluss (dass jemand - der vom Wettbewerb betroffene - weiß, was er will, und auch kann, was er will, und dass das, was er kann, auch den Effekt hat, den er will!) wäre aber gerade erst historisch zu zeigen. Normalerweise zeigt sich die Funktionalität einer Institution erst, wenn es sie gibt, sodass die Funktion einer Institution mit den historischen Gründen ihrer Entstehung nicht in eins fällt. Jedenfalls lässt sich die Entstehung von Territorialständen einerseits, städtischen Korporationen wie Zünften und Gilden andererseits eben gerade nicht funktional erklären, selbst wenn diese Einrichtungen im Nachhinein durchaus sinnvolle Funktionen erfüllten. Offensichtlich folgten Institutionenbildungsprozesse komplizierteren Entscheidungsprozessen, in die neben den faktisch vorgefundenen Verhältnissen stets auch normative Vorstellungen vom richtigen Leben eingingen. Es ist ja kein Zufall, dass sich die von Volckart untersuchten Institutionen gerade nicht auf den Eigennutz gründeten, geschweige denn ihn tolerierten. Der institutionenökonomische Funktionalismus macht es sich letztlich viel zu leicht bei der Erklärung institutionellen Wandels. Seine Begriffe und seine Annahmen sind der alteuropäischen Welt nicht gemäß, sondern ziehen deren Geschichte über einen zu groben Leisten.
Diese Grobheit der Betrachtung zeigt sich insbesondere in der Vernachlässigung zweier prägender Elemente der alteuropäischen Welt: des Glaubens und des Krieges. Der Krieg spielte eben nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitsgarantierung eine Rolle, sondern er bestimmte und änderte ganz fundamental die Existenz politischer Institutionen. Der Glaube ratifizierte eben gerade nicht jede mögliche Institution, die sich rationalem Eigennutz verdanken mochte, sondern schied normativ in strenger Weise das Gute und das Böse, eine Unterscheidung, die keineswegs ökonomischer Rationalität folgte. Die Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte liegt freilich in der institutionenökonomischen Argumentation nahe, die ja glaubt, letztlich bestimmten allein die institutionellen Arrangements über die Höhe der so genannten Transaktionskosten. Dabei dürfte über militärische, konfessionelle, technische und politische Gesichtspunkte und ihr je historisch spezifisches Zusammenspiel letztlich der alteuropäische Strukturwandel hin zur Moderne viel mehr zu plausibilisieren sein als über derartige modelltheoretische Engführungen, wie sie die Institutionenökonomik nahe legt. Letztlich ist dieser Strukturwandel und damit überhaupt erst die Entstehung von etwas, das man als Wirtschaftsordnung bezeichnen kann, eben nur historisch und nicht modelltheoretisch erklärbar. Die modelltheoretisch angeleitete Untersuchung hält allerdings Einsichten bereit, die sonst wohl kaum formulierbar wären: "Angesichts der weiterhin dezentralen Verteilung von Planungskompetenzen läßt sich die Wirtschaftsordnung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit allerdings nicht als Zentralverwaltungswirtschaft bezeichnen" (134). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Werner Plumpe