Rezension über:

André Zimmermann: Der Untergedrückte und wieder herfür gegrünte Palmbaum des Christian Rechttreu. Editorische Erschließung und sprachgeschichtliche Erschließung einer schlesischen Handschrift aus dem Dreißigjährigen Krieg (= Leipziger Arbeiten zur Sprach- und Kommunikationsgeschichte; Bd. 10), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 191 S., 12 Abb., ISBN 978-3-631-50306-5, EUR 35,30
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Rezension von:
Sven Externbrink
Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Sven Externbrink: Rezension von: André Zimmermann: Der Untergedrückte und wieder herfür gegrünte Palmbaum des Christian Rechttreu. Editorische Erschließung und sprachgeschichtliche Erschließung einer schlesischen Handschrift aus dem Dreißigjährigen Krieg, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 6 [15.06.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/06/4689.html


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André Zimmermann: Der Untergedrückte und wieder herfür gegrünte Palmbaum des Christian Rechttreu

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Seit dem Ausbruch der Böhmischen Rebellion 1618 und der Ausweitung dieses Konfliktes zum Dreißigjährigen Krieg wurde auch Schlesien immer wieder in die Auseinandersetzungen hineingezogen. Blieben die Schrecken des Krieges Schlesien vorerst erspart, so hielten sie schließlich 1626 mit dem Durchmarsch des Mansfeldischen und des Wallenstein'schen Heeres Einzug. Seit der Besetzung des Landes durch die Schweden 1632 bis zum Westfälischen Frieden blieb Schlesien Aufmarschgebiet der Kombattanten, und immer wieder zogen Armeen mit den für die Bevölkerung so wohl bekannten "Begleitern" Gewalt, Hunger, Seuchen und Tod durch das Land. Politisch bewirkte der Krieg eine stärkere Integration der zum Königreich Böhmen gehörenden Provinz in das Habsburgerreich. Damit einher ging die Verschärfung der unter Kaiser Matthias begonnenen Rekatholisierung Schlesiens.

Wie die Ereignisse in und um Schlesien zwischen 1632 und 1671 von einem Zeitgenossen wahrgenommen und gedeutet wurden, lässt sich in der vorliegenden Edition nachlesen. Bei der dem Druck zugrunde liegenden Handschrift aus der Leipziger Universitätsbibliothek, die aus dem Besitz des Breslauer Theologen und Pfarrers Johann Gottlob Drescher (1739-1808) stammt, handelt es sich um die Kopie eines verloren gegangenen Originals. Die Identität des Autors, der das Pseudonym Christian Rechttreu wählte, konnte nicht geklärt werden. Zimmermann belässt es bei der Vermutung, sich auf einen Vermerk eines Kopisten in der Handschrift stützend, dass sich hinter dem Pseudonym der Sekretär von Reinhardt Rosa auf Roseneck, dem Syndikus der Stadt Breslau, verbergen könnte (12).

Die Edition entspricht den üblichen Standards. In den Anmerkungen werden ausreichend Informationen über erwähnte Personen mitgeteilt, sie enthalten Erläuterungen zu sprachlichen Wendungen, Übersetzungen sowie Hinweise auf zeitgenössische Quellen. Der Palmbaum besteht aus chronikartigen Erzählungen, die ergänzt werden durch Auszüge aus zeitgenössischen Dokumenten über die Ereignisse in Breslau und in Schlesien. Die Kommentierung und Bewertung lässt eine eindeutige Parteinahme für den Katholizismus erkennen - wie schon der Titel der Schrift verdeutlicht: Der untergedrückte und wieder herfür gegrünte Palmbaum ist niemand anderes als die katholische Kirche, deren Anhänger unter den Verfolgungen der Protestanten zu leiden hatten und nun, dank kaiserlicher Hilfe, die Häretiker in Schlesien zurückdrängen. Viel Platz nehmen Berichte über das Schicksal einzelner Protestanten ein, die durch Gottes strafende Hand - so die Sicht des Christian Rechttreu - für ihre an den wahren Gläubigen begangenen Übeltaten büßen müssen. Prominentestes Opfer der göttlichen Gerechtigkeit ist der Schwedenkönig Gustav Adolf (30 f., weitere Beispiele: 36, 37, 63, 64). Mit seinem Kommentar - "der König [musste] selbst das bluttige Schwerdt, Kugel und Zertretung seines Leibes mit Hufeisen schmecken und verkosten" - versichert der Autor sich und seinen potenziellen Lesern, auf der "richtigen" Seite zu stehen. Dass die Rückkehr des Katholizismus sich nicht nur auf Schlesien beschränkte, verdeutlicht Rechttreu dadurch, dass er ausführlich die Konversion prominenter europäischer Protestanten seit 1648, angefangen mit Königin Christina (77), erzählt und sogar eine Liste der Konvertiten zusammenstellt (136-138).

Einen beeindruckenden Einblick in den Alltag der Epoche vermitteln nicht nur die Schilderungen über die Kriegsereignisse (hervorzuheben sind die Berichte über die Übergriffe der Soldaten beziehungsweise über die Versuche, meuternde Truppen in Breslau zu disziplinieren; 22-24, 28 f., 48 f.), sondern auch über die Wiederaufnahme des katholischen Kultus nach 1648 (erste katholische Begräbnisse in Breslau, Wiederbelebung der Wallfahrten zu lokalen Heiligtümern, 67 f.).

Will man die Schrift mit anderen Quellen der Epoche vergleichen, so ähnelt sie eher dem bekannten "Registre-Journal" des Pierre de L'Estoile aus dem Paris der letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts als den zuletzt intensiv erforschten "Ego-Dokumenten". Auch bei L'Estoile findet sich diese Mischung aus Tagebucheintrag, Chronik, (parteiischem) Kommentar und Wiedergabe zeitgenössischer Dokumente. Für die Rekonstruktion der Mentalität und Lebenswelt des Autors, wie es etwa das bekannte Tagebuch des unbekannten Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg ermöglicht [1], liefert uns der Untergedrückte Palmbaum kaum Hinweise.

Bietet die eigentliche Edition wenig Anlass zur Kritik, so gilt dies nicht für die Begleittexte. So fehlt eine eingehende Einordnung des Textes als Quelle in die aktuelle Forschungsdiskussion zum Dreißigjährigen Krieg wie auch eine ausführlichere Einführung in den historischen Kontext. Dafür sind die vorhandenen zwei Seiten nicht ausreichend (13 f.). Was Zimmermann an "Exemplarische[n] Untersuchungen" zum Text bietet (157-173), sind im Wesentlichen angestrengt, abstrakt und umständlich formulierte Allgemeinplätze. Auch die quantitative Auswertung der "Sprachliche[n] Kultur" (164-168) scheint dem Rezensenten als Nichtgermanisten etwas dürftig: Herauszufinden, dass Rechttreu "über ein umfangreiches Spektrum gehobener / bildungssprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten sowie präzise Kenntnisse zeitgenössischen Fachwortschatzes aus Militärwesen und Diplomatie aktiv verfügte" (168), bedarf meines Erachtens nicht unbedingt der detaillierten Untersuchung des Wortschatzes. Dies ergibt sich bereits aus der flüchtigen Lektüre des Textes und den Indizien über die Herkunft des Verfassers. Bei einem Mitarbeiter des Breslauer Magistrats waren auch angesichts des hoch entwickelten schlesischen Bildungssystems die notwendigen sprachlichen Fähigkeiten zu erwarten. Vergessen darf man darüber hinaus nicht, dass Schlesien zum Zeitpunkt der Entstehung der Chronik das Zentrum der deutschen Literatur war: Die Dichter Opitz, Gryphius und Logau waren Zeitgenossen des Christian Rechttreu, der auch in Gedichten gegen die "Praedicanten" polemisierte (140-146).

Abgesehen vom textkritischen Apparat fehlt somit für den mit der Epoche nicht sehr vertrauten Leser eine problemorientierte Einordnung in den historischen Kontext sowie eine fundierte Untersuchung des Quellenwertes des Textes. Dies hätte keineswegs zu einer Überfrachtung der Edition führen müssen, denn es liegen exemplarische Vorlagen für die Edition von Quellen kleineren Umfangs aus der Epoche des Dreißigjährigen Krieges vor, an denen man sich hätte orientieren können. [2] Die Chronik des Christian Bleibtreu wäre diesen Aufwand durchaus wert gewesen.


Anmerkungen:

[1] Jan Peters (Hg.): Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte, Berlin 1993.

[2] Neben der Edition von Peters (siehe Anm. 1) sei auf zwei Beispiele aus Hessen hingewiesen: Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636-1667, Marburg 1998; Holger Th. Gräf (Hg.): Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges - Der Lebenslauf und das Kriegstagebuch aus dem Jahre 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter, Marburg 2000.

Sven Externbrink