Pedro Barceló: Constantius II. und seine Zeit. Die Anfänge des Staatskirchentums, Stuttgart: Klett-Cotta 2004, 276 S., 25 Abb. und Karten im Text, ISBN 978-3-608-94046-6, EUR 25,00
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Nach dem Klappentext soll es sich um "die Wiederentdeckung des letzten gesamtrömischen Kaisers" und "eines nahezu unbekannten römischen Kaisers" handeln. Solche wohl als verkaufsfördernd gedachte Parolen, die eigentlich falsch sind (vergleiche Julian und Theodosius I.), hat der Verfasser Barceló kaum selbst zu verantworten. Das Buch gibt sich grundsolide und ist der Mittelteil einer Trilogie, deren beide anderen Teile (Konstantin I. und Julian) Klaus Rosen verfassen soll.
Der Anspruch ist der einer Biografie, die es bisher zu Constantius II., von einigen kürzeren lexikalischen Behandlungen abgesehen, nicht gibt. Daraus leitet sich eine chronologische Vorgehensweise ab, innerhalb derer der Verfasser aber versucht, thematisch zusammengehörende Bereiche, insbesondere militärische Aktionen und die Religionspolitik, in einzelnen Abschnitten auch zusammen zu behandeln. Wenn man kleinere Vor- und Rückblenden in Kauf zu nehmen bereit ist, geht das auch einigermaßen auf. Dieses Miteinander von Militär- und Religionspolitik wird von Barceló als bewusstes Konzept des Constantius' interpretiert (194).
Der Untertitel nennt die Begründung des 'Staatskirchentums' als hervorragendes Ergebnis der kaiserlichen Politik, trotz gewisser Vorbehalte bezüglich der Terminologie, was auch für 'Staatsreligion' oder 'Reichskirche' gilt (245, Anm. 32). Hier scheint doch letztendlich wieder der religiöse Gesichtspunkt die Hauptrolle zu spielen.
Die Arbeit ist in 15 Kapitel gegliedert. Sie beginnt mit einer etwas seltsamen Einleitung, in der ein virtueller spätantiker Mensch des 4. Jahrhunderts um 1600 die ehemalige Umaiyaden-Moschee und nunmehrige christliche Kathedrale von Córdoba besucht, wobei dem Rezensenten das 'tertium comparationis' verschlossen bleibt. Für die Rolle, die Constantius im mittlerweile unumkehrbaren Christianisierungsprozess spielte, ist ein kurzer Rückblick auf seinen Vater Konstantin erforderlich, dem insgesamt mehr Anteil an den spätantiken Reformen zugesprochen wird als Diokletian. Was hat man von einem Kind zu erwarten, dessen Vater und beide Großväter bereits Kaiser waren, dessen Großmutter und Vater von der christlichen Kirche quasi als Heilige angesehen wurden, dessen anderer Großvater Maximian aber als Christenverfolger galt? In dieses Spannungsfeld hinein ist Constantius am 7. August 317 geboren worden, vielleicht in Sirmium. Bezeichnend für ihn wird sein, dass er in gleicher Weise die West- wie Osthälfte des Reiches kennen lernte, gleich bei seinem ersten militärischen Einsatz mit 9 Jahren in Gallien und dann in Antiochia. In die Morde nach dem Tod Konstantins war er wohl verwickelt, fürchtete deswegen aber offenbar nie die Rache seiner Vettern Gallus und Julian. Zunächst gab es eine Phase der Dreierherrschaft der Konstantinsöhne Constantin II., Constans und Constantius, in der die beiden Hauptfelder der Politik sich bereits deutlich abzeichnen: Grenzsicherung und Religionspolitik, bis 340 Constantin II. im Kampf gegen seinen Bruder Constans fiel. Kennzeichen der Zweierherrschaft, die das Reich auch religiös spaltete, waren religionspolitische Maßnahmen. Ein lebendes Beispiel für das ständige Hin und Her ist dabei Athanasius von Alexandria mit den verschiedenen Abfolgen von Verbannung und Rückkehr. Besonders nachdrücklich sichtbar wurde diese Spaltung insbesondere in der Doppelsynode von Rom und Antiochia (340/1), auf der keine Verständigung möglich war, ebenso wenig wie auf den beiden Synoden von Serdica 343. Der Weg zum Alleinherrscher führte über die Niederwerfung des Usurpators Magnentius, der Constans hatte erschlagen lassen, und die Verständigung mit einem weiteren Usurpator, Vetranius. Der Krieg endete nicht mit der blutigen Schlacht von Mursa, sondern erst 353 mit dem Selbstmord des Magnentius. Ende 350 wurde Gallus in den Osten geschickt und mit Constantina, des Kaisers Schwester, verheiratet. Constantius blieb im Westen wegen der Franken- und Alamannenkriege, die mit einem kaiserlichen Triumph endeten. Die Rheingrenze wurde gesichert, die gesamte Außenpolitik meist durch Verträge abgesichert und am 6. November 355 Julian zum Caesar ernannt, während sich in der Religionsgesetzgebung ein restriktiverer Kurs durchzusetzen begann, ein Zeichen für das wachsende Selbstbewusstsein des Kaisers seit der Alleinherrschaft. Ein gewisser Umschwung in der Religionspolitik lässt sich nach dem Rombesuch des Kaisers 357 feststellen, der, von der Beseitigung der Viktoriastatue aus dem Senat abgesehen, für das Heidentum insgesamt recht positiv war.
Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet von einer Mischung aus Kriegen und Religionspolitik: Erfolge gegen Sarmaten einerseits, die Versuche einer einheitlichen Glaubenslehre auf der anderen Seite, dabei die erneute Bedrohung im Osten durch die Perser, die im Sommer 359 (Zerstörung von Amida) und wiederum im Februar 360 ins Römische Reich einfielen. Dazu erfuhr der Kaiser im März 360 von der Usurpation seines Vetters Julian. Es ist erstaunlich, wie gefasst und besonnen Constantius seine Gegenmaßnahmen traf. Gleichzeitig verlor er die anderen Bereiche seiner Regierungstätigkeit aber nicht aus den Augen: In der Religionspolitik ließ er, in West und Ost getrennt (nach dem Vorbild von 340/1), in Ariminum (ab Ende Mai 359) und Seleukia (ab Ende September 359) beraten und sich das Ergebnis im Dezember 359 in Konstantinopel vortragen. Da es keine Einigung gab, griff der Kaiser selbst zu Gunsten einer "homoios-Formel" ein und setzte alle Abweichler ab. Jetzt erst formierte sich Kritik und wurde Constantius mit dem Antichristen gleichgesetzt (Hilarius). Erwähnenswert ist auch eine Neuregelung für diejenigen Dekurionen, die Kleriker waren: Sie wurden jetzt zu Steuerleistungen herangezogen, unabhängig von ihrem geistlichen Stand. Das Ideal des armen Klerikers, das von Konstantin propagiert worden war, wurde also aufgegeben. Dies signalisiert keine Abkehr von der väterlichen Politik, nur eine andere Schwerpunktsetzung. Im Zusammenhang mit der Usurpation des Julian macht sich Barceló Gedanken über die Unterschiede und Ähnlichkeiten von Julian und Constantius auf dem Hintergrund unterschiedlicher religiöser Vorstellungen, Spekulationen, die als "Interpretationen" klassifiziert werden (181-183) und keine historisch verbürgten Tatsachen sein wollen.
Der Kaiser starb am 3. November 361 überraschend. Ob er selbst noch Julian als Nachfolger bestimmt hat, wie es Ammian behauptet (21,15,4-6), bleibt fraglich. Kurz vor seinem Tod hatte Constantius zum dritten Mal geheiratet. Seine Frau Faustina gebar ihm eine Tochter Constantina, die später die Frau Kaiser Gratians wurde.
Im Schlusskapitel wird eine Art Gesamtwürdigung des Constantius vorgenommen: Militärisch war er insgesamt recht erfolgreich, in der Religionspolitik gab es keine oder nur eine auf Zwang begründete Lösung. Die Bischöfe, die Einfluss auf ihn hatten, waren stets Minderheiten. In der Personalpolitik hatte er wohl nicht immer eine gute Hand, aber er suchte sich seine weltlichen Mitarbeiter sicher nicht primär nach religiösen Gesichtspunkten aus. Insgesamt orientierte er sich in der Politik am Möglichen. Er war kein Visionär, aber ein pflichtbewusster und besonnener Herrscher, der bei Ammian eindeutig zu schlecht wegkommt.
Eine generelle Einschätzung des vorliegenden Buches muss die Schwierigkeit der Aufgabenstellung berücksichtigen, die sich bei Biografien immer ergibt. Ist das Quellenmaterial eher dürftig, erlaubt es kaum Einsichten in Entscheidungsprozesse. Hier versagt auch Ammian, der im Übrigen an mehreren Stellen - zu Recht - kritisiert wird. Der Verfasser ist also gezwungen, selbst die Kausalitäten zu bestimmen oder es bei einer chronologischen Aufzählung zu belassen.
Die Arbeit spiegelt den heutigen in- und ausländischen Forschungsstand wider, bringt gelegentlich eigene nützliche Interpretationen. Die Gesetzgebung wird nur eklektisch behandelt, Barceló bringt aber das in den Augen des Rezensenten Wesentliche. Die theologische Seite ist etwas stiefmütterlich behandelt, nimmt hier eher vielleicht den Standpunkt des Kaisers selbst ein, wird aber der im engeren Sinne theologischen Diskussion kaum gerecht. Hier bleibt ein - zugegebenermaßen äußerst schwieriges - Desiderat der Vermittlung von Inhalten, die heute sogar für Fachleute ziemlich fremd sind. Insgesamt aber liegt eine erste, brauchbare Biografie vor, an der sich nun ihrerseits die nachfolgenden werden messen lassen müssen.
Karl Leo Noethlichs