Werner Freitag / Michael Hecht (Hgg.): Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynamische Vernunft und politische Konzepte in Spätmittelalter und früher Neuzeit (= Studien zur Landesgeschichte; Bd. 9), Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2003, 291 S., ISBN 978-3-89812-199-6, EUR 25,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Werner Freitag (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im späten Mittelalter. Hrsg. im Auftrag der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002
Werner Freitag: Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster: Aschendorff 2016
Elizabeth Harding / Michael Hecht (Hgg.): Die Ahnenprobe in der Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation, Münster: Rhema Verlag 2011
In der Geschichtswissenschaft gehören Themen wie das Herrschaftsverständnis des Hochadels, Residenzenbildung und fürstliche Repräsentation zu aktuellen Gegenständen der Forschung. Aus diesem Grunde organisierte der Museumsverband Sachsen-Anhalt e.V. zusammen mit dem Lehrstuhl für Landesgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen eines dezentralen Ausstellungsprojekts der Stadt- und Kreismuseen "Gemeinsam sind wir Anhalt" am 5./6. Dezember 2002 im Festsaal des Schlosses Ballenstedt ein Kolloquium zu Herrschaftssymbolik, dynastischer Vernunft und politischen Konzepten der anhaltischen Fürsten in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Der von Werner Freitag und Michael Hecht herausgegebene Band umfasst die Beiträge dieser Tagung sowie einige zusätzlich aufgenommene Aufsätze. Nach einem Vorwort der Herausgeber und einer Einführung Werner Freitags zum Thema "Die Fürsten von Anhalt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit" werden dem Leser die Aufsätze in zwei Themenblöcken (I. Vom spätmittelalterlichen Territorium zur neuen Fürstenherrschaft / II. Frühmoderne Staatlichkeit: Konzepte und Möglichkeiten) präsentiert. Der Sammelband schließt mit einem Anhang, bestehend aus genealogischen Tafeln zu den Linien der Anhaltiner, einer Karte Anhalts um 1600, einem Abbildungsnachweis und einem Autorenverzeichnis.
Im Folgenden kann nicht auf jeden einzelnen Beitrag eingegangen werden. Schließlich sind die Titel der Aufsätze selbstredend und lassen auf Inhalt und Zielsetzung schließen. Hier in Kürze einige Hauptinhalte: Um 1500 änderte sich das Herrschaftsverständnis der anhaltischen Fürsten grundlegend. Die Kleinräumigkeit der Herrschaftsverhältnisse und das Missverhältnis zwischen fürstlichem Titel und realer Macht zwang sie, ihr bisheriges sachlich-politisches Handeln zu überdenken. Der aus dem Mittelalter überkommene Herrschaftsbereich der Askanier bestand aus einem Gemisch an Allodialgütern und Lehnsbesitz, an gräflichen Hochgerichts-, Niedergerichts- und Bannrechten, an Regalien (Markt, Zoll, Münze, Bergbau, Geleit, Judenschutz et cetera) sowie an Vogteirechten über klösterliche Besitzungen. Merkmale des frühmodernen Staates wie Untertanenverband, Staatsgebiet und Souveränität lagen vor 1500 nur in Ansätzen vor. Die Herrschaft des in mehrere Linien geteilten Fürstentums war bislang von den Fürsten gemeinsam und gleichberechtigt ausgeübt worden. Durch das Fehlen eines Teilungsverbotes und aufgrund privatrechtlicher Anschauungen waren innerhalb der Linien bislang Landesteilungen üblich. Um die Versorgung aller Fürsten und Fürstinnen zu gewährleisten, waren in Anhalt zahlreiche Herrschaftsrechte und Besitzungen verpfändet oder verpachtet worden. Permanent bestand die Gefahr der Entfremdung von Lehns- und Kammergütern sowie Rechten. Nachteilig für die Anhaltiner war auch, dass in deren Herrschaftsbereich vier auswärtige Fürstbischöfe über die geistliche Gerichtsbarkeit und Kirchenaufsicht bestimmen konnten.
Obwohl sich bereits am Ende des 15. Jahrhunderts die dynastische Vernunft bei den Anhaltinern durchsetzte, indem diese Vorsorge trafen, weitere Teilungen ihres Herrschaftsbereiches zu vermeiden (zum Beispiel Dessauer Teilungsvertrag von 1471), vollzog sich die flächendeckende Durchdringung ihrer Landesherrschaft erst im 16. Jahrhundert. Begünstigt wurde die Konsolidierung des Fürstentums Anhalt durch die Entstehung eines dynastischen Familienbewusstseins und die Herausbildung eines transpersonalen Herrschaftsbewusstseins. Ergebnisse dieser Bewusstseinsveränderungen spiegeln sich im gesteigerten Repräsentationsbedürfnis der Fürsten wider. Dieses wird am Ausbau alter Burganlagen zu schlossähnlichen Residenzen, an der neuen Form von Grablegen, an neuen Wappendarstellungen, an der Ausformung eines dauerhaft bestehenden Hofes und an verstärkter landesherrlicher Rechtsprechung deutlich.
Was in vielen Beiträgen (zum Beispiel von Werner Freitag, Michael Thomas, Michael Hecht, Matthias Müller, Irene Roch-Lemmer, Frank Kreissler) um Herrschaftssymbolik, dynastischer Vernunft und politische Konzepte der Anhaltiner in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zu kurz kommt, ist deren Verknüpfung mit einhergehenden wirtschaftlichen Veränderungen (Wandel von der gemischten Natural- und Münzgeldwirtschaft zur reinen Münzgeldwirtschaft des modernen Steuerstaates), den Finanzen des Fürstenhauses und der Entstehung einer anhaltischen Landschaft. Dies sollte den Autoren aber nicht angelastet werden, fehlt es doch zu diesen Bereichen der anhaltischen Geschichtsschreibung bislang an grundlegenden neuen Forschungen. Ungeklärt bleibt vorläufig die Frage, ob die Anhaltiner Impulse für ihr gesteigertes Repräsentationsbedürfnis auch aus der Wirksamkeit der um 1500 entstandenen Reichskreise erhielten. Immerhin trafen sie sich auf den Kreistagen des Obersächsischen Kreises mit anderen zum Kreisverband gehörenden Ständen. Dass hierbei von den bedeutsamen Kreismitständen wie Brandenburg und Sachsen, die zufällig auch noch Nachbarn der Anhaltiner waren, Vorbildwirkung in Sachen Repräsentation ausging, ist allzu denkbar. Die anhaltischen Fürsten wollten in ihrer Außenwirkung mit den "Großen" mithalten und beriefen sich, nicht ganz unbegründet, auf die Geschichte ihres Geschlechts, das ehemals große Territorien wie die Mark Brandenburg oder das Herzogtum Sachsen-Wittenberg beherrscht hatte.
Viel zu kurz kommt im Sammelband auch das Problem der fürstlichen Schulden. Niemand von den Autoren beantwortet die Frage, wie die ohnehin seit dem Spätmittelalter hochverschuldeten Fürsten im 16. Jahrhundert ihr gesteigertes Repräsentationsbedürfnis finanzierten. In der Regel wird darauf verwiesen, dass die Landstände (Landadel, Prälaten, Städte) die Schulden der Fürsten übernahmen. Damit trugen sie auch die finanzielle Absicherung der Landesherrschaft mit all ihren wachsenden Bedürfnissen. Aber zu welchen Bedingungen erklärten sich die Stände bereit, ihre Hintersassen für den Erhalt der fürstlichen Herrschaft besteuern zu lassen? Das 16. und 17. Jahrhundert gilt in Anhalt wie in vielen anderen deutschen Staaten als das Zeitalter der Landstände, die meist zur Wahrung der Landesherrschaften unterstützend eingriffen. In den Beweggründen für die Übernahme fürstlicher Schulden wird der Schlüssel für die Durchführbarkeit der neuen landesherrlichen Repräsentation zu finden sein. Der finanzielle Schutz der Landesherrschaft sicherte deren Bestand und damit die überkommenen Rechte der Landstände. Der Konkurs eines Landesherrn barg Gefahren für den Erhalt landständischer Sonderrechte in sich. Außerdem bot die Etablierung eines Hofstaates durch den Fürsten der Landschaft Möglichkeiten, dort selbst Einfluss zu gewinnen und Besoldungen zu erhalten. Von einem Dualismus zwischen Fürsten und Landständen kann im 16. und 17. Jahrhundert demnach nicht gesprochen werden, sondern eher von einem Interessenausgleich aller beteiligten Parteien. Mithin relativiert das profürstliche Handeln der Landstände die Bedeutung fürstlicher Einzelpersönlichkeiten, deren Wirken und rangstützende Königsnähe in einigen Beiträgen des Sammelbandes vorrangig als Ursache für einen politischen Aufschwung der Askanier gesehen wird. Letztlich hängt aber alles vom Geld ab, ob zu früheren Zeiten oder in der Gegenwart. Da neuere Forschungen zu den anhaltischen Landständen und deren finanzielle Unterstützung der Landesherrschaft ein Desiderat sind, bleibt nur zu hoffen, dass demnächst über universitäre Forschungsvorhaben die oben genannten Probleme untersucht werden.
Unangesprochen im Beitrag Georg Schmidts bleibt auch der Zusammenhang zwischen fürstlicher Verschuldung und Einführung der Reformation im Fürstentum Anhalt. Die Säkularisation von Kirchengütern brachte den Fürsten immerhin einen Zugewinn an Besitzungen, Rechten und steuerzahlendem Publikum. Dies sind wichtige wirtschaftliche Faktoren, die bei der Betrachtung der konfessionellen Entwicklung nur allzu gern außer Acht gelassen werden. Die Etablierung des landesherrlichen Kirchenregiments im 16. Jahrhundert sollte also nicht nur als Glaubensbekenntnis betrachtet werden, sondern auch als finanzwirtschaftlicher Neubeginn.
Lückenhaft bleiben auch die Beiträge zur dynastischen Repräsentation in Anhalt anhand von Wappen und Fürstenbildnissen. Michael Hecht und Irene Roch-Lemmer stützen sich beispielsweise nicht auf Münzen als Quellen fürstlicher Darstellung und Propaganda, die aufgrund ihrer Umlauffähigkeit aber eine wesentlich größere Breitenwirkung erzielten als feststehende Wappen und Fürstenbildnisse an Schlössern. Dementsprechend fehlen Hinweise darauf, dass beispielsweise einige anhaltische Fürstenbildnisse am 1538/39 errichteten Wolfgangbau des Schlosses in Bernburg sich auch auf den in diesen Jahren geprägten ersten anhaltischen Guldengroschen (Talern) wieder finden. Vielleicht gibt es ja einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen oder zumindest eine gemeinsame künstlerische Vorlage?!
Insgesamt wäre es wünschenswert gewesen, wenn auch die rar gesäte neuere anhaltische Literatur Eingang in den vorliegenden Band gefunden hätte. So geht Michael Rohrscheider nicht auf das Wirken Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau als Senior des Gesamthauses Anhalt beim Kampf um die Wahrung der anhaltischen Münzhoheit und damit auf das Agieren eines kleinen Reichsfürsten im Spannungsfeld zwischen Kaiser und mächtigen Nachbarn ein. Auch waren Harzgerode und Jever zeitweise wichtige Münzstätten der anhaltischen Fürsten, deren Bedeutung Karl-Heinz Börner und Antje Sander nicht berücksichtigen. Ferner hätte Erhard Hirsch seinen Aufsatz mit Details zum finanz- beziehungsweise währungspolitischen Handeln des "Friedensfürsten" Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau komplettieren können. Zu sämtlichen angesprochenen Problemkreisen hätte eine im Jahr 1997 am Fachbereich Geschichte der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg verteidigte geldgeschichtliche Dissertation, die 1999 veröffentlicht wurde, wertvolle Informationen liefern können.
Ungeachtet der geäußerten Kritik kann resümiert werden, dass der vorliegende Aufsatzband die Themen Herrschaftsverständnis, Residenzenbildung und fürstliche Repräsentation der Anhaltiner in Spätmittelalter und Früher Neuzeit gut abhandelt und mit Sicherheit eine Lücke in der anhaltischen Landesgeschichte schließt. Da es immer noch an modernen quellenfundierten Grundlagenforschungen zur Geschichte des Fürstentums Anhalt mangelt, bleiben bei den meisten Beiträgen allerdings viele Fragen vorläufig unbeantwortet.
Jens Heckl