Joachim Schröder: Die U-Boote des Kaisers. Die Geschichte des deutschen U-Boot-Krieges gegen Großbritannien im Ersten Weltkrieg (= Subsidia academica. Reihe A: Neuere und neueste Geschichte; Bd. 3), Bonn: Bernard & Graefe 2003, 515 S., ISBN 978-3-7637-6235-4, EUR 34,00
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Der U-Boot-Krieg ist auf Grund seiner großen außenpolitischen Bedeutung während des Ersten Weltkrieges Gegenstand zahlreicher Abhandlungen geworden. Viele Teilbereiche und Einzelaspekte sind mittlerweile hinreichend aufgearbeitet - eine zusammenfassende Studie, welche die politische und strategisch-operative Ebene des U-Boot-Krieges miteinander verknüpft, lag bislang nicht vor. Schröder hat in seiner Dortmunder Dissertation diese Lücke geschlossen.
Der Autor beschreibt auf der Grundlage des umfangreichen und leicht zugänglichen Quellenmaterials im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts und im Bundesarchiv die Diskussionen um den U-Boot-Einsatz zwischen Reichs- und Marineleitung. Er verknüpft diese Analyseebene mit der operativen Realität an der Front in den vier verschiedenen Phasen des U-Boot-Krieges von Februar bis September 1915, von Februar bis Mai 1916, von Oktober 1916 bis Januar 1917 und dann ab dem Frühjahr 1917. Schröder arbeitet zunächst den wichtigen Befund heraus, dass von einem uneingeschränkten U-Boot-Krieg im wörtlichen Sinne praktisch in allen vier Phasen nur bedingt gesprochen werden kann. Der Begriff "uneingeschränkt" bezog sich nämlich stets nur auf die feindlichen Handelsschiffe. Für die neutrale Schifffahrt dagegen gab es selbst ab Februar 1917 umfangreiche Ausnahmeregelungen, die versehentliche Versenkungen allerdings nicht verhindern konnten. Bekannterweise war diese Form des Seekrieges für die Vereinigten Staaten von Anfang an ein Stein des Anstoßes, weil die Londoner Seerechtsdeklaration von 1909 das Versenken von Handelsschiffen generell nur gestattete, wenn zuvor die Besatzungen in Sicherheit gebracht wurden. Die Marineleitung lehnte eine U-Boot-Kriegführung nach Prisenordnung ab, weil die Briten ihre Handelsschiffe bewaffnet hatten und das deutsche U-Boot dadurch bei der Durchsuchung und Rettung der Besatzung in Gefahr zu geraten drohte. Schröder vermag auf breiter Quellenbasis zu zeigen, dass diese Befürchtungen jedoch vollkommen überzogen waren: Die deutschen Kommandanten bewiesen im Einsatz immer wieder, dass ein U-Boot-Krieg nach Prisenordnung sehr wohl möglich und effektiv war. Das Versenken eines Schiffes im Unterwassertorpedoangriff ohne Vorwarnung wurde ohnehin nur selten durchgeführt, weil rund die Hälfte aller Torpedos ihr Ziel nicht traf. Selbst nach Verkündung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges im Februar 1917 wurden noch 40 Prozent aller britischen Handelsschiffe gemäß Prisenordnung versenkt, obwohl sie laut Befehlslage eigentlich ohne Warnung vernichtet werden sollten. Der Verfasser kann weiterhin zeigen, dass die U-Bootwaffe auf Grund der stark gestiegenen Bootszahlen insbesondere von Oktober 1916 bis Januar 1917 sehr erfolgreich Handelskrieg nach Prisenordnung führte und dass ihr Wirkungsgrad im uneingeschränkten U-Boot-Krieg ab Februar 1917 nur um 11 Prozent stieg. Die Erklärung für die gewaltigen Versenkungszahlen im Frühjahr und Sommer 1917 war nicht die Abkehr von der Prisenordnung, sondern der konzentriertere Einsatz von U-Booten im Handelskrieg. Anders gewendet: Nicht die Prisenordnung behinderte die Kommandanten, sondern die eigene Führung - etwa durch das Abstoppen der Operationen im Atlantik im Sommer 1916.
Schröder zieht aus seiner Analyse den Schluss, dass sich dieselben hohen Versenkungsergebnisse auch ohne die Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges hätten erreichen lassen. Dies ist ein Ergebnis, das es noch einmal in besonderer Weise hervorzuheben gilt, denn der so folgenschwere Kriegseintritt der Vereinigten Staaten wäre ohne die Eskalation im Seekrieg sehr wahrscheinlich nicht erfolgt. Warum die Admirale gegen die ausdrückliche Erfahrung ihrer Kommandanten handelten und unbedingt die Schranken fallen lassen wollten, erklärt sich aus dem irrealen Glauben, durch eine rücksichtslose U-Boot-Offensive England binnen kurzem in die Knie zwingen zu können. Auch die öffentliche Meinung sah im uneingeschränkten U-Boot-Krieg das Allheilmittel zur Beendigung des Krieges. Es muss weiterführenden Arbeiten überlassen bleiben, die Interaktion von Admiralität und Publizistik genauer herauszuarbeiten und insbesondere die Handhabung der Zensur näher zu beleuchten.
Doch welche wirtschaftlichen Folgen hatte der U-Boot-Krieg? Bestand überhaupt die Aussicht, Großbritanniens Seezufuhren abzuschneiden und das Land zum Frieden zu zwingen? Obgleich der Autor die wirtschaftlichen Folgen in Großbritannien im Sommer 1917 erheblich überbetont - hier hätte man sich eine Berücksichtigung englischen Quellenmaterials gewünscht -, kommt auch er zu dem Schluss, dass der lange Verzicht auf den uneingeschränkten U-Boot-Krieg Deutschland gewiss nicht den Sieg kostete. Im Gegenteil: Mit seinem Beginn im Februar 1917 wurden die letzten Chancen auf einen Verhandlungsfrieden vertan.
Und wie stellt sich der Autor den weiteren Gang der Dinge vor, wenn es der Politik ein weiteres Mal gelungen wäre, den Militärs Anfang 1917 Paroli zu bieten? "Die Fortführung des U-Boot-Krieges nach der Prisenordnung hätte Großbritannien auf jeden Fall nachhaltig geschwächt und deutlich gemacht, dass der Krieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war und hätte dadurch einem Verständigungsfrieden zugearbeitet." (408) Dieser Schlussfolgerung kann man gewiss zustimmen. Allerdings scheint Schröder die Bereitschaft der Reichsleitung zu einem echten Kompromissfrieden und die Chance, diesen vor allem auch innenpolitisch durchzusetzen, zu überschätzen. So ist es kaum vorstellbar, dass die immer einflussreichere 3. OHL in Anbetracht der Lageentwicklung in Russland 1917 einem Verhandlungsfrieden zugestimmt hätte, der für die Westmächte halbwegs annehmbar gewesen wäre.
Kritisch bleibt noch anzumerken, dass Schröder die Forschungsliteratur nicht immer sicher beherrscht. So ist Janusz Piekalkiewicz' Buch über den Ersten Weltkrieg sicher keine hinreichende Quelle für die Meuterei der französischen Armee 1917 (334). Hier vermisst man einen Hinweis zum Beispiel auf das Standardwerk von Pedroncini. Ebenso sollte man auf Piekalkiewicz' Buch über den Seekrieg verzichten (373) und die Churchill-Rede vom 13. Mai 1940 besser in den einschlägigen Quellenpublikationen nachweisen, anstatt das Geschichtsmagazin "Damals" heranzuziehen (336). Diese kritischen Bemerkungen sollen den außerordentlichen Wert der vorliegenden Darstellung jedoch nicht schmälern. Sie vermag summa summarum voll zu überzeugen. Schröder hat zweifellos das Standardwerk zum Thema vorgelegt. Besonders erfreulich ist der reichhaltige Anhang mit einer Vielzahl nützlicher Tabellen und Dokumente. Es bleibt zu hoffen, dass auf der Grundlage von Schröders Ergebnissen weiterführende Studien entstehen, die insbesondere die mentalitäts- und sozialhistorischen Aspekte der U-Boot-Waffe und der Marine im Ersten Weltkrieg unter die Lupe nehmen müssten.
Sönke Neitzel