Matthias Steinhart / Eckhard Wirbelauer: Aus der Heimat des Odysseus. Reisende, Grabungen und Funde auf Ithaka und Kephallenia bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert (= Kulturgeschichte der antiken Welt; Bd. 87), Mainz: Philipp von Zabern 2002, 336 S., ISBN 978-3-8053-2835-7, EUR 51,00
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Mit ihrem Buch legen die beiden Autoren Matthias Steinhart und Eckhard Wirbelauer eine wissenschaftliche Untersuchung zur Erforschung der antiken Überlieferungstradition einer Region vor der Westküste Griechenlands vor, welche seit der homerischen Dichtung als die Heimat des Odysseus gilt.
Die Publikation umfasst 336 Seiten und gliedert sich nach einem Geleitwort von Hans-Joachim Gehrke (7) in vier Kapitel zuzüglich Resümee (255-262) und wissenschaftlichem Apparat. Letzterer beinhaltet die Anmerkungen (263-309), ein Verzeichnis der abgekürzten Literatur (311-320), die Abbildungsnachweise (321) und das Register (323-336). Den Kapiteln vorangestellt ist eine Zeittafel mit der nachantiken Geschichte Kephallenias und Ithakas im Überblick (13-26). 16 farbige Bildtafeln mit Ansichten der Inseln, 145 Schwarz-Weiß-Abbildungen von Karten, Plänen, Fundmaterial und Inselansichten sowie eine Planbeilage vervollständigen die Dokumentation.
Die politische Geschichte der Inseln Kephallenia und Ithaka ist wechselhaft; die heute griechischen Inseln gehörten bis 1797 zu Venedig, standen anschließend unter französisch-russischer Herrschaft und zählten seit 1815 zu den unter britischer Hoheit stehenden United States of the Ionian Islands. Durch ihre geografisch seegünstige Lage zogen sie bereits vor dem 19. Jahrhundert zahlreiche Reisende an. Zu den prominenten Besuchern des 19. Jahrhunderts gehörten Carl Haller von Hallerstein, der im Juni 1814 Ausgrabungen auf Kephallenia und Ithaka unternahm, und Heinrich Schliemann, der ab 1868 größere Feldforschungen zur Aufdeckung des Odysseusreiches durchführte.
Das Werk von Matthias Steinhart und Eckhard Wirbelauer entspringt dem Wunsch, dem homerischen Ithaka der Antike nachzuspüren, ohne jedoch das Ziel zu verfolgen, den historischen Kern mythischen Geschehens zu ermitteln. Die Autoren verstehen ihr Werk als Beitrag zur historisch-landeskundlichen Grundlagenforschung und entwerfen durch die Rekonstruktion der Kontexte von Forschungen und Grabungen erstmalig ein "imaginäres Museum" von Ithaka für ihre Leser (11).
Die Materialgrundlage für dieses Buch bildet das so genannte chorografische Schrifttum bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (28-29). Hierzu zählen Reiseberichte und Schriften, die geografische und antiquarische Informationen über Kephallenia und Ithaka enthalten. Aufnahme in die Untersuchungen finden ebenfalls Ergebnisse der philologischen Forschungen zum Ithaka Homers aus dem 19. Jahrhundert. Unberücksichtigt bleiben die kartografische Tradition seit dem 14. Jahrhundert und historisch-geografische Arbeiten, die nicht auf der Grundlage eigener Anschauung, sondern durch das Studium antiken Quellenmaterials entstanden. Eine wichtige Quelle stellen die so genannten Portolane dar, von italienischen Seeleuten seit dem 13. Jahrhundert in Buchform zusammengestellte nautische Kenntnisse. Der älteste dieser Texte, der "Compasso da navigare", datiert in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Nach diesen Texten war Kephallenia mit ihren Häfen in dieser Zeit eine häufig angelandete Station auf der Nord-Süd-Route, die Insel Ithaka blieb aus seefahrerischer Sicht dagegen ohne Bedeutung.
Die ersten drei Kapitel stehen unter der Autorenschaft des Historikers Eckhard Wirbelauer und resultieren aus den Arbeiten zu seiner 1998 vorgelegten Habilitationsschrift. Kapitel 1 behandelt die Überlieferungen von der Mitte des 8. Jahrhunderts bis zum Ende der ersten Herrschaft der Franzosen über dieses Gebiet im Jahr 1809. Die kartografische Tradition dieser Jahre dominieren die Portolane. Die zwischen 1414 und 1422 erfolgten Passagen Buondelmontis markieren den Beginn einer sich intensivierenden Reisetätigkeit von Pilgern und Reisenden von proto-wissenschaftlichem Interesse. Teil der politischen Landschaft werden Kephallenia und Ithaka - nun als Ionische Inseln bezeichnet - durch die Einrichtung eines Département d'Ithaque unter Napoleon Bonaparte im Jahr 1797. Unter dem Stichwort "Ithaka-Kontroverse" (Spon und Wheler 44-45) prägen zwei Problemstellungen die Beschäftigung der Reisenden mit den Inseln: die Suche nach den Ruinen aus der Zeit des Odysseus und die Sicherung der Identifizierung von Homers Ithaka.
Kapitel 2 widmet sich der Zeit der archäologischen Ausgrabungen auf Ithaka und Kephallenia, im Zuge derer Carl Haller von Hallerstein nicht nur Forschungen auf dem Aetos durchführt (109 ff., Abb. 40-43), sondern auch zahlreiche Grabanlagen aufdeckt, deren Funde er sorgsam aufnimmt (117 ff., Abb. 44 ff.) und zusammen mit den Funden von den Inseln aus den Sammlungen anderer Reisender dokumentiert (135 ff., Abb. 58 ff.). Die Bemühungen Carl Hallers von Hallerstein gelten als erste nach wissenschaftlichen Maßstäben angelegte Ausgrabungen auf den Ionischen Insel. Seine befundorientierte Arbeitsweise zeichnet ihn vor Antikenjägern wie de Bosset aus. Leider erfährt seine Arbeit keine adäquate Würdigung durch seinen Finanzier Ludwig, der die Ausbeute an Denkmälern im Vergleich zum Kostenaufwand für zu gering erachtet.
Kapitel 3 schildert die Überlieferungsgeschichte in den "United States of Ionian Islands" unter britischem Protektorat und den Fortgang der Forschungen nach der Übergabe der Insel an das Königreich Griechenland 1864. In diese Phase fallen die Ausgrabungen im Jahr 1876 von Othon Riemann, 1878 von Heinrich Schliemann, 1899 von Panagis Kavvadias, 1900 von Wilhelm Dörpfeld und 1904 von Carl Wilhelm Vollgraff. Mit Othon Riemann erfolgt die moderne landesgeschichtliche Erforschung der Inseln.
Kapitel 4 stammt von dem Archäologen Matthais Steinhart und bietet eine Zusammenstellung des Fundmaterials aus Kephallenia und Ithaka auf Grundlage der Grabungs- und Reiseberichte von Carl Haller von Hallerstein, von John Fiott / Lee und einer Verkaufsliste von Captain Guiterra (203 ff.). Letzterer war als Inselkommandant Ithakas von 1811 bis 1814 mit regen Ausgrabungsarbeiten beschäftigt. Bei den heute auf unterschiedliche öffentliche und private Sammlungen verstreuten Fundstücken handelt es sich überwiegend um Metallartefakte aus hellenistischer Zeit. Anhang eins und zwei umfassen Antiken nach Zeichnungen im Besitz von Doktor Marato (248 ff.) und Antiken aus den Besitz der Familie Olivier (251 ff.).
Den beiden Autoren gelingt es, durch die Auswertung chorografischen Schrifttums und der Grabungsberichte eine Fundlandschaft auf den Inseln Kephallenia und Ithaka zu konstruieren und vor dem Hintergrund der Forschungstradition anschaulich zu skizzieren. Quellenkritik, nüchterne Dokumentation des Vorgefundenen und eigene kritische Wertschätzung stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Von Vorteil erweist sich hier der interdisziplinäre Ansatz des Buches. Im Vordergrund steht nicht die mythische Figur des Odysseus oder die homerische Dichtung: Die Autoren stellen klar heraus, dass die oft gezogene Verbindung gerade der Insel Ithaka zu Odysseus diese zu einem beliebten Reiseziel werden ließ. Das Ergebnis dieses Interesses hilft uns heute, Fundmaterial aus verloren geglaubten Kontexten und aus deutlich "nachhomerischer Zeit" wiederzugewinnen. Zugleich ist das Buch eine Wertschätzung der Arbeiten von Heinrich Schliemann und Wilhelm Dörpfeld. In den Altertumswissenschaften wird besonders der Fundplatz Ithaka überwiegend mit den Ausgrabungen Carl Wilhelm Vollgraffs, Walter A. Heurtleys und Sylvia Bentons verbunden.
Die Fülle der Informationen und die Eigenart der Publikation, Quellen und ihre Übersetzungen, Ereignisgeschichte und Interpretation des chorografischen Schrifttums in einem Erzählstrang zu verdichten, macht es dem Leser oft nicht leicht, die zentralen Thesen der jeweiligen Kapitel aufzuschlüsseln. Eine akzentuierte Hinführung auf wichtige Quellen, Personen und Ereignisse im vorweggestellten Überblick über die nachantike Geschichte Kephallenias und Ithakas (13 ff.) wäre in diesem Punkt hilfreich gewesen.
Wünschenswert ist, dass sich die Hoffnung der Autoren, mit ihrem Werk weitere disziplinenübergreifende wissenschaftliche Projekte dieser Art anregen zu können, in Zukunft erfüllen wird. Das "imaginäre Museum" von Matthias Steinhart und Eckhard Wirbelauer fügt weit mehr zusammen als einzelne Fundstücke und Sammlungsbestände.
Martina Seifert