Josef Pauser / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16. - 18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 44), München: Oldenbourg 2004, 1134 S., ISBN 978-3-486-64853-9, EUR 79,80
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Ein "exemplarisches Handbuch" kündigen die drei Herausgeber im Untertitel des hier anzuzeigenden, voluminösen Bandes an, und ihr Vorhaben ist auch im übertragenen Wortsinn exzellent gelungen: Wer die 1134 Seiten mit 83 Beiträgen fast ebenso vieler Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland, Tschechien, Italien, den Niederlanden, Ungarn und Frankreich konsultiert, erhält einen Überblick über die Quellen zur Geschichte der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie in einer Vollständigkeit, wie sie einem Handbuch ansteht, und das auf exemplarischem Qualitätsniveau.
Die Herausgeber wollen, um die Fülle möglicher Zugangsweisen der Frühneuzeitforschung aufzuschließen, keinen bestimmten Quellentyp bevorzugt behandelt wissen. Mit der sorgfältigen Gegenüberstellung normativer wie erfahrungsbezogener Dokumente und der breiten Berücksichtigung nicht-textueller Quellen liefern sie (nach dem Vorbild der französischen Reihe "Typologie des sources du moyen âge occidental") schon in der Disposition ihres Stoffes eine Typologie frühneuzeitlicher Quellen am Beispiel ihres Untersuchungsraums.
Dieser Raum umfasst vorrangig das Gebiet des heutigen Österreich, dazu Südtirol, Tschechien (Böhmen und Mähren) und, mit Abstrichen, Ungarn. Eine gewisse "Überbetonung des östlichen Österreich" ist unverkennbar und wird von den Herausgebern selbst eingeräumt (11). Die angestrebte typologische Vollständigkeit ließ sich, wie Pauser, Scheutz und Winkelbauer in sympathischer Offenheit an selbiger Stelle einräumen, wegen des bei einem Vorhaben dieser Größe fast unvermeidlichen Ausfalls einiger Beiträgerinnen und Beiträger nicht erreichen; am meisten wird man das Fehlen eines großen Überblicks zu den Reiseberichten (die gleichwohl mit einem Beitrag zu den Städten Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt präsent sind) und zur (Stadt-)Archäologie bedauern. Gewünscht hätte man sich auch einige spezielle Artikel, in denen die wichtigen "Außenbesitzungen" des Hauses in Italien, den Niederlanden oder im südwestdeutschen Raum deutlicheres Profil hätten gewinnen können, doch hätte sich dadurch das ohnehin schon bedrängende Problem des Auswählens nochmals potenziert.
Den Autorinnen und Autoren (viele von ihnen in Archiven oder Bibliotheken tätig) wurde die Aufgabe gestellt, auf durchschnittlich 10-15 Druckseiten einen Umriss des möglichen Aussagebereichs und des spezifischen Informationspotenzials des jeweiligen Quellentyps zu bieten; dazu treten mehr oder weniger ausführliche Literaturhinweise, die zum Teil auch sehr genaue Angaben zu älteren und neueren Quelleneditionen liefern und dem Benutzer etwa beim Thema "Landesfürstliche Gesetzgebung" (Josef Pauser) eigene Recherchen weitgehend abnehmen.
Der Band ist in drei große Teile gegliedert, die jeweils von einem Grundsatzartikel eingeleitet werden: "Institutionen", "Gattungen" sowie "Bilder und Dinge". Dabei fällt die erste Sektion, den "Institutionen" gewidmet, deutlich am umfangreichsten aus und nimmt zwei Drittel des Bandes in Anspruch. Begonnen wird mit der Vorstellung von Quellen zum Bereich des Hofes und der Zentralverwaltung der habsburgischen Länder wie Protokollserien, diplomatischen Korrespondenzen und Abrechnungsbüchern vor allem der Hofkammer. Mit Nutzen liest man die Abhandlungen zur Geschichte der beiden noch für die heutige Forschung wichtigsten Wiener Institutionen (Michael Hochedlinger zum Hausarchiv, Stefan Benz zur Hofbibliothek), mit viel Zustimmung Hochedlingers engagiertes Plädoyer für die Entfaltung einer "neuen Militärgeschichte" auch am Beispiel des Reichs der Habsburger, wofür alle einschlägig wichtigen Quellenserien aufgeführt und hinsichtlich ihres Frage- und Erwartungshorizonts charakterisiert werden.
Auf der Ebene der einzelnen Erbländer kommt neben der landesfürstlichen Regierung und Gesetzgebung auch die ständische Ebene ausführlich in den Blick; die Beispiele beziehen sich vor allem auf Oberösterreich und Tirol (für Letzteres werden etwa auch die Bergordnungen behandelt), während das frühneuzeitliche "Inner-"Österreich vor allem in Josef Pausers bereits erwähnter, dicht informierender 40-Seiten-Abhandlung zur landesfürstlichen Gesetzgebung Kontur gewinnt. Typisch für das Konzept des Bandes und von hohem Gebrauchswert ist die Vorstellung wichtiger, aber wenig bekannter oder in ihrer Benutzung nicht trivialer Quellentypen wie der Reisepässe (Andrea Komlosy) oder der Steuerfassionen und -kataster (Bernhard Hackl).
Nach einem kurzen Einschub zum Alten Reich bildet mit über 250 Seiten Umfang die quellenbezogene Darstellung der herrschaftlichen, grundherrlichen und kommunalen Strukturen in der Stadt wie in den ländlichen Gemeinden einen deutlichen Schwerpunkt des Institutionen-Teils wie des Gesamtbandes. Dabei geht es weniger um die Darstellung normativer Texte wie der Weistümer (die natürlich nicht fehlen), sondern um die Abspiegelung der feudalherrlichen Praxis in Quellenserien wie Grund- und Rechnungsbüchern oder Steuerverzeichnissen. Pionierarbeit leistet Erich Landsteiner mit der Dokumentation des Zehntwesens; ein Schwerpunkt der neueren Forschung zu Rechtswesen, "infrajustice", und des Dialogs zwischen Herrschaft und Untertanen wird in den Artikeln zu den Gerichtsprotokollen und Bittschriften / Suppliken (Martin Scheutz beziehungsweise Martin Paul Schennach) aufgegriffen.
Aus dem institutionengeschichtlichen Feld Kirche - Religion - Universität herausgegriffen seien schließlich noch Rudolf Leebs Überblick zur Lage der Quellen und der Forschung zum Konfessionellen Zeitalter in der Habsburgermonarchie, wo im Unterschied zu den meisten Territorien des Reichs noch um 1600 "über längere Zeit ein Neben- und Ineinander der Konfessionen" bestand (640), Gernot Heiß' Analyse der Textproduktion der Jesuiten und Andreas Weigls Ausführungen über die Nutzung serieller Quellen für die Historische Demografie.
Die zweite Sektion des Bandes, "Gattungen" überschrieben, präsentiert ihre Materialien in vier Abteilungen aufgefächert, unter den "Selbstzeugnissen" etwa die schon angesprochenen Aussagen der Reiseberichte zu drei österreichischen Mittelstädten (Alfred Stefan Weiß) oder die verschiedensten Formen von Diarien (Christine Lebeau etwa zu Graf Karl von Zinzendorf), unter den "Briefen" den aufschlussreichen Typus der Gelehrtenkorrespondenz (Thomas Wallnig) oder die in wohl annähernd 40.000 Stücken überlieferte Privatkorrespondenz Kaiser Leopolds I. (Petr Mat'a / Stefan Sienell). Auf die "Flugschriften und Zeitungen" folgt die wichtige Abteilung zur "Geschichtsschreibung", die einem hochinformativen und pointierten Aufriss zur höfischen und ständischen Historiografie von Arno Strohmeyer ebenso Platz bietet wie der Darstellung ganz neuer Forschungsfelder (Franz Eybl über Quellenwert und Auswertung von Leichenpredigten im katholischen Raum).
Aus der dritten Sektion "Bilder und Dinge", die Helmut Hundsbichler vom Kremser Institut für Realienkunde mit Reflexionen zum Aussagepotenzial von Quellen der materiellen Kultur in der Frühen Neuzeit einleitet, seien zwei eingehende Überblicksartikel mit Referenzcharakter hervorgehoben: zum einen Sibylle Appuhn-Radtke über die Verwendung von Emblemen und Allegorien, zum anderen Thomas Winkelbauer, der als "interessierter Laie" (1060, Anm. 1 - die captatio benevolentiae ist ebenso sympathisch wie unnötig) mit einem Beitrag zu den frühneuzeitlichen Landkarten der österreichischen Monarchie, Ungarns und der Erbländer einspringt, der sonst ausgefallen wäre. Man hätte die Fülle der von Winkelbauer vermittelten Informationen, die sich nicht zuletzt in einem fünfseitigen Literaturverzeichnis spiegeln, nur sehr ungern vermisst.
Warum Wolfgang Ernsts gewundene und unter Anrufung der üblichen Halbgötter von Foucault bis Assmann formulierte Ausführungen über "Das Archiv als Gedächtnisort" dagegen in eine eigene vierte Sektion unter der hochgreifenden Überschrift "Medienarchäologischer Ausblick" eingestellt wurden und so das Buch beschließen, mag dagegen nicht so recht einleuchten. Statt einer Kurzfassung von Ernsts "aleatorisch-assoziativem" (so Ulrich Raulff) Essay "Das Rumoren der Archive" (Berlin 2002) hätte man mit größerem Nutzen etwas aus den spritzigeren Überlegungen zum Verhältnis von Kanzlei und Archiv gelesen, die Cornelia Vismann in ihrem Buch über "Akten" (Frankfurt am Main 2000) angestellt hat.
Das Fehlen eines Registers in einem umfangreichen Band ist zwar immer schmerzlich, im vorliegenden Fall aber aufgrund der hochgradigen Spezialisierung des Zugriffs der 83 Einzelkapitel zu verschmerzen. Den Herausgebern ist zu bescheinigen, dass sie ihr Ziel, einen "Grundstein" zu legen für eine "komparatistische, qualitativ operierende Quellenkunde" (11), in maßstabsetzender Weise erreicht haben. Und das Institut für Österreichische Geschichtsforschung hat sich mit diesem 44. Ergänzungsband seiner "Mitteilungen" in seinem Jubiläumsjahr selbst ein wirklich nobles Geschenk gemacht, dessen Qualität als Referenzwerk lange Bestand haben wird.
Reinhard Stauber