Hartmut Leppin: Theodosius der Grosse. Auf dem Weg zum christlichen Imperium (= Gestalten der Antike), Darmstadt: Primus Verlag 2003, 280 S., ISBN 978-3-89678-471-1, EUR 29,90
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Mit seiner Theodosius-Monografie knüpft Hartmut Leppin, der durch eine Reihe von Veröffentlichungen als Kenner des christlichen Kaisertums ausgewiesen ist [1], an eigene Forschungen an. Seine neuesten Überlegungen erscheinen innerhalb der Reihe "Gestalten der Antike" (herausgegeben von Manfred Clauss), die an ein breites Publikum gerichtet ist. Vollständigkeit in den Quellen- und Literaturangaben wird ausdrücklich nicht angestrebt (11) - wesentliche Lücken treten jedoch nicht auf.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel (15-28) schafft Leppin zunächst die Grundlage für die Beschäftigung mit der konkreten Biografie. In einer Momentaufnahme stellt er die Lebenswirklichkeit im ausgehenden vierten Jahrhundert prägnant dar. Er geht auf den organisatorischen und strukturellen Aufbau von Militär und Administration sowie die soziale und wirtschaftliche Schichtung der Gesellschaft ein; die verwendeten Fachbegriffe werden erläutert (hinzu tritt ein Glossar am Ende des Buches). Ebenso wird die religionspolitische Situation geschildert, mit kurzen Nennungen der Unterschiede zwischen den kirchlichen Gruppen und verständlich gehaltenen Erläuterungen zur Frage, warum der Begriff "Nizäner" der Selbstbezeichnung "orthodox" vorgezogen wird.
Nachdem im Prolog bereits das Begräbnis des Theodosius beschrieben worden ist, wird im zweiten Kapitel (29-33) kurz auf seine Jugend eingegangen, das heißt auf die Zeit vor der Berufung zum magister militum 378 nach Christus. Das einschneidende Ereignis dieses Abschnitts in Theodosius' Leben stellte die Hinrichtung des Vaters dar, welche einen Rückzug des Theodosius ins Privatleben nach sich zog.
Das dritte Kapitel (35-86) behandelt die ersten Jahren der Herrschaft. Dabei werden die Umstände des Herrschaftsantritts nach der Niederlage des Valens bei Adrianopel untersucht und insbesondere die bekannte Schilderung Theodorets (HE 5,5 f.) dekonstruiert. Dass Theodosius 382 einen Friedensvertrag mit den Goten abschloss, beurteilt Leppin entgegen der älteren Forschungsmeinung als pragmatische Maßnahme, um Frieden herbeizuführen, nicht als Katastrophe. Bei den Bemühungen Theodosius', persönlichen Rückhalt im Osten zu gewinnen, waren seine bereits erfolgte Taufe und sein klares Bekenntnis zum nizänischen Christentum von höchster Bedeutung.
Mit der Usurpation des Maximus im Westen beschäftigt sich das vierte Kapitel (87-133). Im Rahmen dieses Themas tritt zum ersten Mal Ambrosius von Mailand als zentraler Akteur auf (Gesandter Valentinians II. zum Usurpator; Streit um den Victoria-Altar). Im Kontext des zehnjährigen Regierungsjubiläums wird auch das so genannte Missorium des Theodosius erhellend besprochen. Besonders wird daran die religiös neutrale Art der Darstellung hervorgehoben, die als Sinnbild der allgemein integrativen Politik verstanden wird. Ausnahme war die rigoros durchgesetzte Steuerpolitik, welche beispielsweise den Antiochener Steueraufstand von 387 nach sich zog. Nach Fürsprache durch den Bischof der Stadt verzichtete Theodosius auf eine Bestrafung der Aufständischen, nicht aber auf seine Steuereinnahmen.
Auch angesichts des Verbots sämtlichen heidnischen Kultvollzugs von 392 (siehe unten) weist Leppin auf eine allgemein feststellbare Diskrepanz zwischen den strengen, weit reichenden Formulierungen speziell von Religionsgesetzen und deren milder Durchsetzung hin (179/180). Für Theodosius hatten folglich im Regierungshandeln die Sicherung des Steueraufkommens und der innere Friede klaren Vorrang vor religiösen oder dogmatischen Anliegen. Die Affäre um das Massaker von Thessalonike 390 ist die zentrale Begebenheit des fünften Kapitels (135-167) und eine Schlüsselszene für Leppins Theodosius-Verständnis:
Leppin deutet die Vorgänge nicht als 'Gesichtsverlust' des Kaisers, vielmehr als Gewinn von Handlungsspielraum: Indem er einräumte, fehlbar zu sein und in Thessalonike dadurch unrecht gehandelt zu haben, dass er ein Massaker zuließ, wurde Theodosius vor den Augen der Öffentlichkeit von seinen Sünden gereinigt. Er vermied damit erfolgreich das "Image des blutrünstigen Tyrannen" (159). Diese Instrumentalisierung des Christentums ermöglichte es Theodosius also, Fehler einzugestehen und sich von eigenen Entscheidungen - sogar nach deren Durchführung - wieder zu distanzieren. Die wichtige Rolle, die Ambrosius von Mailand besonders im vierten und fünften Kapitel spielt, und seine zentrale Bedeutung in Leppins eigener Argumentation widersprechen deutlich der These einer nur lokalen Bedeutung des Ambrosius (146/147).
Das sechste Kapitel (169-204) behandelt die innenpolitischen Konflikte im Ostteil des Reiches. Exemplarisch für die Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden steht dabei die Zerstörung des Serapeions in Alexandria 391. In den weiteren Zusammenhang gehört das Verbot jeglichen heidnischen Kultvollzugs vom November 392. Die bereits angesprochene Milde in der Durchsetzung solcher Maßnahmen manifestierte sich in den fortgesetzten Karrieren heidnischer Beamter. Das Verhältnis zur östlichen administrativen Elite blieb jedoch weiterhin angespannt.
Am Beispiel der Residenz Konstantinopel wird das theodosianische Bauprogramm dargestellt. Bei der Analyse des Theodosius-Obelisken weist Leppin besonders auf die senatorische Selbstdarstellung hin, welche das innerhalb dieser Gruppe durchaus noch vorhandene Selbstbewusstsein illustriert. Dieses Beispiel belegt, wie die Abbildungen als Teil der Argumentation genutzt werden (insbesondere das Missorium und der Theodosius-Obelisk).
Das siebte Kapitel (205-228) behandelt die Auseinandersetzung mit dem Usurpator Eugenius, der vom germanischen Heermeister Arbogast 392 installiert worden war. Theodosius rüstete, ebenfalls mit germanischen Heermeistern (Alarich, Stilicho), zum Krieg. Die Konfrontation wurde im September 394 in einer einzigen Schlacht entschieden. Dass Theodosius sie trotz schlechterer Ausgangsposition gewann, wurde von den Zeitgenossen als Gottesurteil betrachtet.
Zukünftige Konflikte zeichneten sich jedoch bereits ab: Leppin kontrastiert (218-220) die geschockten Reaktionen der gotischen Heerführer darüber, dass ihre Landsleute am ersten Tag der Schlacht sehr leichtfertig geopfert worden waren, mit den ausdrücklich erfreuten Äußerungen späterer Kirchenhistoriker. Deren Freude gründete darin, dass die Goten keine Nizäner waren. Theodosius bereitete nun eine Neuordnung des Gesamtreichs vor, die er aufgrund seines Tods im Januar 395 nicht abschloss.
Im letzten Kapitel (229-239) erfolgt ein knappes Referat älterer deutschsprachiger Forschungsliteratur unter dem Gesichtspunkt historischer 'Größe'. Leppin formuliert hier zum ersten Mal ausdrücklich seine zentrale These, die er zuvor mehrfach belegt: Theodosius' Fähigkeit sei es gewesen, "das Christentum, das zu einer herausragenden sozialen Potenz geworden war, für die Machtbehauptung zu nutzen" (238). Diese 'Instrumentalisierung' des nizänischen Christentums habe unausweichlich - wenn auch nicht beabsichtigt - den Einfluss der Christen auf die Politik gewaltig vergrößert. Für dieses Verdienst erhielt "Theodosius der Große" von den Kirchenhistorikern seinen Beinamen.
Dieser Sichtweise stimmt Leppin zu, weist allerdings darauf hin, dass Theodosius auf anderen Gebieten, militärisch oder administrativ, weit weniger bedeutend gewesen sei - und damit im Burckhardt'schen Sinne keineswegs 'groß' (239). Gerade mit dieser Einschränkung verdeutlicht Leppin also, dass die Verleihung des Ehrennamens 'der Große' den erfolgreichen Versuch der Kirchenhistoriker darstellt, die historische Gestalt des älteren Theodosius [2] in ihrem Sinne zu vereinnahmen.
Leppin legt eine in hohem Maße lesbare Biografie vor. Seine These über Theodosius' Nutzbarmachung des neuen christlichen Einflusspotenzials klingt zunächst überraschend, wird aber überzeugend belegt. Aufgrund dieses und weiterer Denkanstöße ist das Buch jedem Interessierten eindringlich zu empfehlen.
Anmerkungen:
[1] Exemplarisch zwei Monografien: Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Sokrates, Sozomenus und Theodoret (Hypomnemata; 110), Göttingen 1996; Die Kirchenväter und ihre Zeit. Von Athanasius bis Gregor dem Großen, München 2000.
[2] Der Beiname 'mégas' diente ursprünglich nur der Unterscheidung vom Enkel, Theodosius II. (408-450).
Eike Faber