Anthony T. Edwards: Hesiod's Ascra, Oakland: University of California Press 2004, XII + 208 S., ISBN 978-0-520-23658-5, GBP 29,95
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Hauptthema des Buches ist die Sozial- und Wirtschaftsstruktur der Dorfgemeinschaft von Askra in der Zeit Hesiods. Im einleitenden Kapitel erläutert Edwards seinen methodischen Ansatz. Er will untersuchen, inwieweit Hesiods "Werke und Tage" (im Folgenden: "Erga") historische Elemente enthalten. Da er es nicht für ausgemacht hält, dass Hesiod als Verfasser der "Erga" mit der 'persona' der Dichtung identisch ist, sucht er zunächst zu zeigen, dass die "Erga" nicht mit üblichen Modellen sozialer Systeme und Institutionen übereinstimmen, die bisher zur Interpretation herangezogen wurden. Als Beispiele seien hier nur die Thesen von Édouard Will und Victor Hanson genannt. [1] Will nahm an, dass in Askra ähnlich wie ein Jahrhundert später im vorsolonischen Attika ein Prozess zunehmender Verschuldung und Enteignung kleiner Bauern durch die Praktiken großer Grundbesitzer stattfand. Demgegenüber wird nach Hanson in den "Erga" eine Generation von unabhängigen Bauern dargestellt, die ehemals marginale Weideflächen intensiv bearbeiten.
Edwards räumt freilich ein, dass Hesiod eine Fülle von Einzelheiten in das Gedicht eingefügt hat, die nicht notwendig gewesen wären, wenn er lediglich beabsichtigt hätte, den bäuerlichen Alltag zu schildern. Sowohl der Familienstreit zwischen dem Dichter und seinem Bruder Perses als auch die Ausführungen über die Mühen der Landarbeit hätten aber das Interesse des Publikums geweckt. So betrachtet Edwards die "Erga" als treffliche Verbindung von poetischem Text und dörflicher Lebenswelt (24).
Er ist überzeugt, dass Hesiod als Erster eine Art Widerstand gegen die damalige Elite artikuliert und insofern eine einzigartige Antwort auf die Entstehung des Staates gegeben habe (25). Bereits in der "Odyssee" (16,425) richtet sich freilich der Zorn des Demos gegen Angehörige der Oberschicht, die wahllos Raubzüge gegen ein mit der eigenen Gemeinschaft befreundetes Gemeinwesen durchführen. Richtig ist selbstverständlich Edwards' Hinweis (25 f.), dass Hesiod ein Zeuge für eine Welt ist, die im Vergleich zu anderen, damals schon weiterentwickelten Gemeinschaften in Griechenland als rückständig gelten kann. Gerade deshalb ist es indes problematisch, von einer Antwort Hesiods auf die so genannte Staatswerdung in Hellas zu sprechen, die ein langer Prozess war. Im Lauf des 7. Jahrhunderts vollzogen sich zwar bereits wichtige Neuerungen wie der Beginn einer Institutionalisierung öffentlicher Organe. 'Law codes' wurden aber entgegen Edwards' Auffassung nicht verfasst. Die ersten griechischen Gesetzgeber haben keine Kodifikation im eigentlichen Sinne inauguriert.
Die Bedeutung und Tragweite der Polisbildung konnte Hesiod wohl kaum erkennen. Gleichwohl nimmt Edwards an, dass der Dichter zwar wusste, was eine Polis ausmacht, aber dennoch wohl überlegt als Thema die Welt des Dorfes wählte. Edwards folgert hieraus, dass Hesiod nicht als Quelle für eine Gemeinschaftsordnung, der die Zukunft gehörte, befragt werden sollte, da seine Dichtung ländliche Verhältnisse im späten 8. und im frühen 7. Jahrhundert in Boiotien spiegelt. Man vermisst in diesem Zusammenhang in Edwards' Argumentation eine terminologische Differenzierung zwischen den Bedeutungen des Polisbegriffs, der bekanntlich sowohl eine bestimmte Siedlungsweise als auch eine politische Organisationsform bezeichnen kann.
Im 2. Kapitel untersucht Edwards die Beziehungen zwischen Askra und Thespiai. Er kommt nach ausführlicher Erörterung der hierzu vorliegenden Forschungsliteratur zu dem Ergebnis, dass die Interaktionen zwischen der Polis und dem Dorf sich auf dem Niveau einer Subsistenzwirtschaft vollzogen und die Rolle der "basilees" in Thespiai sich im Rahmen des dortigen Gemeinschaftslebens auf die Funktionen von 'Streitschlichtern' beschränkte. Eine Ausbeutung der Bauern durch eine so genannte Elite sei nicht erkennbar, und die Dorfgemeinschaft von Askra sei auch nicht als Korporation in eine übergeordnete Organisationsform eingebunden gewesen. Der Streit zwischen Hesiod und seinem Bruder sei daher nicht im Rahmen formaler Regelungen ausgetragen worden. Edwards schließt somit aus, dass Askra als Dorf politisch und wirtschaftlich als Segment einer größeren Einheit dargestellt wird. Hesiod beschreibe vielmehr ein autonomes Dorf außerhalb des Polisgebietes von Thespiai. Edwards verweist dazu auf Hesiods Aufforderung an seinen Bruder, sich nicht an einen "basileus" zu wenden. Hesiods Dichtung lasse darauf schließen, dass die Vorstellung von politischer Gleichheit und das System der Demokratie in Griechenland seinen Ursprung im dörflichen Millieu hätten. Diese Vereinfachung ist schwer nachzuvollziehen. Edwards beachtet nicht, dass die Funktionen von Streitschlichtern auch Vorstufen einer Institutionalisierung von Führungsaufgaben im archaischen Griechenland sein konnten. Im Proömium der "Theogonie" weist Hesiod auf die Rolle eines "basileus" hin, der auf der Agora durch seine Redegewandtheit die Hörer fasziniert. Der Dichter bezieht sich wohl kaum nur auf die Fähigkeit des "basileus", Streit zu schlichten. Auch allgemeine Leitungsfunktionen in einer größeren Gemeinschaft setzen eine gewisse Eloquenz voraus. Bestimmte Gleichheitsvorstellungen sind freilich erst in der Dichtung Solons fassbar (fr. 36,18 West), der sich rühmt, gleiche "thesmoi" für "kakoi" und "agathoi" verordnet zu haben. Die Voraussetzung hierfür war ein zumindest rudimentäres institutionelles Gefüge, das sowohl für die Polis als auch für ihre Chora relevant wurde.
Edwards sucht demgegenüber des Weiteren (in Kapitel 3) durch eine Analyse der Nachbarschaftsbeziehungen in Askra seine These von der Autonomie dieses Dorfes zu unterbauen. Er vermag dort nur eine überaus geringe Kooperation zwischen den Bauern zu erkennen und leitet hieraus ab, dass in dem Dorf eine übergeordnete externe Instanz fehlte. Sein Schluss, dass in der Mentalität jener Dorfbewohner noch ein prähistorisches Erbe erhalten geblieben sei (126), vermag indes nicht zu überzeugen. Zweifellos gab es auch in Askra nachbarschaftliche Solidarität in Notzeiten. Hierzu ist jetzt auf die Habilitationsschrift von Winfried Schmitz zu verweisen. [2] Schmitz differenziert nach Max Weber zwischen symmetrischer Nachbarschaft zwischen Gleichstehenden und asymmetrischer Nachbarschaft, in der die Beteiligten in einem abgestuften Verhältnis zueinander stehen. Edwards unterschätzt die Bedeutung von Statusunterschieden im dörflichen Beziehungsgeflecht.
In zwei weiteren Kapiteln behandelt Edwards das Problem der Produktions- und Besitzverhältnisse in Askra und den jährlichen Rhythmus der bäuerlichen Arbeit in der Darstellung Hesiods sowie die Siedlungs- und Organisationsformen jener Bauerngemeinschaft. Er zeigt sich gut informiert über Einzelheiten der Feldbestellung und Ernte und sucht zu zeigen, dass die Bevölkerung Boiotiens im 8. und frühen 7. Jahrhundert nicht so rapide wuchs wie in anderen Regionen Griechenlands. Die überaus starke Bevölkerungszunahme, die Anthony M. Snodgrass vor allem in der Argolis im 8. Jahrhundert vermutete [3], ist aber wenig wahrscheinlich. Realistischer erscheint die These von Walter Scheidel, der eine durchschnittliche Zunahme der Bevölkerung in Griechenland von den Dunklen Jahrhunderten bis zur klassischen Zeit von 0,3 - 0,4 Prozent annimmt. [4]
Abschließend sucht Edwards die Ratschläge und Warnungen zu analysieren, die Hesiod an Perses richtet. Er entnimmt den betreffenden Versen, dass der Dichter die Institutionen der Stadt verdammt, indem er die Werte des dörflichen Lebens preist (183). Unter diesem Aspekt sind die "Erga" für Edwards ein "Bollwerk und ein Monument für einen als tüchtig geltenden Mann" (184). Dies sind starke Worte, doch wird im Kontext nicht deutlich, wie Edwards' Formulierung "institutions of the city" zu verstehen ist (181). Polisinstitutionen im eigentlichen Sinne können kaum gemeint sein.
Edwards hat sich bemüht, durch strenge Textinterpretationen die bäuerliche Lebenswelt in Askra und die Intentionen Hesiods zu erfassen. Seine These, dass die Bewohner dieser kleinen Siedlung eine autonome und überaus gering stratifizierbare Gesellschaft bildeten, wird indes kaum Zustimmung finden.
Anmerkungen:
[1] Édouard Will: Aux origines du régime foncier grec. Homère, Hésiode et l'arrière-plan Mycénien, in: Révue des Études Anciennes 59 (1957), 5-50; Victor Hanson: The Other Greeks. The Family Farm and the Agrarian Roots of Western Civilization, New York 1995.
[2] Winfried Schmitz: Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland, Berlin 2004, 67-82.
[3] Anthony M. Snodgrass: Archaic Greece. The Age of Experiment, Berkeley 1983, 22 ff.
[4] Walter Scheidel: Gräberstatistik und Bevölkerungsgeschichte. Attika im achten Jahrhundert, in: Robert Rollinger / Christoph Ulf (Hgg.): Griechische Archaik. Interne Entwicklungen - externe Impulse, Berlin 2004, 177-185.
Karl-Wilhelm Welwei