Marc Löwener: Die "Blüte" der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; Bd. 14), Wiesbaden: Harrassowitz 2004, VI + 352 S., 2 Abb., 6 Karten, ISBN 978-3-447-04797-5, EUR 60,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Schon die auffällige Häufung rühmender Epitheta für die Oberhäupter der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert fordert heraus: Es begegnen Kasimir der Große in Polen, Ludwig der Große von Anjou in Ungarn und Polen, dazu Zar Stefan Dušan in Serbien und Kaiser Karl IV. in Böhmen, denen man das Attribut des "Großen" ohne Zögern zuerkennen würde. Hinzu kommen die (noch erfolgreich) expandierenden Staatswesen Preußens, Litauens, des Moskauer Fürstentums und Brandenburgs, womit auf den ersten Blick mehr als gerechtfertigt erscheint, von einer "Blüte" der Staaten gerade in diesem Teil Europas während des 14. Jahrhunderts zu sprechen. (Zu ergänzen wäre Herzog Rudolf "der Stifter" von Österreich). Es spricht für den Mut des Herausgebers, diese Metapher von der Blütezeit, die ja eine These beinhaltet, auf den Prüfstand zu stellen. Dies geschieht nicht allein durch Porträts der genannten Länder, sondern auch durch systematische Anläufe, die sich mit dem Raumverständnis östliches Europa versus Gesamteuropa auseinander setzen, mit dem internationalen Phänomen der "Intellektuellen" und den Rahmenbedingungen herrschaftlicher Politik in Ostmitteleuropa. Das Resultat dürfte für einige Zeit die maßgeblichen Antworten auf die gestellte Frage nach der "Blüte" der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert liefern.
Welche Antworten werden gegeben? Zunächst einmal fällt auf, dass die gesamteuropäisch angelegten Beiträge nicht weiterführen. Christian Lübke ("Mitteleuropa, Ostmitteleuropa, östliches Europa: Wahrnehmung und frühe Strukturen eines Raumes", 15-43) beschäftigt sich vornehmlich mit den Kriterien der innereuropäischen Abgrenzung, ohne auf die Oberthematik zu sprechen zu kommen. Michael Borgolte ("Europäische Geschichten. Modelle und Aufgaben vergleichender Historiographie", 303-328) stellt im Hauptteil zwei Konzeptionen vergleichender Geschichtsschreibung vor, die sich nicht auf das östliche Europa beziehen. Marian Dygo ("West-Ost-Gefälle? Krise und Blüte in Europa im 14. Jahrhundert", 285-302) ist der einzige, der die These von der "Blüte" der Länder Ostmitteleuropas und, damit verbunden, einen "Ausgleich in der Entwicklung zwischen beiden Teilen des Kontinents" verifizieren möchte. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es im 14. Jahrhundert in Ostmitteleuropa einen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben habe, während der Westen Europas von einer "wirtschaftlichen und sozialen Krise" geprägt gewesen sei. Damit ist die bekannte Hypothese von "Entwicklungsunterschied und -ausgleich" wieder aufgenommen. Nun ist für deren Überprüfung freilich ein relativ aufwändiger Forschungsaufbau erforderlich, der nicht nur eine angenommene ungleiche Entwicklung offenbar werden lässt, sondern aus dem auch hervorgeht, was unter "Entwicklung" verstanden wird. Es ist kein Wunder, dass sich fast alle bisherigen Versuche mehr oder weniger auf Teilbereiche der Wirtschaftsgeschichte beschränkt haben; so auch Dygo. Aber es ist einfach nicht ausreichend, die Intensivierungen in Handel, Bergbau oder Stadtentwicklung auf einer Seite (der östlichen) zu skizzieren, und die angebliche "Krise" des Westens damit zu belegen, dass sich die Anjou und die Luxemburger nach Apanagen im Osten umgesehen haben und außerdem der Deutsche Orden seinen Hauptsitz nach Preußen verlegt hat (300).
Die Beiträge zur ostmitteleuropäischen Dimension wiederum verraten Skepsis gegenüber der Eingangsthese: Krzysztof Ożóg ("Intellektuelle im Dienst der Staaten Ostmitteleuropas. Vergleichende Betrachtungen", 229-255) verneint rundweg die Berechtigung, von "Blüte" sprechen zu können. Sein aufschlussreicher Vergleich von Polen, Ungarn, Böhmen, dazu Preußen und einigen Ländern des römischen Reichs bezieht sich auf die Präsenz und Valenz von gelehrten Männern vor allem in den Milieus Hof (respektive Kanzlei) und Universität. Sławomir Gawlas ("Möglichkeiten und Methoden herrschaftlicher Politik im östlichen Europa im 14. Jahrhundert", 257-284) stellt ein Paradoxon innerhalb des Erfolgs-Paradigmas in Ostmitteleuropa heraus, wenn er bemerkt, dass Kasimir der Große in Polen (vor allem über die Kolonisation) die besten Möglichkeiten besaß, seine Herrschaft auszubauen, gegenüber den Königen aus den Dynastien der Anjou und der Luxemburger aber "zweifellos der schwächste Partner" (283) blieb.
Das dahinter stehende Problem reicht tiefer. Es ist nicht durch die zum Teil hochwertigen Einzelstudien zu lösen, da diese vom Ansatz her auf eine herkömmliche Epochengeschichtsschreibung hinauslaufen (Bernhart Jähnig zum Deutschordensstaat Preußen; Alvydas Nikžentaitis zu Litauen; Anna Choroškevič zum Moskauer Fürstentum; Janusz Kurtyka zu Polen; Peter Moraw zur Krone Böhmen; Pál Engel zu Ungarn; Ludwig Steindorff zu Serbien; Peter-Michael Hahn zu Brandenburg). Es bleiben die systematischen Desiderate: 1. das Fehlen einer innerstaatlichen Messlatte (Welcher Art sind die Unterschiede zum vorhergehenden und zum darauffolgenden Jahrhundert beziehungsweise zur folgenden Epoche?); 2. das Erstellen von Kategorien für den europäischen Vergleich, bis hin zur Frage, welchen Kulturbegriff die Rede von "Entwicklung", "Blüte", "Gefälle" et cetera impliziert. Wenn sich die Struktur der Königsmacht (beziehungsweise Territorialherrschaft) in einem bestimmten Zeitraum durchaus zufrieden stellend analysieren lässt, wie es zum Beispiel Kurtyka für Polen durchexerziert (107-142), dann müsste streng genommen die Analyse zur frühen Jagiellonenzeit folgen - woraus dann erst eine Einschätzung abgeleitet werden könnte, wie weit es mit der "Blüte" in der Zeit Kasimirs des Großen her war. Und wenn die möglicherweise singuläre Bedeutung eines Abschnitts in der Geschichte eines Landes oder einer Großregion tatsächlich ermittelt ist, dann wäre zu fragen, wie weit sie reicht: Administration, Gesetzgebung, internationales Renommee, Wirtschaftskraft, künstlerische oder literarische Ausstrahlung?
Momentan sieht es so aus, als würde ein etabliertes Klischee durch erneute Setzung bekräftigt. Der Vorteil ist, dass dieses Klischee angenehm klingt; der Nachteil, dass sich auch die Politik seiner bedient (wie im Falle Serbiens während der Balkankriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts; 202). Hier wären die Historiker also noch einmal gefragt.
Thomas Wünsch