Dagmar von Stetten-Jelling: Elisabet(h) Ney (1833-1907) Bildhauerin in Europa und Amerika. Eine ungewöhnliche Karriere, Berlin: dissertation.de 2003, 292 S., 30 Abb., ISBN 978-3-89825-635-3, EUR 49,00
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Der Untertitel, den Dagmar von Stetten-Jelling für Ihre Dissertation im Bereich Frauen- und Geschlechterforschung an der FU Berlin gewählt hat, ist treffend: Die Bildhauerin Elisabeth Ney (1833-1907) hat in der Tat "eine ungewöhnliche Karriere" gemacht. Die Tochter eines Münsteraner Bildhauers immatrikulierte sich 1853 an der Münchner Akademie der Künste, ging ein Jahr später nach Berlin, wo sie als Privatschülerin in die Werkstatt von Christian Daniel Rauch aufgenommen wurde, und führte ab 1856 eigenständig bildhauerische Werke aus. Während sie anfangs die von ihr Porträtierten - immerhin so illustre Persönlichkeiten wie Jacob Grimm, Bismarck, Garibaldi und Ludwig II. - in Eigeninitiative und ohne direkten Auftrag zum Modellsitzen überreden musste, erhielt sie gegen Ende ihres Lebens mit den Skulpturen von Austin und Houston für das Kapitol in Washington geradezu staatstragende Aufträge. Sie war die "erste und einzige Künstlerin" (70), die ein Bildnis Schopenhauers nach dem Leben modellierte, und wurde ihrerseits von Kaulbach porträtiert, der sogar um ihre Hand anhielt (73-75).
Angesichts der Tatsache, dass die Skulptur des 19. Jahrhunderts erst vor rund 20 Jahren mit den Publikationen von Peter Bloch und anderen wieder in das Blickfeld der Kunstgeschichtsschreibung gerückt ist und es daher noch zahlreiche Forschungsdesiderate in diesem Bereich gibt, erscheint die Beschäftigung mit einer der wenigen Künstlerinnen dieser Zeit umso wichtiger. Zumal Elisabeth Ney, laut Dagmar von Stetten-Jelling, "in ihrer Heimat dem Vergessen anheim gefallen" sei, während sie in Texas "als herausragende Persönlichkeit" gelte (Vorwort). Auch der in der Einleitung zu dieser Dissertation formulierte Lebens- und Arbeitsgrundsatz der Bildhauerin lässt eine für die kunsthistorische wie für die feministische Forschung gleichermaßen interessante Studie erwarten: "Ney sah ihre Kunst als Mittel zum Zweck des Strebens nach Vervollkommnung der Menschheit, nicht als Selbstzweck." (1)
Auf dieser Basis entwickelt die Autorin zwei "Arbeitsthesen" (2), die allerdings nicht besonders klar formuliert sind: Zum einen geht es ihr offenbar um die Frage, warum Elisabeth Ney in Deutschland fast vollkommen in Vergessenheit geriet. Diese Problematik wird durch einen Hinweis auf das nach dem Ersten Weltkrieg allgemein gesunkene Interesse an den Bildhauern des 19. Jahrhunderts jedoch sogleich wieder entkräftet (3). Zum anderen kündigt die Autorin einen "Blick auf die Position der Frau als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft im Allgemeinen und der Künstlerschaft im Besonderen" (3) an. Laut Dagmar von Stetten-Jelling blieb "die wirklich große Karriere [...] Neys männlichen Kollegen vorbehalten, wie z. B. Reinhold Begas, Friedrich Drake, Ernst Herter und anderen" (3). Doch auch diese These relativiert die Autorin durch Erwähnung der über 400 Bildhauer, die allein in Berlin zu jener Zeit tätig waren und von denen ebenfalls nur sehr wenige einen dem Hofbildhauer Begas vergleichbaren Bekanntheitsgrad erlangten.
Im folgenden Abschnitt zur bisher erschienenen Literatur über Elisabeth Ney verweist Dagmar von Stetten-Jelling auf eine "Tradition der Ney-Darstellung, die teilweise einen Mythos fortschrieb, indem sie die romantischen Aspekte in Neys abenteuerlichem Leben betonte und ausschmückte" (5), und kündigt für ihre Studie eine "Eliminierung der reichen Legendenbildung" (12) an. Den Beginn von Neys Karriere beschreibt sie jedoch wie folgt: "Zielstrebig hielt das junge Mädchen an ihrem Plan fest und scheute sich nicht, in den Hungerstreik zu treten, den sie auch längere Zeit durchhielt. Sie drohte der Mutter: 'Wenn ihr mich nicht gehen lässt, will ich sterben.'" (20) Als Quelle für diese Anekdote gibt sie an, dass Ney dies ihrer ersten Biografin erzählt habe "und alle späteren Veröffentlichungen [...] diese Geschichte weitergegeben" hätten, nimmt aber keine Stellung zur bekannten Problematik der von Künstlern selbst initiierten Mythenbildung.
Diese anekdotische Erzählweise ist symptomatisch für die folgende Lebensbeschreibung, die bis zum Schluss chronologisch eine wahre Informationsflut zu den Stationen von Elisabeth Neys ungewöhnlicher Biografie liefert. Interessant sind hier die Schilderungen des sozialen Umfelds der Künstlerin in München und Berlin, wo Ney in den Salons mit bedeutenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kulturleben und Politik verkehrte. Die Autorin neigt jedoch zu einer Ausführlichkeit, bei der sich der Leser teilweise fragen muss, ob es für das Verständnis eines künstlerischen Lebenswegs tatsächlich nötig ist, zu wissen, wie der Diener hieß, der den Onkel der Dame betreute, zu deren Salon Ney eingeladen war (51), oder dass die Nichte eben jenes Herrn "von einer nicht zu verbergenden Leidenschaft für Ferdinand Lassalle ergriffen war" (52), oder dass zwei ebenfalls anwesende junge Damen von ihrem Vater, dem Komponist Franz Liszt, von Paris nach Berlin geholt worden waren "um sie dem Einfluss ihrer Mutter zu entziehen" (53).
Angedeutet und nicht durch Quellen belegt wird hingegen, dass Ney "an einer Kleiderreform für Frauen interessiert" war, "gesunde Ernährung" propagierte und "ihr Hauptanliegen war, [...] für Frauen die gleichen Ausbildungschancen einzufordern" (14). Gerade diese Punkte hätten eine ausführliche Erörterung im sozialgeschichtlichen Kontext der Zeit verdient. Die feministische Deutung beschränkt sich hingegen auf Feststellungen wie "Ganz unbestritten ist die Tatsache, dass Elise ihr großes Selbstbewusstsein schon sehr früh entwickelt hatte, gepaart mit Durchsetzungskraft und einem starken Willen. Diese Eigenschaften sind sehr häufig bei Künstlerinnen zu beobachten, wie inzwischen von der feministischen Kunstgeschichte durch viele Lebensläufe belegt werden konnte." (21) Zweifellos beschreibt die Autorin hier Wesenszüge, die auch jeder Mann für eine Karriere benötigt.
Aufschlussreich ist, dass die Autorin für eine diskriminierende Behandlung Elisabeth Neys in der Kunstwelt nur wenige Belege findet, stattdessen aber etliche Quellen, in denen die Werke der Bildhauerin hoch gelobt werden. So bezeichnete man ihre Statuen für den Münsteraner Ständesaal "nicht nur als denen männlicher Bildhauer gleichwertig, sondern sogar als besonders herausragend" (86) und in den Dioskuren war 1867 zu Neys Bismarck-Büste zu lesen, sie sei ein "meisterhaftes Werk" (113), während Max Schasler 1858 zu Neys Hl. Sebastian schrieb, er sei "von gutem Ausdruck [und] von Talent zeugend" (49).
Nach ihrer plötzlichen und nicht befriedigend zu begründenden Auswanderung nach Amerika im Jahre 1870 widmete sie sich zunächst zusammen mit ihrem Mann - die Eheschließung hatte sie stets geheim gehalten - der Bewirtschaftung einer Plantage. Dabei sollen beide wohl von der idealistischen Absicht, "das Los der ehemaligen Negersklaven zu verbessern" (159), ausgegangen sein, doch auch diese Aussage wird von der Autorin kaum durch Quellen belegt. Stattdessen gerät dieses humanistische Ideal in Widerspruch zu Neys Vorschlag, am Giebelrelief des Regierungsgebäudes in Austin "den Sieg der Zivilisation über die Indianer" (163) darzustellen.
Die interessantesten Informationen liefert diese Dissertation im letzten großen Abschnitt (169-217), der Elisabeth Neys "zweite Karriere als Bildhauerin" beschreibt, die sie mit fast sechzig Jahren begann. Hier zeigt sich, dass in Amerika einflussreiche Frauenorganisationen - wie "The Women's World's Fair Exhibition Association" (169) und "Daughters of the Republic of Texas" (196) - als Mäzene auftraten und Statuenprogramme an bedeutenden öffentlichen Orten wie den Regierungssitzen in Washington und Austin beeinflussten und finanzierten. Dass in diesem Kontext auch weibliche Künstler größere Chancen hatten, kann nicht verwundern. Ney jedenfalls wurde von den genannten Organisationen, die teilweise miteinander konkurrierten, bei der Anfertigung und Aufstellung der Porträtstatuen von Austin und Houston unterstützt. Diese sowie einige andere größere Aufträge führten zu einer Art Comeback der Künstlerin, das derartig fruchtbar war, dass Ney noch in ihrem siebzigsten Lebensjahr drei Monate in Italien verbrachte, wo sie die passenden Marmorblöcke aussuchte und Anweisungen zu deren Bearbeitung gab.
Die in diesem letzten Abschnitt durch eine gute Quellenlage belegte Fülle von Informationen zur konkreten Arbeitsweise der Künstlerin im sozialen Rahmen weiblichen Mäzenatentums hätte man auch dem Rest dieser Studie gewünscht. Vor allem aber wäre eine weniger an die Biografie angelehnte Gliederung, die stärker einzelne Fragestellungen zu weiblichem Künstlertum in Europa und Amerika - auch anhand geeigneter Vergleiche mit anderen Biografien - in den Vordergrund gestellt hätte, dem interessanten Thema sicher eher gerecht geworden.
Iris Benner