Gerhard Finckh (Hg.): Franz von Lenbach und die Kunst heute. Ausstellungskatalog Museum Morsbroich Leverkusen, 2003/04 / Lenbachmuseum Schrobenhausen, 2004, Köln: DuMont 2003, 199 S., ISBN 978-3-8321-7350-0, EUR 24,90
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Der hundertste Todestag des Münchner "Malerfürsten" Franz von Lenbach (6. Mai 2004), gab dem Museum Morsbroich in Leverkusen Anlass, ihm zu Ehren eine Ausstellung zu organisieren. Diese Ausstellung diente der Untersuchung, wohin sich die verschiedenen Kunstgattungen und Fragestellungen, wie beispielsweise Stillleben, Landschaft sowie Porträt und historisches Kostüm, die Franz von Lenbach (1836-1904) in seiner Kunst bearbeitet hat, in der Kunst der Gegenwart entwickelt haben. Gerhard Finckh, der Kurator der Ausstellung, möchte dabei der schwierigen Frage nachgehen, welche Beziehungen noch heute in der Gegenüberstellung von zeitgenössischen Positionen und denen von Lenbach existieren (7).
Zu diesem Zweck eröffnet Gerhard Finckh in dem knapp 200 Seiten starken Katalog ein Ideenfeld, in welchem Lenbachs Œuvre in Werkgruppen und "sinnfällige" Gruppierungen unterteilt wird. In 16 "Kapiteln" mit kurzen ein- bis dreiseitigen Einführungstexten umkreist der Kurator sein Vorhaben mit Themen, wie Idylle, Landschaft, Reiselust und Fernweh, Stillleben, Porträts berühmter Personen, Bismarck, Selbstporträts, Porträts von Kindern und Jugendlichen, Mutter und Kind, Familienporträt, historisierende Kostümierung und Rollen-Porträt, Akt, Porträtskizzen, Capriccio, Malerei und Fotografie, Sammler, Bauherr und Gestalter.
Das Kapitel "Bismarck" ergänzt neben dem Text von Finckh, ein einziger gesonderter Aufsatz zu dem Thema "Bismarck im kollektiven Gedächtnis der Nation - Verdienst des Malers Franz von Lenbach" von der Autorin Sonja von Baranow (92-99).
Gemessen an der schwierigen Lenbach-Rezeption, kann Finckhs assoziativer Vernetzungs-Ansatz Lenbachs mit der zeitgenössischen Kunst als Pionierarbeit gewertet werden. Lange litt das Ansehen von Lenbach darunter, dass ihm der Vorwurf gemacht wurde zu stark nach der Fotografie zu arbeiten. Erst mit dem Aufsatz von J.A. Schmoll gen. Eisenwerth zu dem Thema "Lenbach, Stuck und die Rolle der photographischen Bildnisstudie. Photographie und Malerei. Zur doppelten Moral der normativen Ästhetik des 19. Jahrhunderts" von 1969 begann eine differenziertere Sicht auf das Lenbach'sche Werk. [1] Die große Lenbach-Schau in München von 1987, die Armin Zweite ausgerichtet hat, positioniert den Münchner Maler schließlich im Klima moderner Kunstauffassung. [2]
Die Heranziehung neuer technischer Errungenschaften, wie elektrisches Licht zum Malen im Atelier und die Anfertigung von Vorstudien anhand von Fotos, zeichnen Lenbach als einen Künstler mit Innovationswillen aus. Er verstand es, seine künstlerische Neugierde mit seiner Beherrschung des Fachs, die er an Tizian, Rembrandt und Rubens geschult hatte, zu verbinden. Diese Offenheit für Neuerungen und traditionelles Malerhandwerk verorten Lenbach als einen Künstler auf der Schwelle zur Moderne.
Im Rahmen der Ausstellung ordnet Finckh insgesamt 33 zeitgenössische Künstler mit so starken und disparaten künstlerischen Positionen wie Joseph Beuys oder Tracey Emin sowie Gerhard Richter und Cindy Sherman rein assoziativ den "Lenbach-Kapiteln" zu. Das Auswahlkriterium "für die Kunst der Gegenwart", so der Ausstellungsmacher, "war dabei einerseits eine Lenbach möglichst adäquate Bildqualität, zum anderen die Forderung nach einer konkreten Aussagefähigkeit im Hinblick auf die Entwicklung seit Lenbach und damit auch die Frage nach dem 'Typischen' für unsere Zeit?"(7). Allein diese "Auswahlkriterien" hätten eines umfassenden theoretischen Forschungstextes bedurft, der der Frage nach der Relevanz von "adäquater Bildqualität" in der zeitgenössischen Kunst nachgegangen wäre, sowie dem "Typischen" unserer Zeit nachgespürt hätte. Dieser fehlt leider ganz.
Gerhard Finckh beginnt seinen einleitenden Text "Faszination Lenbach"(10-19) mit einem affirmativen Zitat Lenbachs von 1867, das auch das Motto der Ausstellung stellt: "Ich muss nämlich auch bekennen, dass ich nichts geringeres vorhabe, als die ganze moderne Kunst über den Haufen zu werfen, wenigstens eine Revolution in der ganzen Malerwelt hervorzurufen" (10).
Der Autor beschreibt in seinem Aufsatz den Aufstieg Lenbachs zum "Malerfürsten", einem der gefeiertsten Künstler seiner Zeit. Die biografischen Stationen und künstlerischen Fragestellungen Lenbachs verdeutlichen die auf den ersten Blick etwas willkürlich erscheinende "Kapitel-Wahl" des Kurators. Beispielsweise Lenbachs Einbettung in den damaligen internationalen, künstlerischen Kontext, wie der "Schule von Barbizon" (13) und der von dieser entwickelten "paysage intime", die der Münchner Maler auf seinen ausgedehnten und mehrfachen Reisen ins Ausland kennen gelernt hat, geben eine Vorstellung davon welche künstlerische Fragestellungen Lenbach beschäftigten. Landschaft und das Problem der Freilichtmalerei mit seinen naturalistischen Ansätzen finden sich somit in den Kapiteln "Idylle" (20-33) und "Landschaft" (34-41) wieder. Mit "Reiselust und Fernweh", das eigentlich auch ein "typisch" romantisches Motiv ist, ist eine der Kapitel-Zuordnungen im Katalog überschrieben (42-51), in denen Lenbachs Araber-Motivik Wilhelm Sasnals "Kosmonauten" (43) oder Gerhard Richters "Scheich mit Frau" (49) gegenüber gestellt ist.
Berühmt ist Lenbach für die von ihm entwickelte, quasi "magische Porträtform", womit er von zentraler Bedeutung für die Erneuerung der Porträtkunst ist. Geschult an der Technik alter Meister, gelang es Lenbach die Gattung des Porträts zu revolutionieren. Geschickt entkam er dem um 1800 aufgekommenen und immer noch schwelenden "Kostümstreit" - ob beispielsweise Napoleon nun heroisch nackt, antikisierend mit Toga oder in Hosen dargestellt werden solle [3] - indem er den Dargestellten im altmeisterlich-historisierenden Stilkostüm inszenierte. Dies gab jedem Porträtierten, ob arm oder reich, so der Autor, die Möglichkeit würdevoll und gravitätisch zu wirken (63). Dieser Bedeutung angemessen, versteht man dann auch die Zuordnung von nicht weniger als sechs unterschiedlichen "Porträt-Kapiteln" im Katalog. Das Porträt ist ebenso im Medium der zeitgenössischen Fotografie von größter Bedeutung, wie die vom Kurator ausgewählten Fotoarbeiten von Thomas Ruff, Wolfgang Tillmans, Jürgen Teller sowie Nan Goldin, Rineke Dijkstra und Manabu Yamanakadie beweisen.
Sensibel erläutert Finckh die Unterschiede zwischen einem Porträt Lenbachs und demjenigen eines zeitgenössischen Künstlers. Wie beispielsweise bei Lenbach ein "Fräulein Guschlbauer" (146) noch verschämt spröde wirkt, im Gegensatz zu so selbstbewussten Statements wie es die Porträtierten "John und Paula, sitting, bottomless" (141) von Wolfgang Tillmans, halb bekleidet mit nacktem Unterkörper postulieren.
Das Staatsporträt Lenbachs ist wiederum ganz auf Takt, Vorteil und historische Einordnung ausgerichtet, wie es unter anderem die Arbeiten Kaiser Wilhelm I. (69) und Wilhelm II (66), sowie Papst Leo XIII. (168) und die Bildnisse Bismarcks (83-91, 173), dessen offizieller Porträtist er war, protokollieren. Dagegen stellt Claus Otto Paeffgens Porträt von "Ministerpräsident Johannes Rau" (67) eher eine ironische Skizze dar. Was bei Lenbach auf Inszenierung und Aufwertung der Person zielte, transformiert in der zeitgenössischen Kunst in die Idee der Maskerade oder der Transgression der Geschlechter, wie die ausgewählten Fotoarbeiten von Cindy Sherman (133), Matthew Barney (136) und Yasumasa Morimura (135) zeigen. Das historistische Ritterbildnis (134) wird hier einem zeitgenössischen Körpermodell, den "History Portraits" (135), gegenübergestellt.
Insgesamt erscheint der Versuch, die Kunst Franz von Lenbachs der Kunst der Gegenwart zuzuordnen, durchaus legitim. Sein modernes Potenzial wäre aber gewiss ebenso im Vergleich zu seinen Zeitgenossen erschließbar gewesen. Der Versuch hingegen, Lenbach durch den Medusenspiegel der Moderne wiederum in seiner Zeit zu verorten, erhellt sich dem Betrachter wenig und erscheint angesichts der disparaten Diskursebenen der gewählten zeitgenössischen Künstler schwierig.
Deren Arbeiten sind insgesamt zudem von überragender Qualität und scheinen deshalb kaum in den "Kerker" der gewählten "Lenbach'schen Kapitel" eingezwängt werden zu können. Der Wunsch, Lenbach assoziativ der zeitgenössischen Kunst zuzuordnen und seinem "schwierigen Image" eine neue Wendung zu geben, ist im Ansatz neu und bedarf einer visionären Leistung, die man angesichts der qualitätsvollen Vergleichsbeispiele auch genießen kann. Die Katalogtexte bieten hier jedoch nur wenig Anleitung.
Anmerkungen:
[1] Schmoll gen. Eisenwerth, J.A.: "Lenbach, Stuck und die Rolle der photographischen Bildnisstudie. Photographie und Malerei. Zur doppelten Moral der normativen Ästhetik des 19. Jahrhunderts", in: Photographische Bildnisstudien zu Gemälden von Lenbach und Stuck. (Ausstellungskatalog des Museum Folkwang) Essen 1969, unpaginiert.
[2] Gollek, Rosel / Ranke, Winfried (Hrsg.): Franz von Lenbach 1836-1904. (Ausstellungskatalog der Städtischen Galerie im Lenbachhaus) München 1987.
[3] Vgl. Ranke, Winfried: Franz von Lenbach. Der Münchner Malerfürst. Köln 1986, 153.
Heike Fuhlbrügge